»Hatten Sie denn Smaragde?«
»Woher hätte ich denn Smaragde haben sollen? O Fürst, was haben Sie noch für eine sonnige, unschuldige, ja sozusagen idyllische Lebensanschauung!«
Es kam schließlich so heraus, daß der Fürst ihn nicht sowohl bemitleidete als vielmehr sich für ihn schämte. Es ging ihm sogar der Gedanke durch den Kopf: »Könnte nicht aus diesem Menschen noch etwas Ordentliches werden, wenn jemand einen guten Einfluß auf ihn ausübte?« Seinen eigenen Einfluß hielt er aus gewissen Gründen für sehr ungeeignet, nicht weil er von sich selbst zu gering gedacht hätte, sondern wegen seiner besonderen Art, die Dinge anzuschauen. Allmählich kamen sie beide so eifrig ins Gespräch hinein, daß sie sich gar nicht mehr voneinander trennen mochten. Keller bekannte mit einer seltenen Offenherzigkeit von sich Dinge, von denen man nicht begreifen konnte, wie er es fertigbrachte, sie zu erzählen. Jedesmal, wenn er sich zu einer solchen Erzählung anschickte, versicherte er hoch und heilig, er empfinde Reue und sei »innerlich voll Tränen«; aber trotzdem erzählte er in einer Weise, als sei er auf sein Benehmen stolz, und zugleich manchmal so komisch, daß er und der Fürst schließlich wie die Unsinnigen lachten.
»Die Hauptsache ist, daß Sie sich eine kindliche Zutraulichkeit und eine große Aufrichtigkeit bewahrt haben«, sagte der Fürst endlich. »Wissen Sie, daß Sie schon allein dadurch sehr vieles wiedergutmachen?«
»Ja, ich bin ein edler Mensch, ein edler Mensch, ein ritterlich edler Mensch!« bestätigte Keller gerührt. »Aber wissen Sie, Fürst, das bin ich immer nur, wenn ich mich so meinen Phantasien überlasse und sozusagen besondere Courage habe; in Wirklichkeit jedoch wird nie etwas daraus! Wie geht das nur zu? Mir ist das unbegreiflich.«
»Verzweifeln Sie deswegen nicht! Man kann jetzt mit Bestimmtheit sagen, daß Sie mir Ihr ganzes Inneres gezeigt haben; wenigstens scheint mir, daß es unmöglich ist, zu dem, was Sie erzählt haben, noch etwas hinzuzufügen, nicht wahr?«
»Unmöglich?!« rief Keller gewissermaßen mitleidig. »O Fürst, wie schweizerisch, wenn ich mich so ausdrücken darf, beurteilen Sie den Menschen noch!«
»Sollte es wirklich möglich sein, noch etwas hinzuzufügen?« erwiderte der Fürst mit schüchternem Erstaunen. »Also nun, bitte, sagen Sie, Keller, was Sie eigentlich von mir wollten, und warum Sie mit Ihrer Beichte zu mir gekommen sind!«
»Was ich wollte? Von Ihnen wollte? Erstens ist es schon allein ein Vergnügen, Ihre Herzenseinfalt anzusehen; es ist ein Vergnügen, so mit Ihnen zu sitzen und zu plaudern; ich weiß wenigstens, daß ich einen höchst tugendhaften Menschen vor mir habe. Und zweitens ... zweitens ...«
Er stockte.
»Vielleicht wollten Sie Geld von mir leihen?« half ihm der Fürst in ganz ernstem, schlichtem, ja sogar etwas schüchternem Ton.
Keller fuhr ordentlich zusammen; erstaunt blickte er dem Fürsten rasch gerade in die Augen und schlug mit der Faust kräftig auf den Tisch.
»Na, Sie bringen einen ja ganz und gar aus der Fassung! Ich bitte Sie, Fürst: einerseits diese Herzenseinfalt und Harmlosigkeit, wie sie selbst im goldenen Zeitalter unerhört wäre, und andrerseits durchschauen Sie einen gleichzeitig, wie wenn man von Glas wäre, durch und durch, mit der feinsten, psychologischen Beobachtungsgabe! Aber erlauben Sie, Fürst, das bedarf einer Erklärung, da ich ... Ich bin ganz in Verwirrung geraten! Allerdings hatte ich die Absicht, mir zu guter Letzt von Ihnen Geld zu leihen; aber nun haben Sie mich danach in einer Weise gefragt, wie wenn Sie darin nichts Tadelnswertes fänden, wie wenn das so sein müßte.«
»Ja ... bei Ihnen muß das auch so sein.«
»Und Sie sind darüber nicht entrüstet?«
»Worüber sollte ich entrüstet sein?«
»Hören Sie mal, Fürst, ich bin seit gestern abend hiergeblieben, erstens aus besonderer Hochachtung gegen den französischen Erzbischof Bourdaloue, von welchem Lebedjew erzählte (wir haben in Lebedjews Wohnung bis drei Uhr morgens eine Flasche nach der andern entkorkt), und zweitens und hauptsächlich (ich schwöre Ihnen bei allem, was heilig ist, daß ich die reine Wahrheit rede), weil ich Ihnen eine vollständige, aufrichtige Beichte ablegen und dadurch sozusagen meine eigene sittliche Entwicklung fördern wollte; mit diesem Gedanken schlief ich zwischen drei und vier Uhr, von Tränen überströmt, ein. Werden Sie nun einem höchst edeldenkenden Menschen glauben? In demselben Augenblick, als ich einschlief, sozusagen innerlich von aufrichtigen Tränen überströmt und desgleichen auch äußerlich (denn ich schluchzte zuletzt, wie ich mich recht wohl erinnere), in demselben Augenblick kam mir ein teuflischer Gedanke: ›Wie wär's? Könnte ich nicht zu guter Letzt, nach der Beichte, mir Geld von ihm leihen?‹ Auf diese Weise machte ich meine Beichte zurecht, um mich so auszudrücken, wie ein ragoût fin mit Tränen, in der Absicht, mir mit diesen Tränen den Weg zu bahnen und, wenn Sie sich dann geschmeichelt fühlten, mir von Ihnen hundertfünfzig Rubelchen auszahlen zu lassen. Meinen Sie nicht, daß das eine Gemeinheit ist?«
»Aber so ist das doch gewiß nicht wahr; sondern es ist nur ganz einfach eines zum andern hinzugekommen. Zwei Gedanken sind zusammengetroffen; das kommt sehr oft vor. Mir begegnet das fortwährend. Ich glaube übrigens, daß das nicht schön ist, und wissen Sie, Keller, ich mache mir deswegen die größten Vorwürfe. Mir war, als ob Sie mir mich selbst schilderten. Manchmal habe ich sogar gedacht«, fuhr der Fürst sehr ernst und mit aufrichtigem starkem Interesse fort, »daß alle Menschen von dieser Art sind, und wollte dann schon aufhören, mich zu schelten; denn gegen diese doppelten Gedanken anzukämpfen ist furchtbar schwer; ich weiß es aus Erfahrung. Gott weiß, woher sie kommen, und wie sie heranwachsen. Aber da nennen Sie das nun geradezu eine Gemeinheit! Jetzt werde auch ich wieder anfangen, mich vor diesen Gedanken zu fürchten. Jedenfalls steht es mir nicht zu, Sie zu verdammen. Aber man darf das doch meiner Ansicht nach nicht so geradezu eine Gemeinheit nennen; meinen Sie nicht auch? Sie haben sich einer Lust bedient, um durch Tränen Geld von mir herauszulocken; aber dabei schwören Sie doch selbst, daß Ihre Beichte noch einen andern Zweck hatte, einen edlen Zweck, nicht nur jenen pekuniären. Was aber das Geld anlangt, so wollen Sie es doch gewiß haben, um es zu verzechen, nicht? Das ist aber nach einer solchen Beichte selbstverständlich eine Schwachheit. Aber wie soll man andrerseits die Neigung zum Trinken so im Handumdrehen ablegen? Das ist ja nicht möglich. Was ist da nun zu tun? Das beste ist wohl, wir stellen es Ihrem eigenen Gewissen anheim; meinen Sie nicht?«
Der Fürst blickte Keller mit dem lebhaftesten Interesse an. Das Thema von den doppelten Gedanken hatte ihn offenbar schon lange beschäftigt.
»Na, warum man Sie bei alledem einen Idioten nennt, das ist mir unverständlich!« rief Keller.
Der Fürst errötete ein wenig.
»Der Prediger Bourdaloue, der würde mit einem Menschen wie ich keine Nachsicht gehabt haben; aber Sie haben es getan und haben mich menschlich gerichtet! Um mich zu bestrafen und um zu zeigen, daß ich gerührt bin, verzichte ich jetzt auf die hundertfünfzig Rubel; geben Sie mir nur fünfundzwanzig, und damit basta! Mehr brauche ich nicht, wenigstens nicht für zwei Wochen. Vor Ablauf von zwei Wochen werde ich nicht wieder um Geld zu Ihnen kommen. Ich wollte eigentlich meiner Agaschka etwas schenken; aber sie verdient es gar nicht. O lieber Fürst, Gott segne Sie!«
Endlich kam Lebedjew herein, der soeben zurückgekehrt war, und als er in Kellers Händen den Fünfundzwanzigrubelschein erblickte, runzelte er die Stirn. Aber sowie Keller das Geld hatte, beeilte er sich wegzukommen und verschwand schleunigst. Lebedjew begann sofort auf ihn zu schimpfen.
Читать дальше