„Oh nein!“, rief Isabel verzweifelt.
Fragend sah Jane Isabel ins Gesicht. „Du liebst ihn noch immer, habe ich Recht? Und jetzt machst Du Dir Sorgen, dass ihm dort etwas zustoßen könnte?!“ Isabel errötete und wich Janes Blicken aus. Jane strahlte prompt über das ganze Gesicht. „Wenn ich das Harry erzähle, dann kommt er bestimmt schon nächste Woche wieder heim und verlängert seinen Auslandsaufenthalt nicht!“
„Oh Jane, bitte nicht! Sag Harry bitte nichts davon!“, bat Isabel.
„Und warum nicht?“ Jane verstand nur Bahnhof.
„Weil es so, wie es jetzt ist, besser ist.“
„Glaubst Du das wirklich? Schau Dich doch nur einmal im Spiegel an; Du siehst furchtbar aus! Isst Du überhaupt noch etwas? Ich hätte Dich beinahe nicht erkannt, nur Deine dunkelgrünen Augen haben Dich eben verraten“, erklärte Jane. Isabel sah betreten zu Boden. Jane seufzte. „Gib Harry wenigstens noch einmal die Chance sich Dir zu erklären, es würde Euch beiden sicher sehr helfen. Wenn Du ihm anschließend dann den Laufpass gibst, kann er, glaube ich, damit wenigstens leben. Im Moment läuft er nämlich im Grunde nur vor allem weg und lässt sich nicht anmerken, wie sehr es ihn mitnimmt, dass es bei Eurem letzten Aufeinandertreffen zur Katastrophe kam“, sagte Jane weiter.
Isabel verdrehte prompt die Augen. „Erinnere mich bloß nicht daran! Nicht nur, dass Harry an dem Abend meinen Vater zu Boden gestreckt hat. Nein, auch meine Mum bekam in der Nacht noch einen Herzinfarkt! Wahrscheinlich durch den ganzen Stress, der anschließend folgte? Ich musste ganz schöne Überredungskunst aufbieten, um meinen Vater davon abzubringen eine Strafanzeige gegen Harry zu stellen.“
„Und wie geht es Deiner Mutter jetzt?“
„Sie liegt noch immer im Krankenhaus, aber sie ist schon fast wieder die Alte. Gott sei Dank!“
„Das freut mich zu hören und ich wünsche weiterhin gute Besserung.“
Isabel nickte.
„So, ich glaube, es geht weiter“, sagte Jane mit Blick auf die Uhr. „Meinst Du, Du kannst weitersingen oder habe ich Dich jetzt gänzlich aus dem Konzept gebracht?“
Isabel atmete noch einmal tief durch. „Ich denke, es geht schon. Ich habe ja auch noch einen kleinen Moment, um mich zu sammeln.“
Jane nickte und ging voran. Isabel folgte ihr die Treppe hinunter und schon begann der Contest von Neuem: Die fünf besten Bands traten gegeneinander an; jeder mit einem Lied, das diesmal jedoch die Jury bestimmte. Die Bax’ Toys waren die Letzten, da sie als einzige 30 Punkte erhalten hatten. Das Lied, welches sie vortragen sollten, war der Song ‚Mad World‘.
Isabel sprach sich kurz mit den Bandmitgliedern ab. Daraufhin holten der Schlagzeuger und der Bassist zwei Barstühle auf die Bühne. Anschließend verließen sie gemeinsam mit dem Saxophonisten die Bühne. Nur noch der Keyboarder, Anabels Bruder, der nunmehr selbst zur Gitarre griff, und Isabel waren dort, setzten sich auf die zwei Barhocker und stellten sich ihre Mikrophone ein: Der junge Mann seines auf seine E-Gitarre gerichtet, das Mädchen stellte sich ihres direkt vor ihre Lippen. Mit einem fragenden Blick vergewisserte sie sich, dass der Gitarrist bereit war, was er mit einem Nicken bestätigte und schon griff sie nach dem Mikrophonständer. „Dieses Lied wird eine Unplugged-Version und ich widme es unseren Leuten dort draußen an der Front, ob in Afghanistan, auf hoher See oder wo ihr sonst noch in der Welt verstreut Euren Dienst macht: Jungs, ihr leistet einen tollen Job, aber passt ja schön auf Eure Hintern auf! Die brauchen wir nämlich noch; hier im eigenen Land. In Gedanken sind wir bei Euch …“ Sofort erhielt Isabel lauten Beifall und Bestätigungsrufe.
„Auf unsere Jungs! Also legt los“, beendete Jane den aufgekommenen Lärmpegel und sofort beruhigten sich alle wieder. Jane und Isabel hielten dabei direkten Augenkontakt. Isabel schloss daraufhin die Augen, um sich zu sammeln.
Es war mucksmäuschenstill, als Isabel dann begann, sinnlich zu singen; nur ihre Stimme und sonst nichts. Erst zum Ende der ersten Strophe setzte dann auch der junge Mann leise mit der E-Gitarre ein. Jane war perplex, denn ihr war nicht bewusst gewesen, dass man sogar auf solch einem ausdrucksstarken Instrument so zart und leise spielen konnte. Sie bekam eine Gänsehaut und sie war nicht die Einzige. Denn plötzlich tauchte William hinter ihr auf, der die ganze Zeit zuvor an der Bar herumgelungert hatte und legte ihr seine Hände auf die Schultern. Eine davon ergriff Jane. „Ich liebe Dich“, flüsterte er. Jane nickte und drückte zur Bestätigung fest seine Hand. Anschließend blickte sie wieder aufmerksam zur Bühne. Sie musste unweigerlich schlucken, als sie sah, dass Isabel eine einzelne Träne über die Wange lief. Jane war sofort klar, wem der salzige Tropfen galt: Harry! – Und Isabel konnte behaupten, was sie wollte, Jane wusste es ganz genau: Isabel war noch lange nicht über die Trennung von Harry hinweg! Das gab ihr die Hoffnung, dass die beiden doch noch wieder zueinanderfanden …
Mit einem begeisterten Beifall endete Isabels Lied und jeder im Raum wusste gleich, welche Band gewonnen hatte.
Nach der Siegerehrung ließen sich die Jungs von den Bax’ Toys feiern. Isabel allerdings hatte nur noch einen Wunsch, sie wollte nach Hause. Oben an der Treppe traf sie erneut auf Jane.
„Willst Du nach Hause?“, fragte Jane ahnend.
„Ja, ich nehme mir ein Taxi. Alex und die Jungs wollen noch ein wenig feiern und es ist auch ihr gutes Recht“, erklärte Isabel.
„Du nimmst Dir aber kein Taxi, Daniel wird Dich fahren. Und keine Widerrede! Gute Nacht, Isabel.“
Als Isabel zu Hause ankam, saß zu ihrer Überraschung ihr Vater in der Küche und trank einen großen Pott Milch. „Du bist schon zurück?“, fragte er auch sogleich.
Isabel warf einen Blick auf die große Küchenuhr, es war gerade erst ein Uhr in der Nacht.
„Sieht ganz so aus“, kam es matt von Isabel. Im Grunde wollte sie nur noch in ihr Bett.
„Und wie war es? Konntet ihr einen guten Platz belegen?“, fragte ihr Vater weiter.
Isabel lächelte prompt. „Wir haben sogar gewonnen!“
„Oh! Na, da wird sich Anabel aber freuen.“
„Ja, das wird sie! Und warum bist Du noch auf, kannst Du nicht schlafen?“, fragte nunmehr Isabel ihren Vater. Keith Canningham seufzte tief und anhaltend. „Was ist los, Dad? Ist etwas mit Mum?!“, kam es sogleich besorgt von ihr.
„Nein, mit Deiner Mum ist alles in Ordnung. Die Ärzte sagen, wenn sie weiter solche Fortschritte macht, kann sie in vierzehn Tagen wieder nach Hause.“
„Na, das ist doch toll! Warum machst Du dann aber solch ein miesepetriges Gesicht?“
Abermals seufzte Isabels Vater, ehe er antwortete: „Ich soll morgen für drei Wochen eine Tour nach Frankreich übernehmen.“
„Na, das ist doch schön! Freu Dich doch, dass Du wieder Geld verdienen kannst. Wir werden es sicherlich gut gebrauchen können, wenn Mum zurückkommt?!“, sagte Isabel.
„Aber ich kann Dich und Deine Mutter doch jetzt nicht alleine lassen!“, kam es aufgebracht von Keith Canningham.
„Und warum das nicht?“ Irritiert davon, dass Isabel anscheinend nicht verstand, schaute Keith ihr ernst ins Gesicht. „Ach Dad, ich werde siebenundzwanzig! Meinst Du nicht auch, ich bin langsam alt genug, um allein auf mich aufpassen zu können? Und Mum ist in der Klinik und wird rund um die Uhr versorgt. Wir kommen schon die paar Tage ohne Dich zurecht.“
„Aber Lindsay wird vor meiner Rückkehr entlassen!“, rief Mister Canningham aufgebracht.
„Du sagtest doch aber eben selbst, dass mit Mama alles wieder in Ordnung ist?! Vorher ist sie auch ohne Dich klargekommen, warum sollte sie es denn dann jetzt nicht mehr können? Außerdem bin ich doch auch noch da! Zur Not mache ich für eine Woche den Kindergarten zu, das ist überhaupt kein Problem! Also höre bitte auf, uns immer wie zweijährige und unselbstständige Kinder zu behandeln!“, brach es einfach so aus Isabel heraus; ihre Nerven lagen schlicht und ergreifend blank. Sofort schaute ihr Vater erbost zu ihr auf. Isabel ging automatisch gleich drei Schritte rückwärts. „Verzeihung, das war nicht so gemeint!“, wisperte Isabel.
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