»Ich habe ihn vom Pferde geschossen,« sagte ich, indem ich das Gewehr absetzte. »Eilt hin, und holt ihn her zu mir!«
Viele rannten fort. Als sie ihn brachten, war er ohnmächtig.
»Der Hekim (* Militärarzt.) mag ihn verbinden; dann wird er gefesselt,« gebot ich. »Er darf nicht aus den Augen gelassen werden.«
»Warum fesseln?« ertönte da eine Stimme hinter mir. »Der Mann schien brav zu sein und hat sich gut geführt. Wer wird eines Verdachtes wegen einen Menschen erschießen!«
Diese Worte waren in englischer Sprache gesprochen worden, und als ich mich umdrehte, stand der falsche Hunter da. Der kam mir eben recht!
»Sie tadeln mich?« fragte ich ihn in derselben Sprache. »Dazu haben Sie kein Recht.«
»Haben Sie Beweise für die Schuld dieses Unteroffiziers?« »Ja.«
»So mußten Sie ihn anzeigen, damit er vor ein Kriegsgericht gestellt werde! Sie hatten auf alle Fälle kein Recht, auf ihn zu schießen!«
»Pshaw! Ich weiß stets, was ich thue. Ich werde das, was ich gethan habe und noch thun werde, vor Krüger-Bei verantworten. Wie kommt es, daß Sie sich eines Verräters so warm annehmen?«
»Es muß bewiesen werden, daß er einer ist!«
»Es ist schon erwiesen. Ich habe allerdings in letzter Zeit bemerkt, daß Sie eine ganz besondere Neigung zu diesem Manne gefaßt und sich besonders in heimlicher Weise viel mit ihm beschäftigt haben. Jetzt verteidigen Sie ihn, ohne dazu berufen worden zu sein. Können Sie mir den Grund dazu angeben?«
»Ich habe mich vor Ihnen nicht zu rechtfertigen! Was ich lasse oder was ich thue, das geht Sie gar nichts an!«
»So! Das ist Ihre Meinung; die meinige klingt aber anders. Soll ich Ihnen sagen, warum Sie eine ebenso heimliche wie innige Freundschaft mit diesem Verräter geschlossen haben?«
»Dies zu sagen, würde Ihnen wohl sehr schwer werden!«
»Kinderleicht! Er macht das Bindeglied zwischen Ihnen und dem Kolarasi Kalaf Ben Urik, den Sie befreien wollen.«
»Wenn es das ist, so bedaure ich es jetzt sehr, Sie in mein Vertrauen gezogen und ihnen soviel mitgeteilt zu haben!«
»Dann bedauern Sie vielleicht das noch mehr, was ich von andern außerdem noch weiß, daß Sie einen gewissen Thomas Melton kennen.«
»Tho - mas - Mel - ton!« stieß er silbenweise hervor.
Wenn es Tag gewesen wäre, hätte ich gewiß gesehen, daß er leichenblaß geworden war.
»Ja. Sie leugnen doch nicht, diesen Mann zu kennen, wenigstens von ihm gehört zu haben?«
Wenn ich diesen Namen brauchte und eine solche Frage aussprach, mußte ich allerdings etwas wissen. Daß ich aber alles wußte, hielt er natürlich für unmöglich. Abzuleugnen wäre ein großer Fehler gewesen; darum antwortete er:
»Es kann mir gar nicht einfallen, in Abrede zu stellen, daß ich diesen Namen gehört habe. Aber was geht das Sie an?«
»Nur sehr wenig, wie Sie gleich hören werden. Wissen Sie, wer Thomas Melton war?« »Ja, ein Westmann.«
»Und nebenbei ein falscher Spieler und ein Mörder.« »Mag sein; mich kümmert das nicht.«
»Das wundert mich, denn ich weiß, daß Sie die famose Geschichte vom Fort Uintah kennen.«
»Und Sie kennen sie auch?« fragte er unbedacht, denn er gab damit zu, daß er sie in Wirklichkeit kannte.
»Ein wenig,« fuhr ich fort. »Er hatte auch damals falsch gespielt und wurde ertappt; es kam zum Streite, und er erschoß infolgedessen einen Offizier und zwei Soldaten. War es nicht so?«
»Ich denke,« antwortete er mit scheinbarer Gleichgültigkeit.
»Dann tauchte er in Fort Edward auf, wie Sie wohl auch wissen?«
»Was fragen Sie nur! Ich habe nicht das mindeste Interesse an dem Manne!«
»Ich desto mehr. Und auch das Ihrige wird sich steigern, wenn ich Ihnen die Mitteilung mache, welche ich auf dem Herzen habe. Wenn ich mich nicht irre, wurde er dort als Gefangener eingeliefert, und zwar von einem Westmanne, welcher - welcher - hm, wie hieß er doch gleich?«
»Old Shatterhand!«
»Ja, richtig; jetzt fällt es mir ein! Old Shatterhand! War das nicht ein Schotte oder Irländer?« »Nein, sondern ein Deutscher, der überall seine schmutzige Hand im Spiele hatte.«
»Ja, ja, er mengte sich gern in alles! Dabei fällt mir etwas anderes ein, eine Geschichte, in welcher Old Shatterhand auch sein Wesen trieb. Hatte Thomas Melton nicht einen Bruder, welcher Harry hieß, und nach Mexiko, in die Sonora ging, um sich eine Besitzung zu erwerben?«
»Ich hörte davon.«
»Wurde er nicht auch von Old Shatterhand aus derselben vertrieben?« »Ja.«
»Und Thomas Melton hat einen Sohn, welcher Jonathan heißt?« »Alle Wetter! Wie kommen Sie auf den?«
»So, wie man eben aus Langerweile auf irgend etwas kommt. Jonathan Melton ging als Reisebegleiter nach Europa, und dann gar nach dem Orient?«
»Wo - wo - woher wissen - wissen Sie das?« fragte er stockend.
»Ich habe es ganz zufällig erfahren. Er ging als Begleiter mit einem Amerikaner, welcher - hm, wie hieß er doch nur gleich! Wissen Sie das nicht?«
»Nein.«
»Nicht? Das wundert mich außerordentlich, denn ich lasse mir auf der Stelle den Kopf abschlagen, wenn dieser Amerikaner nicht genau so hieß, wie Sie, nämlich Small Hunter. Ist's nicht so?«
»Ich weiß es nicht. Lassen Sie doch diese Fragen; sie sind mir zuwider!«
»Mir nicht, denn die Sache ist wirklich höchst inter- interessant. Und wissen Sie, was das Allerinteressanteste dabei ist?«
»Ich mag es nicht wissen!«
»O doch! Denn jetzt kommt die Hauptsache. Nämlich ich selbst habe damals eine Rolle, und zwar keine Nebenrolle, mitgespielt. Ich heiße nicht Jones, sondern Old Shatterhand.«
»Old - Shat -!«
Er brachte vor Schreck den Namen nur halb über die Lippen und fuhr zurück, als ob der Blitz vor ihm in die Erde geschlagen habe.
»Ja, so heiße ich. Und diesen Namen haben Sie ja vorhin genannt, als Sie sagten, ich hätte meine schmutzige Hand überall mit im Spiele. Vielleicht spiele ich auch heute mit, mit Ihnen und mit Ihrem Kolarasi Kalaf Ben Urik.«
Er überhörte den letzten drohenden Hohn und sagte wie abwesend: »Old Shatterhand! Sie wollen dieser Mann sein, Sie? Unmöglich!«
»Später wird Ihnen das Licht darüber heller aufgehen. Fragen Sie Emery, welcher mich genau kennt und mit mir im wilden Westen gewesen ist! Und fragen Sie Krüger-Bei, welcher ganz genau weiß, daß ich ein Deutscher bin und da drüben Old Shatterhand genannt werde! Uebrigens will ich Ihnen noch eine weitere Ueberraschung bereiten. Mein zweiter Begleiter ist nämlich kein Somali und heißt nicht Ben Asra, sondern er ist ein sehr berühmter Apatschenhäuptling, und wird Winnetou genannt.«
»Win - ne - tou!« wiederholte er, als ob ihm der Atem stocken wolle. »Er ist's wirk - wirk - wirklich?«
»So wahr, wie ich Old Shatterhand bin. Wenn Sie von uns gehört haben, so wissen Sie wohl, daß wir beide unzertrennlich sind.«
»Das weiß ich. Aber was wollen Sie denn hier in Tunis?« »Wir suchen jenen Thomas Melton.« »Donnerwetter!« fluchte er.
»Wir waren erst in Aegypten, fanden aber anstatt diesen Thomas seinen Sohn Jonathan, der im Begriff stand, nach Tunis zu gehen, und da wir uns sagten, daß er da jedenfalls seinem Vater einen Besuch abstatten werde, so gingen wir mit.«
»Und - und - und -?«
»Und haben uns nicht geirrt. Wir haben Thomas Melton gefunden in der Gestalt Ihres lieben Kolarasi Kalaf Ben Urik. Ich habe Ihnen etwas höchst Interessantes versprochen; habe ich nicht Wort gehalten?«
»Lassen Sie mich in Ruhe! Was gehen mich alle die Leute an! Ich bin Small Hunter und habe nichts mit Ihnen zu schaffen.«
Er wollte sich abwenden; ich hielt ihn aber beim Arme zurück und sagte:
»Bitte, warten Sie noch, Sir! Ich glaube sehr gern, daß Sie nichts mit mir zu schaffen haben wollen; jetzt und hier aber ist die Frage, ob ich noch mit Ihnen zu schaffen habe. Ich kann Sie nicht gehen lassen, ganz und gar nicht. Ja, ich habe die Absicht, Sie bei mir zu behalten, mögen Sie nun wollen oder nicht. Ich behalte Sie bei mir, bis ich mit dem jungen Amerikaner gesprochen habe, welcher den Zug hierher mit dem Kolarasi Melton gemacht hat.«
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