»Pferdedieb!« rief mir jetzt der Mormone in verächtlichem Tone zu. »Der berühmte Old Shatterhand ist also auch weiter nichts, als ein gewöhnlicher Spitzbube!«
Anstatt mich beleidigt zu zeigen, band ich ihm die Fesseln auf und antwortete:
»Da habt Ihr Eure Freiheit wieder, Master Meuchelmörder. Trollt Euch von dannen, und sagt dem
Haziendero, daß ich diese Pferde notgedrungen von ihm geliehen habe. Wahrscheinlich bekommt er sie wieder, oder doch eine Bezahlung dafür. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so mag er sich diesen kleinen Verlust auf sein eigenes Conto schreiben. Euch selbst gebe ich den Rat, Eure Hände möglichst rasch einrenken zu lassen und sie durch feste Verbände zu schützen, sonst möchte es sich leicht ereignen, daß Ihr sie nie wieder so wie früher gebrauchen könnt. Um Euretwillen will ich wünschen, daß wir uns nicht wiedersehen, da ich überzeugt bin, daß ein Zusammentreffen von bösen Folgen für Euch sein würde.«
»Oder auch für dich! Nimm dich in acht vor mir, und sei verdammt, du Schuft!«
Indem er mir diese grimmigen Worte zuwarf, eilte er davon. Hätte ich den Kerl nicht geschont, sondern ihm eine Kugel gegeben, so wäre viel Unglück verhütet worden. Aber darf man denn einen Menschen wie ein Raubtier niederschießen! Seine Waffen besaß er natürlich nicht mehr; ich hatte sie an mich genommen, auch die Munition. Der übrige Inhalt seiner Taschen war selbstverständlich nicht angerührt worden.
Nun wurden vor allen Dingen die Pferde gesattelt; dann ritten wir fort, um zunächst von der Stelle zu kommen, an welcher ein baldiger unliebsamer Besuch zu erwarten war. Welche Richtung wir dabei einschlugen, war Nebensache, da ich mich entschlossen hatte, bis auf weiteres in dieser Gegend zu bleiben. Indem unsere Pferde langsam durch das Gras schritten, erkundigte ich mich:
»Wann werden meine roten Brüder, wenn sie schnell reiten und keine Zeit verlieren, ihre Krieger erreichen?«
»In drei Tagen,« antwortete der ältere. Der jüngere sprach überhaupt nur dann ein Wort, wenn ich mich direkt an ihn wendete. Das ist den Gewohnheiten der Indianer gemäß, bei denen der ältere dem jüngern stets voransteht, sodaß die meisten Dialekte besondere Ausdrücke für ältern oder jüngern Bruder, ältere oder jüngere Schwester haben. Auch ist das Wort Sohn, vom Vater ausgesprochen, ein anderes als aus dem Munde der Mutter. So heißt z. B. im Navajo »mein älterer Bruder« Schinai, »mein jüngerer Bruder« Se tsela, »mein Sohn«, vom Vater gesagt, Schi yeh, »mein Sohn«, von der Mutter angeredet, Se tse, »ältere Schwester« heißt Sche la und »Jüngere Schwester« Eteh.
»Der starke Büffel, euer Vater, befindet sich jetzt bei seinem Stamme?« erkundigte ich mich weiter. »Ja. Er wird sehr stolz darauf sein, Old Shatterhand bei sich zu sehen.«
»Wir werden uns begrüßen, obgleich es mir unmöglich ist, ihn aufzusuchen. Ich muß ihn bitten lassen, zu mir zu kommen. Seine beiden wackern Söhne mögen ihm erzählen, was ich ihnen jetzt sagen werde. Es sind Männer, Frauen und Kinder aus meinem Vaterlande über das große Wasser herübergekommen, welche auf der Hazienda del Arroyo arbeiten wollen. Der Weiße, welcher unser Gefangener war und Melton heißt, hat einen bösen Plan mit ihnen, welchen ich leider noch nicht durchschauen kann. Höchst wahrscheinlich hat er den Häuptling der Yumas herbeigerufen, welcher die Hazienda überfallen soll. Ich ging zum Haziendero, um ihn zu warnen; er hat mich ausgelacht. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und würde mich um ihn nicht weiter kümmern, wenn ich nicht meine weißen Brüder und Schwestern mit ihren Kindern retten müßte. Ich allein vermag das nicht, denn ich kann doch nicht mit allen Kriegern der Yumas kämpfen. Darum lasse ich den tapfern Häuptling der Mimbrenjos, euern Vater, bitten, mir zu Hilfe zu kommen, und ich hoffe, daß er mir die Erfüllung dieses Wunsches nicht versagen wird.«
»Er wird sofort herbeieilen, denn er hat zwei triftige Gründe dafür.«
»Welche?« fragte ich, obgleich ich wußte, was er antworten würde.
»Er hat mit Old Shatterhand die Pfeife der Freundschaft getrunken und müßte verachtet werden, wenn er dem Rufe nicht augenblicklich Folge leistete. Außerdem weiß mein großer, weißer Bruder, was geschehen ist. Der große Mund, der Anführer der Yumas, hat uns überfallen, um uns zu töten. Es ist ihm nicht gelungen, weil Old Shatterhand uns gerettet hat, aber dennoch muß der Yuma es mit seinem Blute bezahlen. Die Freundschaft und die Rache werden also die Führerinnen sein, denen unser tapferer Vater folgen wird.«
»So meinst du, daß er in sechs Tagen hier in dieser Gegend sein kann?« »Ja, drei Tage hin und drei Tage her. Wieviel Krieger soll er mitbringen?«
»Ich weiß nicht, wie stark die Yumas sein werden; aber zum Ueberfalle einer Besitzung, wie die Hazienda del Arroyo ist, gehören wohl an die hundert Mann; es würden also ebenso viele von euren Kriegern nötig sein. Ich wünsche, daß sie sich mit getrocknetem Fleisch versehen, da sie keine Zeit finden werden, sich durch die Jagd zu verproviantieren.«
»An welchem Orte werden sie Old Shatterhand treffen?«
»Ich bin noch nicht in dieser Gegend gewesen, und kann also im Augenblick keinen passenden Ort bestimmen. Wir werden aber, ehe wir uns trennen, einen solchen finden. Ich habe noch einen weitern Auftrag. Mein junger Bruder weiß, daß ich Winnetou, dem großen Häuptlinge der Apatschen, mein Leben geschenkt, und dafür das seinige erhalten habe. Wir haben uns verabredet, uns in kurzer Zeit an einem bestimmten Orte zu treffen, und ich kann mich nun nicht pünktlich einstellen, weil ich jetzt an die Hazienda del Arroyo gebunden bin. Ich lasse also deinen Vater bitten, Winnetou einen sichern Boten zu senden, um ihn zu benachrichtigen, daß und warum ich nicht kommen kann.«
»Wenn Old Shatterhand mir den Ort des Zusammentreffens angeben will, wird der Bote den berühmtesten Häuptling der Apatschen nicht verfehlen. Mein jüngerer Bruder und unsere Schwester, die Squaw, mögen die Beschreibung mit anhören, um sie unserm Vater zu überbringen.«
»Diese beiden? Du also nicht? Warum?«
Er zögerte eine kleine Weile, räusperte sich dann verlegen und antwortete:
»Mein jüngerer Bruder wird mit der Schwester unsern Stamm aufsuchen; ich aber bleibe hier zurück.« »Zu welchem Zwecke?«
»Um den Häuptling der Yumas aufzusuchen, und dann nicht aus dem Auge zu lassen, damit ich unsere Krieger, sobald sie kommen, benachrichtigen kann, wo er sich befindet.«
»Das alles werde ich ja thun!«
»Ich weiß es. Old Shatterhand ist ein großer Krieger; ich aber bin ein Knabe und besitze noch nicht einmal einen Namen; darum muß ich thun, was Old Shatterhand mir gebietet. Wenn er mich fortschickt, so gehe ich; aber mein Herz würde sehr betrübt darüber sein, denn ich will auf der Spur des großen Mundes liegen, bis ich Rache genommen habe; ich will mir einen Namen erwerben, bei welchem man mich nennt, wenn ich in die Hütten unseres Stammes zurückkehre. Mein großer Bruder erlaube mir also, zu bleiben! Ich darf zwar nicht hoffen, daß er mich bei sich behält, denn er bedarf meiner nicht, doch wenn er so gütig sein wollte, mich in seinem Schatten wandeln zu lassen, so könnte ich mich wenigstens seines Pferdes annehmen, so oft ihm dasselbe hinderlich wird.«
Er hatte das in zagendem Tone gesprochen. Es war allerdings ein sehr ungewöhnlicher Wunsch, den er aussprach, doch eben daß er die Bitte wagte, war in meinen Augen eine Empfehlung für ihn. Jeder Indianer, selbst ein jeder bewährte Krieger, hätte abgewartet, ob ich ihn zum Bleiben auffordern würde oder nicht; dieser Knabe aber war so mutig, den Wunsch auszusprechen. Ich begriff gar wohl, wie sehr ihm daran liegen mußte, denselben erfüllt zu sehen. Wenn er bei mir bleiben durfte, so war dies ein Umstand, um welchen ihn sicher alle Mimbrenjos beneideten. Er gefiel mir; sein Vater war mein Freund, zwei Gründe, ihm keine abschlägige Antwort zu geben. Und dazu kam, daß ich ihn allerdings sehr gut gebrauchen konnte. Ich wollte die Hazienda umschleichen, um zu erfahren, was auf derselben vorging, und durfte mich dabei nicht sehen lassen. Das Pferd brauchte ich, um gegebenen Falles schnell von Ort zu Ort zu kommen; im übrigen war es mir hinderlich. Ich hatte stunden-, ja vielleicht sogar tagelang in der Nähe der Hazienda auf der Lauer zu liegen; da konnte das Pferd leicht zum Verräter werden. Wie vorteilhaft war es da, den Knaben bei mir zu haben! Er hatte übrigens denselben Gedanken ausgesprochen, als er sagte, daß er sich wenigstens meines Pferdes annehmen könne, falls mir dasselbe hinderlich sei. Ich antwortete dennoch nicht sofort, und darum meinte er nach einer kleinen Weile:
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