»Hm! Ob sie überhaupt für gewiß annehmen, daß wir ihnen nachreiten?«
»Ganz sicher! Wäre dies nicht der Fall, so hätten sie sich nicht die Mühe gegeben, uns irre führen zu wollen, auch wären wir längst an ihre Lagerstelle gekommen. Sie sind die ganze Nacht fortgeritten.«
»Mein Bruder Scharlieh hat recht,« stimmte mir der Apatsche bei. »Sie haben gar nicht angehalten und sind weit vor uns, weil sie bessere Kamele besitzen als wir und weil wir gelagert haben. Wir müssen uns beeilen.«
Es stellte sich heraus, daß wir uns nicht geirrt hatten, denn wir ritten den ganzen Vormittag auf der immer undeutlicher werdenden Spur, ohne zu sehen, daß die beiden Reiter auch nur einmal abgestiegen waren.
Die Steppe war längst wieder in Sandwüste übergegangen. Jetzt trafen wir aber auf einzelne, spärliche Grashalme, welche nach und nach dichter und kräftiger wurden, und dann erkannten wir niedrige, lang gestreckte Hügel, welche sich vor uns im Osten erhoben und von Nord nach Süd zu streichen schienen.
»Das muß das Wadi Budawas sein,« sagte ich. »Hinter demselben liegen dann die Ruinen von El Khima, welche wir südlich liegen lassen müssen, um über den nördlichen Abhang des Dschebel Ussalat zu reiten.«
»Ich denke, wir müssen der Fährte folgen,« bemerkte Ernery.
»Allerdings; aber ich bin überzeugt, daß die Meltons denselben Weg einschlagen, weil er der bequemste nach der Küste ist.«
»Well! Doch, sind da drüben links nicht Reiter?«
Er deutete nach Nordost, wo sich allerdings einige bewegliche Punkte sehen ließen. Dieselben näherten sich uns schnell. Bald erkannten wir acht Beduinen, welche auf Pferden saßen. Sie hatten natürlich auch uns gesehen, kamen uns ein Stück entgegen und blieben dann halten, um uns zu erwarten. Sie waren gut bewaffnet, schienen aber keine feindlichen Absichten zu hegen. Ungefähr zwanzig Schritte vor ihnen hielten wir an, und ich grüßte:
»Sallam! Ist es das Wadi Budawas, welches da hinter den Höhen liegt?« »Ja,« antwortete derjenige, welcher der Anführer zu sein schien. »Zu welchem Stamme gehört ihr?«
»Wir sind Krieger der Meidscheri und waren auf der Gasellenjagd. Wir haben kein Wild getroffen und kehren nach dem Wadi zurück, in welchem unsere Herden weiden.«
»Wann seid ihr zur Jagd ausgeritten?« »Heute, als der Morgen tagte.«
»So könnt ihr mir eine Frage beantworten. Es sind zwei fremde Reiter auf sehr guten Reitkamelen durch das Wadi gekommen?«
»Ja. Heute früh, eben als wir fortreiten wollten.« »Stiegen sie bei euch ab?«
»Ja. Wir luden sie ein, und sie folgten unserer Bitte, obgleich sie erklärten, eigentlich keine Zeit dazu zu haben.«
»Wie lange blieben sie? «
»Nur so lange, bis ihre Kamele getrunken hatten.« »Wißt ihr, wer sie waren?«
»Der eine war ein Kolarasi des Pascha, wie wir an seiner Kleidung sahen, der andere ein Freund von ihm, der aber nicht Soldat war.«
»Wo wollten sie hin?«
»Nach El Kairwan, sagten sie. Wer aber seid denn ihr?« »Kennst du Krüger-Bei, den Herrn der Heerscharen?« »Ja. Er ist unser Beschützen« »Weißt du, wo er sich jetzt befindet?«
»Wir hörten von den beiden Reitern, daß er gegen die Uled Ayar gezogen sei, um sie zu züchtigen.« »Wie steht ihr euch mit diesen letzteren?«
»Wir leben mit ihnen in Frieden, nicht aber mit den Uled Ayun, welche Allah verderben möge!«
»Sie sind auch unsere Feinde. Wir kommen von Krüger-Bei, welcher die Uled Ayar besiegt und dann ein Bündnis mit ihnen geschlossen hat.«
»Maschallah! Er besiegte seine Feinde und begnadigte sie dann? Sein Herz ist voller Güte und Wohlwollen selbst gegen seine Feinde! Wenn ihr von ihm kommt, so steht ihr wohl auch unter seinem Schutze?«
»Er zählt uns zu den besten Freunden, welche er besitzt.«
»Wenn das ist, so thut uns nicht das Herzleid an, bei uns vorüberzureiten. Eßt von unsern Speisen, und trinkt von unserm Wasser! Ihr seid uns so willkommen, als ob der Herr der Heerscharen sich selbst bei euch befände!«
»Wie ist der Name eures Scheiks?« »Welad en Nari; ich bin es selbst.«
»Du also bist der Scheik der tapferen und gastfreundlichen Meidscheri? Dann müssen wir deiner Einladung Folge leisten. Zwar haben auch wir große Eile, aber soviel Zeit, wie nötig ist, unsere Schläuche mit frischem Wasser von euch zu füllen, können wir dir doch schenken.«
»Und von der Gaselle, welche wir gestern geschossen haben, müßt ihr auch kosten. Ich bitte euch, uns nach unserm Bet es Sijara (* Haus des Besuches.) zu folgen!«
Der Scheik wendete sein Pferd den erwähnten Höhen zu; wir schlossen uns ihm an, und seine Leute folgten hinter uns drein. Gesprochen wurde jetzt nicht mehr. Nach der Sitte des Landes mußten wir warten, bis wir wieder angeredet wurden. Das legte uns aber nicht die Verpflichtung auf, auch unter uns zu schweigen. Darum übersetzte ich Winnetou, was ich mit dem Anführer gesprochen hatte. Er warf ihm einen forschenden Blick zu und fragte mich dann:
»Gefällt der Mann meinem Bruder?«
»Hm! Wenigstens mißfällt er mir nicht. Warum fragst du so?«
»Ein dichter Bart bedeckt sein ganzes Gesicht, aber für Winnetou ist der Bart doch nur ein Schleier, durch welchen man blicken kann.«
»Was siehst du da?«
»Die Freude, daß wir mit ihm reiten.«
»Das ist doch natürlich! Er hat uns eingeladen und freut sich darüber, daß wir seinen Wunsch erfüllen.« »Aber es ist eine böse Freude! Winnetou hat kein Vertrauen zu dem Manne!«
»Und ich denke, daß kein Grund zur Besorgnis vorhanden ist. Die Meidscheri sind, wenigstens jetzt, friedlich gesinnte Leute.«
»So mag mein Bruder vertrauen; Winnetou aber wird vorsichtig sein!«
Ich hegte wirklich kein Mißtrauen; das war aber noch kein Grund für mich, die übliche Vorsicht aus den Augen zu setzen. Ich war gewohnt, sehr viel auf die Ansichten des Apatschen zu geben; also konnte auch sein Mißtrauen nicht ohne Eindruck auf uns bleiben.
Wir hatten jetzt die Anhöhen erreicht und ritten über sie hinweg. Hinter ihnen senkte sich jählings der Boden, um ein Thal zu bilden, dessen Breite da, wo wir hielten, eine Viertelstunde betragen konnte. Das war das Wadi Budawas, welches, wie ich gehört hatte, eine Länge von mehreren Stunden oder gar Meilen besitzt.
Es gab am diesseitigen Ufer eine Stelle, welche nicht so steil war; da ritten wir hinab. Man sah, daß das Wadi zur Regenzeit einen Fluß bildete; jetzt aber war es eine grünende Thalmulde, welche zahlreiche feuchte Stellen enthielt, wo man nur einige Fuß tief zu graben brauchte, um trinkbares Wasser zu erhalten.
Wir ritten eine kurze Strecke abwärts, kamen um eine Krümmung und sahen nun das eigenartige Leben eines afrikanischen Hirtenlagers sich vor uns entwickeln. Das Wadi war hier viel breiter als vorher und trug Gras, welches beinahe saftig genannt werden konnte. Soweit wir blicken konnten, sahen wir Pferde, Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele, welche nach vielen Tausenden zählten. Dazwischen gab es so wenig Hirten, daß es zu verwundern war, wie die wenigen Leute so viele
Tiere in Ordnung zu erhalten vermochten. Auch einige Zelte waren zu sehen, welche wohl den reichen Herdenbesitzern gehörten; die ärmeren Beduinen mußten im Freien nächtigen, was die Leute aber gewöhnt sind.
Die Hirten, an denen wir vorüberkamen, erhoben sich respektvoll von der Erde und grüßten uns, indem sie sich verneigten. Das schien auf Winnetou einen beruhigenden Eindruck zu machen, denn der Ausdruck seines Gesichtes wurde immer weniger streng, als er vorher gewesen war.
Wir ritten jetzt über Felsen, in denen sich eine schmale Spalte befand, nach welcher der Scheik sein Pferd lenkte. Einige Schritte vor derselben hielt er an, stieg ab und sagte:
»Willkommen in unserm Wadi! Hier ist das Haus des Besuches, in welchem alle unsere Gäste bewirtet werden. Es ist kühl und erquickt den Ermüdeten. Tretet mit mir ein und sättigt euch an den Speisen, welche uns sogleich vorgesetzt werden!«
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