JOHANNA. Nein, soviel ich weiß. Wer hätte denn ...?
DOKTOR REUMANN. Ich dachte nur. Ihr Papa ist manchmal so ängstlich.
JOHANNA. Da kommen sie.
Johanna, Sala, Doktor Reumann, Frau Wegrat und Felix von der Veranda her.
FRAU WEGRAT. Grüß' Sie Gott, lieber Herr Doktor. Was sagen Sie zu der Überraschung?
Freundliches Händedrücken zwischen den Herren.
FRAU WEGRAT. Guten Abend, Herr von Sala.
SALA. Ich freue mich, gnädige Frau, Sie so wohl zu sehen.
FRAU WEGRAT. Ja, es geht mir ein wenig besser. Wenn nur die traurige Jahreszeit nicht so nahe wäre.
SALA. Aber gnädige Frau, jetzt kommen ja erst die allerschönsten Tage. Wenn die Wälder rot und gelb schimmern, der goldene Dunst über den Hügeln liegt und der Himmel so fern und blaß ist, als schauerte ihn vor seiner eigenen Unendlichkeit –!
FRAU WEGRAT. Das möchte man wohl noch einmal sehen.
DOKTOR REUMANN vorwurfsvoll. Gnädige Frau –
FRAU WEGRAT. Verzeihen Sie, es kommen einem manchmal solche Gedanken. Heiterer. Wenn ich nur wenigstens wüßte, wie lange mir mein guter Doktor noch erhalten bleibt.
DOKTOR REUMANN. In dieser Hinsicht kann ich Sie beruhigen, gnädige Frau: Ich bleibe in Wien.
FRAU WEGRAT. Wie? Ist die Sache schon entschieden?
DOKTOR REUMANN. Ja.
FELIX. Ist also richtig ein anderer nach Graz berufen worden?
DOKTOR REUMANN. Das nicht. Aber der andere, dem die Stelle so gut wie sicher war, hat sich auf einer Bergtour den Hals gebrochen.
FELIX. Da wären doch jetzt Ihre Chancen die allerbesten? Wer außer Ihnen käme denn noch in Betracht?
DOKTOR REUMANN. Meine Chancen wären jetzt gewiß nicht übel. Aber ich habe es vorgezogen, zu verzichten.
FRAU WEGRAT. Wie?
DOKTOR REUMANN. Ich nehme eine Berufung nicht an.
FRAU WEGRAT. Sind Sie so abergläubisch?
FELIX. Sind Sie so stolz?
DOKTOR REUMANN. Keines von beiden. Aber der Gedanke, irgend einen Vorteil dem Malheur eines andern zu verdanken, wäre mir außerordentlich peinlich. Meine halbe Existenz wäre mir vergällt. Sie sehen, das ist weder Aberglaube noch Stolz, es ist ganz gemeine, kleinliche Eitelkeit.
SALA. Das ist raffiniert, Herr Doktor.
FRAU WEGRAT. Ich höre aus alldem nur, daß Sie bleiben. Ja, so niedrig beginnt man zu denken, wenn man krank ist.
DOKTOR REUMANN absichtlich abschweifend. Nun, Felix, wie behagt's Ihnen denn in Ihrer Garnison?
FELIX. Sehr gut.
FRAU WEGRAT. Bist du also ganz zufrieden, mein Kind?
FELIX. Ich bin euch sehr dankbar. Dir besonders, Mama.
FRAU WEGRAT. Warum mir besonders? Die letzte Entscheidung stand ja doch beim Vater.
DOKTOR REUMANN. Ihm wäre es natürlich lieber gewesen, wenn Sie einen friedlicheren Beruf erwählt hätten.
SALA. Es gibt ja heutzutage gar keinen, der friedlicher wäre.
FELIX. Da haben Sie recht, Herr von Sala. – Übrigens hab' ich Ihnen Grüße vom Oberstleutnant Schrotting zu überbringen.
SALA. Danke sehr. Denkt denn der noch an mich?
FELIX. Nicht er allein. Wir werden ja häufig an Sie erinnert; – bei jeder Mahlzeit. Ihr Porträt hängt ja unter manchen andern von gewesenen Offizieren unseres Regiments im Kasino.
Johanna, Sala, Doktor Reumann, Felix, Frau Wegrat. – Professor Wegrat tritt auf.
WEGRAT. Guten Abend. – Wie, Felix, du bist wieder da? Das ist aber eine Überraschung!
FELIX. Guten Abend, Papa. Ich habe mir auf zwei Tage Urlaub genommen.
WEGRAT. Urlaub ... Urlaub? Ist's wirklich einer? Oder ist's nicht etwa wieder so ein kleiner Geniestreich?
FELIX leicht, nicht verletzt. Ich pflege doch nicht die Unwahrheit zu reden, Vater.
WEGRAT auch scherzend. Ich wollte dich nicht beleidigen, Felix. Auch wenn du fahnenflüchtig geworden wärst, die Sehnsucht nach der Mutter dürfte als genügende Entschuldigung gelten.
FRAU WEGRAT. Die Sehnsucht nach den Eltern!
WEGRAT. Natürlich – nach uns allen. Aber da du jetzt etwas leidend bist, bist du die Hauptperson. – Nun, wie geht's, Gabriele? Besser, nicht wahr? Leise, beinahe schüchtern. Meine Liebe ... Streichelt ihr Stirn und Haare. Liebe ... Die Luft ist so lind.
SALA. Es ist ein wundervoller Herbst.
DOKTOR REUMANN. Sie kommen jetzt erst aus der Akademie, Herr Professor?
WEGRAT. Ja. Ich bin ja jetzt auch Direktor, da gibt's eine ganze Menge zu tun – und nicht immer Amüsantes und Dankbares. Aber wie man behauptet, bin ich dazu geschaffen. Es wird wohl so sein. Lächelnd. Wie irgendwer einmal über mich sagte: Kunstbeamter.
SALA. Seien Sie nur nicht ungerecht gegen sich, Herr Professor.
FRAU WEGRAT. Wahrscheinlich bist du auch wieder den ganzen langen Weg zu Fuß gegangen?
WEGRAT. Ich habe sogar einen kleinen Umweg gemacht – über die Türkenschanze. Ich liebe diesen Weg so sehr. An Abenden wie heute liegt die ganze Stadt unten wie in silbernen Hauch gebadet. – Übrigens hab' ich dir Grüße zu bringen, Gabriele. Ich bin Irene Herms begegnet.
FRAU WEGRAT. Sie ist in Wien?
WEGRAT. Vorübergehend. Sie will dich dieser Tage besuchen.
SALA. Ist sie noch in Hamburg engagiert?
WEGRAT. Nein. Sie hat die Bühne verlassen, wie sie mir erzählt, und lebt bei ihrer verheirateten Schwester auf dem Land.
JOHANNA. Ich habe sie einmal in einem Stück von Ihnen spielen sehen, Herr von Sala.
SALA. Da müssen Sie aber noch ein ganz kleines Mädchen gewesen sein.
JOHANNA. Sie gab eine spanische Prinzessin.
SALA. Leider. Prinzessinnen waren ihre Sache wahrhaftig nicht. Sie hat ihr Lebtag keine Verse sprechen können.
DOKTOR REUMANN. Und daran denken Sie heute noch, Herr von Sala, daß irgend eine Dame irgend einmal Ihre Verse schlecht gesprochen hat?
SALA. Warum sollt' ich nicht, lieber Doktor? Wenn Sie im Mittelpunkt der Erde wohnten, wüßten Sie, daß alle Dinge gleich schwer sind. Und schwebten Sie im Mittelpunkt der Welt, dann ahnten Sie, daß alle Dinge gleich wichtig sind.
FRAU WEGRAT. Wie sieht sie denn aus?
WEGRAT. Sie ist noch immer recht hübsch.
SALA. Ob sie noch Ähnlichkeit mit ihrem Bild bewahrt hat, das im Museum hängt?
FELIX. Was ist das für ein Bild?
JOHANNA. Es hängt ein Bild von ihr im Museum?
SALA. Sie kennen es gewiß. »Schauspielerin« ist es im Katalog benannt, schlechtweg »Schauspielerin«. Ein junges Weib in einem Harlekinskostüm, darüber eine griechische Toga geworfen, ihr zu Füßen ein Gewirr von Masken. Ganz allein, den starren Blick auf den Zuschauerraum gerichtet, steht sie auf einer leeren, halb dunkeln Bühne, zwischen Kulissen, die nicht zueinander passen. Ein Stück Zimmerwand, ein Stück Wald, ein Stück Burgverließ ...
FELIX. Und der Hintergrund stellt eine Landschaft im Süden vor, mit Palmen und Platanen ...?
SALA. Ja. Die halb aufgerollt ist, so daß man weiter rückwärts einen Haufen von Möbeln, Stufen, Bechern, Kronen im hellen Tageslicht schimmern sieht.
FELIX. Das ist ja das Bild von Julian Fichtner?
SALA. Freilich.
FELIX. Ich wußte gar nicht, daß die Frauengestalt Irene Herms darstellen sollte.
WEGRAT. Das sind nun mehr als fünfundzwanzig Jahre, daß er das Bild gemalt hat. Es machte gewaltiges Aufsehen damals. Es war sein erster großer Erfolg. Und heute gibt es vielleicht eine ganze Menge von Leuten, die seinen Namen nicht mehr kennen. – Übrigens hab' ich Irene Herms nach ihm gefragt. Aber seltsam, auch die »ewige Freundin« weiß nicht, wo in der Welt er sich herumtreibt.
FELIX. Ich hab' ihn erst vor wenigen Tagen gesprochen.
WEGRAT. Wie?! Du hast Julian Fichtner gesehen? Er war in Salzburg? ... Wann denn?
FELIX. Es sind erst drei oder vier Tage her. Er hat mich aufgesucht, und wir haben einen Abend miteinander verbracht.
FRAU WEGRAT wirft einen Blick auf Doktor Reumann.
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