Paris, den 23. August 17..
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Achtundzwanzigster Brief
Der Chevalier Danceny an Cécile Volanges
Wie, mein Fräulein, Sie wollen mir immer noch nicht antworten? Kann Sie denn gar nichts milder stimmen? Und jeder Tag nimmt die Hoffnung, die er brachte, wieder mit sich fort. Was für eine Freundschaft, die Sie zugeben, besteht denn zwischen uns, wenn die Ihre nicht einmal stark genug ist, sich meiner Leiden zu erbarmen? Wenn Sie kalt und ruhig zusehen, wie in mir ein Feuer brennt, das ich nicht zu löschen vermag? Wenn diese Freundschaft, weit davon Ihnen Vertrauen einzuflößen, nicht einmal so groß ist, Ihr Mitleid zu wecken? Ihr Freund leidet und Sie tun nichts, um ihm zu helfen. Er verlangt bloß ein Wort von Ihnen und Sie versagen es ihm und wollen, daß er sich mit einem so schwachen Gefühle begnügt, dessen Versicherung Sie sich zu wiederholen fürchten!
Sie wollen nicht undankbar sein, sagten Sie gestern. Glauben Sie mir, mein Fräulein, mit Freundschaft die Liebe erwidern wollen, das heißt nicht die Undankbarkeit fürchten, das heißt nur Angst haben, undankbar zu scheinen. Doch nichts mehr von meinen Gefühlen, die Ihnen ja nur lästig sind, weil sie Sie nicht interessieren; ich muß sie in mich verschließen, bis ich sie unterdrücken lerne. Ich weiß, wie schwer mir das werden wird, und ich täusche mich darüber nicht, daß ich alle meine Kräfte dazu brauchen werde; aber ich will alle Mittel versuchen, von denen mir eines ganz besonders schwer wird, und das ist, Ihnen immer wieder zu sagen, wie fühllos Ihr Herz ist. Ich will sogar versuchen, Sie seltener zu sehen, und ich beschäftige mich schon damit, einen plausiblen Grund dafür zu finden.
Ach, ich soll die süße Gewöhnung aufgeben, Sie jeden Tag zu sehen! Ein ewiges Unglücklichsein wird meine zärtliche Liebe lohnen und Sie werden es so gewollt haben, und es wird Ihr Werk sein! Niemals, das fühle ich, werde ich das Glück wiederfinden, das ich heute verliere. Sie allein waren für mich geschaffen, und wie gerne würde ich das Gelübde tun, nur für Sie zu leben! Sie aber wollen es nicht annehmen, und Ihr Stillschweigen lehrt mich zur Genüge, daß Ihr Herz nichts für mich empfindet. Das ist der sicherste Beweis Ihrer Gleichgültigkeit, und die grausamste Art, es mich wissen zu lassen. Leben Sie wohl, mein Fräulein.
Ich darf nicht mehr auf eine Antwort hoffen; die Liebe hätte sie eilig geschrieben, die Freundschaft mit Vergnügen und selbst das Mitleid mit Gefälligkeit. Aber Mitleid, Freundschaft und Liebe sind Ihrem Herzen gleich fremd.
Paris, den 23. August 17..
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Neunundzwanzigster Brief
Cécile Volanges an Sophie Carnay
Ich habe Dir zwar selbst gesagt, Sophie, daß es Fälle gibt, in denen man schreiben darf, und doch versichere ich Dir, daß ich mir Vorwürfe mache, Deinem Rat gefolgt zu sein, der dem Chevalier Danceny und mir viel Kummer bereitet hat. Die Probe, daß ich recht hatte, ist, daß Frau von Merteuil, die das gewiß gut versteht, schließlich auch gedacht hat wie ich. Ich habe ihr alles gestanden. Erst sprach sie gerade so wie Du, aber nachdem ich ihr alles erzählt hatte, gab sie zu, daß da doch ein Unterschied wäre; sie verlangt nur, daß sie alle meine Briefe zu sehen bekommt, ebenso diejenigen des Chevaliers, um sicher zu sein, daß ich nichts als das Notwendigste sage. Jetzt fühle ich mich ruhig. Gott, wie ich diese Frau von Merteuil liebe! Sie ist so gut und eine so achtbare Dame. Und so ist alles in Ordnung.
Nun will ich gleich an Herrn Danceny schreiben, und wie froh wird er sein! Mehr noch als er erwartet; denn bis jetzt sprach ich nur von meiner Freundschaft für ihn, und er wollte immer, ich sollte von meiner Liebe sprechen. Ich glaubte eben, das wäre dasselbe, aber ich traute mich nicht, er aber wollte es. Ich sagte es Frau von Merteuil und sie sagte, ich hätte recht getan, und daß man nur von Liebe sprechen soll, wenn man nicht mehr anders könne. Jetzt bin ich aber überzeugt, daß ich es nicht mehr länger verbergen kann, und im übrigen ist es ja dasselbe und es wird ihm um so mehr Freude machen. Frau von Merteuil sagte mir, sie würde mir auch Bücher leihen, die von all dem handeln und die mich lehren würden, mich richtig darin zu betragen, und auch besser zu schreiben als ich es tue. Denn siehst Du, sie macht mich auf alle meine Fehler aufmerksam, und das ist doch ein Beweis, daß sie mich sehr liebt. Sie hat mir nur empfohlen, Mama nichts von den Büchern zu sagen, weil das aussehen könnte, als hätte Mama meine Erziehung vernachlässigt und das könnte sie ärgern. Ich werde ihr auch nichts davon sagen.
Es ist doch eigentlich sonderbar, daß eine Frau, die kaum mit mir verwandt ist, sich mehr um mich kümmert als meine Mutter. Es ist wirklich ein Glück für mich, mit ihr bekannt zu sein. Sie hat Mama gebeten, daß sie mich übermorgen in die Oper mitnehmen dürfe in ihre Loge und sie sagte mir, daß wir ganz allein sein werden und daß wir uns die ganze Zeit dabei unterhalten können ohne zu fürchten, daß man uns dort hört. Und das ist mir noch lieber als die Oper. Wir werden uns auch über meine Heirat unterhalten; denn sie sagte mir auch, daß das wahr wäre mit dem Verheiraten, aber mehr wüßte sie auch nicht darüber. Ist das nicht sehr wunderlich, daß Mama mir nichts darüber sagt?
Adieu, meine Sophie, ich schreibe jetzt an den Chevalier Danceny. O, ich bin so glücklich!
Paris, den 24. August 17..
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Dreissigster Brief
Cécile Volanges an den Chevalier Danceny
Endlich, mein Herr, willige ich darein, Ihnen zu schreiben, um Sie meiner Freundschaft zu versichern, meiner Liebe, weil Sie ohne die unglücklich wären. Sie sagen, ich hätte kein gutes Herz, aber ich versichere Ihnen, daß Sie sich irren und hoffe, daß Sie jetzt nicht mehr daran zweifeln werden. Wenn Sie Kummer darüber hatten, daß ich Ihnen nicht schrieb, so glauben Sie mir, daß es auch mir leid tat. Aber ich möchte um alles nichts tun, was unrecht wäre, und ich hätte ganz sicher meine Liebe nicht zugegeben, wenn ich es hätte anders machen können, aber Ihre Traurigkeit tat mir so leid. Ich hoffe, daß sie jetzt vorüber ist, und daß wir sehr glücklich sein werden.
Ich rechne bestimmt darauf, Sie heute Abend zu sehen und daß Sie früh kommen werden – es wird doch nie so früh sein als ich es mir wünsche. Mama wird zu Hause speisen und ich glaube, sie wird Ihnen vorschlagen zu bleiben – ich hoffe, Sie sind nicht vergeben wie vorgestern Abend. War es denn so amüsant, das Souper, zu dem Sie gingen? Denn Sie sind schon sehr früh hingegangen. Aber, sprechen wir nicht davon. Jetzt, da Sie wissen, daß ich Sie liebe, hoffe ich, daß Sie so lange bleiben wie Sie können, denn ich bin nur zufrieden, wenn ich mit Ihnen bin und möchte, daß es bei Ihnen auch so ist.
Es ärgert mich, daß Sie jetzt noch traurig sind, aber es ist nicht meine Schuld. Ich werde um meine Harfe bitten, sobald Sie da sind, damit Sie den Brief gleich haben. Ich weiß es nicht besser einzurichten.
Adieu! Ich liebe Sie sehr und von ganzem Herzen – je mehr ich Ihnen das sage, desto zufriedener bin ich und hoffe, daß Sie es auch werden.
Paris, den 24. August 17..
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Einunddreißigster Brief
Der Chevalier Danceny an Cécile Volanges
Ja, ja, wir werden glücklich sein! Mein Glück ist gesichert, weil ich von Ihnen geliebt bin und das Ihre wird kein Ende nehmen, wenn es so lange dauern wird, als die Liebe, die Sie in mir erweckten. Sie lieben mich! Sie fürchten sich nicht mehr, mir Ihre Liebe zu gestehen! Und je öfter Sie es mir sagen, desto zufriedener sind Sie! Als ich dieses entzückende »Ich liebe Sie« las, glaubte ich das Geständnis aus Ihrem süßen Munde zu hören. Ich sah diese Augen auf mich gerichtet, die die Zärtlichkeit noch schöner macht. Ich bekam Ihr Wort, immer für mich leben zu wollen. Ach! mein ganzes Leben will ich Ihrem Glücke weihen! Nehmen Sie es hin und seien Sie versichert, daß ich es nie verraten werde.
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