Sie war ganz außer sich vor Empörung; aber sie wandte sich ab, ehe der Fürst Zeit fand, sie anzusehen. Übrigens hatte er zu einem Abbruch des Verkehrs nicht mehr die Möglichkeit: der kranke Ippolit war mittlerweile, so gut es eben ging, in die Droschke gepackt worden, und diese fuhr eben ab.
»Nun, wird das noch lange dauern, Iwan Fjodorowitsch? Wie denken Sie darüber? Werde ich noch lange unter diesen bösen Buben zu leiden haben?«
»Ja, liebe Frau, ich ... ich bin natürlich bereit, und ... der Fürst ...«
Iwan Fjodorowitsch streckte dennoch dem Fürsten die Hand hin, lief aber, ohne daß es zu einem Händedruck gekommen wäre, hinter Lisaweta Prokofjewna her, die geräuschvoll und zornig die Stufen vor der Veranda hinunterstieg. Adelaida, ihr Bräutigam und Alexandra verabschiedeten sich freundlich und herzlich vom Fürsten. Jewgeni Pawlowitsch machte es ebenso; er war der einzige, der sich in heiterer Stimmung befand.
»Es ist so gegangen, wie ich es mir gedacht hatte! Nur schade, daß auch Sie Armer dabei zu leiden gehabt haben!« flüsterte er mit dem liebenswürdigsten Lächeln. Aglaja ging weg, ohne sich zu verabschieden.
Aber die Ereignisse dieses Abends waren damit noch nicht zu ihrem Ende gelangt; Lisaweta Prokofjewna sollte noch eine sehr unerwartete Begegnung durchmachen.
Sie war noch nicht ganz die Stufen nach dem Weg hinuntergestiegen, der sich um den Park herumzog, als eine elegante Equipage, ein mit zwei Schimmeln bespannter Landauer, neben dem Landhaus des Fürsten vorbeirollte. In dem Wagen saßen zwei schöngekleidete Damen. Aber als der Wagen kaum zehn Schritte vorbeigefahren war, hielt er plötzlich an; eine der Damen wendete sich schnell um, als ob sie plötzlich einen Bekannten erblickt hätte, mit dem sie notwendig sprechen müßte.
»Jewgeni Pawlowitsch! Bist du es?« rief eine wohltönende, helle Stimme, bei deren Klang der Fürst und vielleicht sonst noch jemand zusammenfuhr. »Wie freue ich mich, daß ich dich endlich gefunden habe! Ich hatte einen expressen Boten an dich nach der Stadt geschickt, und dann einen zweiten! Den ganzen Tag haben sie dich gesucht!«
Jewgeni Pawlowitsch stand auf den Treppenstufen wie vom Donner gerührt. Lisaweta Prokofjewna war ebenfalls stehengeblieben, aber nicht in starrem Schreck wie Jewgeni Pawlowitsch; sie schaute die dreiste Dame ebenso stolz und mit derselben kalten Verachtung an wie fünf Minuten vorher die »jämmerlichen Menschen« und wandte dann ihren forschenden Blick sofort nach Jewgeni Pawlowitsch.
»Eine Neuigkeit!« fuhr die helle Stimme fort. »Wegen der Kupferschen Wechsel kannst du unbesorgt sein; Rogoschin hat sie für dreißigtausend Rubel aufgekauft; ich habe ihn dazu überredet. Wenigstens für drei Monate kannst du beruhigt sein. Und mit Biskup und dieser ganzen Bande werden wir uns gewiß einigen, auf Grund unserer alten Bekanntschaft! Nun, du siehst also, es steht alles gut. Freue dich! Auf Wiedersehen morgen!«
Die Equipage setzte sich wieder in Bewegung und verschwand schnell.
»Das ist eine Irrsinnige!« rief Jewgeni Pawlowitsch endlich; er war vor Entrüstung ganz rot geworden und blickte erstaunt rings um sich. »Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagte! Was sollen das für Wechsel sein? Wer ist die Person?«
Lisaweta Prokofjewna sah ihn noch ein paar Sekunden an; dann drehte sie sich kurz um und ging schnell nach ihrem Landhaus; die andern folgten ihr. Aber einen Augenblick darauf kehrte Jewgeni Pawlowitsch in großer Aufregung wieder zu dem Fürsten in die Veranda zurück. »Fürst, sagen Sie mir die Wahrheit: wissen Sie nicht, was das zu bedeuten hat?«
»Ich weiß nichts davon«, antwortete der Fürst, der sich ebenfalls in einer höchst peinlichen Aufregung befand.
»Nein?«
»Nein.«
»Ich verstehe auch nichts davon«, sagte Jewgeni Pawlowitsch, plötzlich auflachend. »Bei Gott, ich habe mit diesen Wechseln nichts zu schaffen; glauben Sie meinem Ehrenwort ...! Aber was ist mit Ihnen? Fallen Sie in Ohnmacht?«
»O nein, nein, ich versichere Ihnen, nein ...«
Erst am dritten Tag erbarmten Jepantschins sich des Fürsten und verziehen ihm vollständig. Obgleich der Fürst sich nach seiner Gewohnheit viel Schuld beimaß und in vollem Ernst eine Strafe erwartete, so war er doch von vornherein innerlich völlig davon überzeugt, daß Lisaweta Prokofjewna ihm nicht allzusehr zürnen konnte und in der Hauptsache nur auf sich selbst böse war. Daher war er am dritten Tag durch die unerwartet lange Dauer der Feindschaft in eine sehr trübe, ratlose Stimmung versetzt. Dazu hatten auch noch andere Umstände beigetragen, und einer von ihnen in besonders hohem Grad. Dieser hatte während der drei Tage für ihn infolge seines mißtrauischen Wesens immer mehr an Bedeutung gewonnen. (Der Fürst beschuldigte sich nämlich seit einiger Zeit zweier fehlerhafter Extreme: einer übermäßigen »sinnlosen, aufdringlichen« Zutraulichkeit und gleichzeitig eines »finsteren, unwürdigen« Mißtrauens.)
Kurz, am Ende des dritten Tages, hatte das Erlebnis mit der exzentrischen Dame, die aus ihrer Kutsche mit Jewgeni Pawlowitsch gesprochen hatte, in seinem Kopf ganz rätselhafte, beängstigende Dimensionen angenommen. Der Kernpunkt des Rätsels, abgesehen von anderen Seiten der Angelegenheit, bestand für den Fürsten in der betrüblichen Frage, ob auch er an dieser neuen »Ungeheuerlichkeit« schuld sei oder nur ... Aber er ließ unausgesprochen, wer dabei noch in Betracht kam. Was die Buchstaben N.F.B. anlangte, so war das nach seiner Anschauung nur unschuldiger Mutwille, rein kindlicher Mutwille, so daß es lächerlich und in gewisser Hinsicht sogar nicht ehrenhaft sei, darüber nachzudenken.
Gleich am ersten Tag nach dem häßlichen Abend, an dessen ungehörigen Vorgängen er die »Hauptschuld« trug, hatte der Fürst am Vormittag das Vergnügen, den Fürsten Schtsch. und Adelaida in seiner Wohnung zu empfangen; sie waren nach ihrer Angabe »hauptsächlich« gekommen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, und zwar auf einem Spaziergang zu zweien. Adelaida hatte soeben im Park einen Baum bemerkt, einen wundervollen alten Baum, mit langen, gekrümmten Ästen, ganz mit jungem, grünem Laub bedeckt, mit einer Höhlung und einem Spalt; sie hatte sich fest, ganz fest vorgenommen, diesen Baum zu malen! So sprach sie denn die ganze halbe Stunde, die ihr Besuch dauerte, fast nur hiervon. Fürst Schtsch. war wie gewöhnlich angenehm und liebenswürdig, befragte den Fürsten nach weiter zurückliegenden Dingen und erwähnte einige Umstände aus der Zeit ihrer ersten Bekanntschaft, so daß von den Ereignissen des vorhergehenden Tages fast gar nicht gesprochen wurde. Endlich konnte sich Adelaida nicht mehr beherrschen und gestand lächelnd, daß sie ohne Wissen der Eltern gekommen seien; aber damit war auch das Bekenntnis zu Ende, wiewohl schon aus dieser Heimlichkeit zu ersehen war, daß die Eltern, das heißt besonders Lisaweta Prokofjewna, sich in einer gewissen Mißstimmung befanden. Aber weder von ihr, noch von Aglaja, noch selbst von Iwan Fjodorowitsch sagten Adelaida und Fürst Schtsch. bei ihrem Besuch ein Sterbenswörtchen.
Als sie wieder fortgingen, um ihren Spaziergang fortzusetzen, luden sie den Fürsten nicht ein, sich ihnen anzuschließen. Eine Aufforderung, doch zu ihnen in ihre Wohnung zu kommen, fand auch nicht einmal andeutungsweise statt; in dieser Hinsicht ließ sich Adelaida sogar eine sehr bezeichnende Wendung entschlüpfen: sie erzählte von einem Aquarell, das sie gemalt hatte, und äußerte den lebhaften Wunsch, es ihm zu zeigen.
»Wie könnten wir das nur möglichst bald machen? Warten Sie! Ich werde es Ihnen entweder heute noch durch Kolja schicken, wenn er zu uns kommen sollte, oder es morgen selbst bringen, wenn ich wieder mit dem Fürsten spazierengehe«, so erledigte sie schließlich diese Schwierigkeit, erfreut, daß es ihr gelungen war, diese Aufgabe in einer so geschickten und für alle Beteiligten so bequemen Weise zu lösen.
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