Seine Begleiter stiegen auch ab, und wir thaten dasselbe, doch folgten wir nicht gleich seiner Aufforderung, sondern musterten zunächst unsere Umgebung. Oberhalb der Stelle, an welcher wir uns befanden, lagen wiederkäuend vielleicht ein Dutzend prächtiger Reitkamele, wie ich sie hier zu Lande so edel noch nicht gesehen hatte. Unweit davon sahen wir die doppelte Anzahl Reitsättel und alles Dazugehörige am Felsen liegen. Noch weiter oben weideten drei hochedle Pferde; sie waren in einem Pferche eingeschlossen, welcher aus in die Erde gesteckten Lanzen bestand, um die man, von einer zur andern, Palmenfaserstricke gezogen hatte. Schon der Umstand, daß man die Tiere in der Weise von den andern abgesondert hatte, ließ auf ihren Wert schließen; den Kenner aber mußte ihr Anblick in Entzücken versetzen. Unweit davon lagen die Sättel, das Riemenzeug und die Schabracken. Der Scheik bemerkte, mit welcher Bewunderung ich diese Pferde betrachtete und sagte:
»Ihr Stammbaum reicht bis hinauf zur Lieblingsstute des Propheten. Diese Pferde sind mehr wert als sämtliche Herden unseres Stammes.«
Also in die Felsspalte sollten wir treten; sie war das »Haus des Besuches«, von welchem der Scheik gesprochen hatte! Ein eigentümliches Haus! Der Felsen war wohl an die fünfzig Ellen hoch; die Spalte reichte vielleicht bis zur Hälfte der Höhe hinauf, war aber so schmal, daß unten zu ebener Erde nur zwei
Mann stehen konnten, wenn sie sich zusammendrängten; sie war also weit eher ein Riß, als eine Spalte zu nennen. Neben ihr, oder vielmehr ungefähr zehn, zwölf Schritte von derselben, sickerte das Wasser aus der Erde und bildete einen kleinen Tümpel, dessen Inhalt selbst für Menschen sehr gut genießbar war.
Der Scheik mochte bemerken, daß die Spalte uns nicht so einladend erschien, wie er es wünschen mochte; darum sagte er:
»Es ist hier wirklich das Haus des Besuches, von welchem ich gesprochen habe. Die Spalte wird, sobald man hineingetreten ist, so breit, daß sie eine Murabba (* Zimmer, Stube.) bildet, in welcher mehr als zehn Menschen Platz finden können. Folgt mir nach!«
»Erlaube uns, zunächst für unsere Tiere zu sorgen!« bat ich.
»Meinst du, wir kennen die Pflichten der Gastfreundschaft so wenig, daß wir euch selbst die Arbeit machen lassen? Meine Leute werden eure Kamele tränken und eure Schläuche füllen.«
Jetzt war eine Weigerung, wenn wir ihn nicht beleidigen wollten, unmöglich. Und da er uns voranschritt, so gab es auch gar keinen Grund, seiner Aufforderung nicht Folge zu leisten. Wenn die Höhle eine Gefahr für uns barg, so befand er sich doch bei uns, und wir konnten ihn zwingen, teil an derselben zu nehmen.
»Da hinein?« fragte Winnetou, als er ihn in der schmalen Oeffnung verschwinden sah. »Wird mein Bruder ihm folgen?«
»Ja, er ist ja bei uns!«
»Wenn er uns aber betrügt!«
»Wir nehmen alle Waffen mit.«
Wir hatten die wenigen Worte englisch gesprochen. Emery sagte, als er sie hörte:
»Warum so zagen! Was soll der Scheik und was seine Leute von uns denken! Sie müssen uns für Feiglinge halten. Hinein also und ihm nach!«
Er folgte dem Scheik und wir ihm, nachdem wir unsere Waffen an uns genommen hatten. Solange ich meinen Henrystutzen besaß, brauchte ich mich vor keiner offenen Feindseligkeit zu fürchten. Vor einem arglistigen Angriffe aber konnte auch er mich freilich nicht bewahren.
Rechts neben der Spalte lag ein Stein, oder vielmehr er stand, und zwar eigentümlicherweise auf seiner Spitze. Er war ein Felsentrümmer von der ungefähren Gestalt der Hälfte einer von oben nach unten durchschnittenen ungeheuern Flasche. Diese halbe Steinflasche mochte wohl an die zwölf Zentner schwer sein und stand nicht mit ihrem Boden, sondern mit ihrem Halse auf der Erde. Dies konnte der reine Zufall sein und war mir nicht auffällig genug, irgend welches Bedenken in mir zu erregen.
Als wir den Eingang hinter uns hatten, sahen wir allerdings, daß das Innere des Spaltes geräumiger war, als man von draußen vermuten konnte. Zehn Mann hatten gut Platz. Der Raum bildete ein längliches Viereck, dessen Boden mit Bastmatten belegt war. In der Mitte lag ein besserer Teppich, auf welchem eine Sufra stand, ein kleines, höchstens zehn Zoll hohes Tischchen, wie man es häufig in Beduinenzelten findet. Gerade aufrichten konnte man sich allerdings nur in der Mitte des Raumes, weil er sich schnell nach oben verengerte. Und kühl war es hier, wunderbar kühl! Eine wahre Erquickung nach dem Sonnenbrande, dem wir draußen ausgesetzt gewesen waren.
Der Scheik setzte sich vor dem Tischchen nieder und winkte uns, seinem Beispiele zu folgen. Warum sollten wir das nicht thun, da wir uns nun einmal mit ihm hier befanden?
Kaum hatten wir uns bei ihm niedergelassen, so brachte uns ein junger Hirte drei kleine mit Wasser gefüllte Kalebassen, welche wir austranken; ein zweiter kam mit vier Tschibuks, einem Tabaksbeutel und einem kleinen Holzkohlenbecken. Der Scheik stopfte die Pfeifen selbst, gewiß eine außerordentlich seltene Ehrenerweisung, legte eigenhändig glühende Kohlen auf den Tabak, reichte jedem von uns eine Pfeife und meinte:
»Raucht mit mir! Der Tabak giebt Wolken des Duftes, weiche die Seele zum Himmel heben. Bald werden auch die Speisen kommen.«
Wir folgten seinem Beispiele und seiner Aufforderung und rauchten ein Kraut, welches den Verhältnissen angemessen gar nicht übel war; das thaten wir wortlos, da unser Wirt nicht sprach. Vielleicht hielt er das Schweigen für seiner Würde angemessen, vielleicht auch für einen Erweis seiner Höflichkeit und Ehrerbietung gegen uns.
Wir hatten die Tschibuks noch nicht ausgeraucht, so kam einer der Hirten wieder und brachte eine Schüssel mit kaltem Kuskussu, welche er auf das Tischchen stellte.
»Wie steht es mit dem Fleische, Selim?« fragte ihn der Scheik.
»Ich werde es gleich bringen,« antwortete der Gefragte, indem er sich entfernte.
»So bring doch auch gleich ---«
Er unterbrach sich, denn Selim war schon hinaus.
»Selim, Selim, hörst du!« rief er ihm nach.
Es erfolgte keine Antwort: da sprang er auf und eilte an den Spalt, um Selim den beabsichtigten Befehl nachzurufen. Wir hatten kein Arg und hinderten ihn also nicht, sich auf so wenige Schritte zu entfernen.
»Selim, Selim!« wiederholte er, indem er ganz hinaustrat.
»Herein muß er, herein!« meinte Winnetou, obgleich er nicht arabisch verstand.
Er sprang auf, um den Scheik zu fassen und hereinzuziehen, konnte seine Absicht aber nicht ausführen, denn noch ehe er die Oeffnung ganz erreicht hatte, geschah draußen ein dumpfer Fall und die Spalte schloß sich. Man hatte den vorhin beschriebenen, so eigenartig geformten Stein umgeworfen, und er stand nun gerade vor der Spalte, so hart vor derselben, daß man kaum einen Finger zwischen ihn und den Felsen stecken konnte.
»Heigh-ho!« rief Emery, indem er aufsprang.
»Winnetou hat es geahnt,« meinte der Apatsche, indem er zurückkehrte und sich so ruhig wieder niedersetzte, als ob nichts geschehen sei.
Ich sagte gar nichts. Draußen aber ließ sich ein Jubelgeschrei von vielen Stimmen hören. Es mußten jetzt viel mehr Menschen da sein, als wir vorhin gesehen hatten.
»Ich glaube gar, wir sind gefangen!« zürnte der Engländer.
Ich sagte auch jetzt noch nichts.
»So antworte doch!« forderte er mich auf. »Ich glaube, wir sind gefangen!« »Ist uns ganz recht! Warum haben wir nicht auf Winnetou gehört!«
»Well! Aber es gab keinen Grund zum Mißtrauen. Der Herr der Heerscharen hat selbst versichert, daß wir von den Meidscheri nichts zu fürchten haben!«
»Sind es Meidscheri?«
»Sie sagten es doch!«
»Der Scheik hat uns belogen. Wenn er wirklich zu diesem Stamme gehörte, würde er uns nicht in diese Falle gelockt haben!«
»Richtig! Aber zu welchem Stamme soll er dann gehören?« »Höchst wahrscheinlich zu den Uled Ayun.«
Читать дальше