Diese Frage richtete ich an den Scheik. Er blickte einige Zeit finster vor sich nieder, warf mir dann einen grimmigen Blick zu und fragte:
»Welcher M'allim (* Lehrer.) des Kuran hat die Todsünde begangen, dich, den Ungläubigen über die Geheimnisse des Islam zu unterrichten? Allah verbrenne ihn im glühendsten Feuer der Hölle!«
»Der Lehrer war auch ein Christ. Wir Christen kennen eure Lehre weit besser, als ihr selbst. Nun rechne einmal! Ihr habt vierzehn Uled Ayar umgebracht; das giebt vierzehnhundert Kamelstuten, welche ihr zu bezahlen habt, wenn ihr euer Leben retten wollt.«
»Und die Uled Ayar werden so verrückt sein, sie zu verlangen?«
»Ja. Oder vielmehr, sie würden verrückt sein, wenn sie es nicht thäten. Wir liefern euch nur unter der Bedingung an sie aus, daß sie es thun. Wir machen ihnen mit euch ein großartiges Geschenk, welches sie mit Freuden hinnehmen werden, da sie dann die Kopfsteuer be- bezahlen können und ihnen noch viele Tiere übrig bleiben, um die gehabten Verluste zu ersetzen!«
»Du redest wie ein ungeborenes Kind! Woher sollen wir vierzehnhundert Kamelstuten nehmen!«
»Hat denn nicht jedes Tier einen Preis, für welchen es zu haben ist? Besitzt nicht auch jede Kamelstute einen solchen?«
»Sollen wir Geld geben? Soviel bares Geld giebt es im ganzen Lande nicht. Wir bezahlen nicht, sondern wir tauschen. Aber das weißt du nicht, weil du ein Fremder, ein Giaur bist!«
»Giaur! Wieder eine Beleidigung! Sie wird zu den vorigen gerechnet und erhöht das Maß der Strafe, welche dich treffen wird. Habe ich übrigens gesagt, daß ihr Geld bezahlen sollt? Wenn es bei euch nur Tauschhandel giebt, und ich weiß sehr wohl, daß es so ist, so wird euch kein Mensch verwehren, die vierzehnhundert Kamelstuten im Tausche zu bezahlen. Ihr kennt den Wert eines Kameles, eines Rindes, eines Pferdes, eines Schafes und einer Ziege, und könnt euch also leicht berechnen, wieviel Pferde, Rinder, Schafe oder Ziegen ihr für die Stuten abzuliefern habt. Uebrigens ist dies noch nicht alles, was ihr zu bezahlen habt.«
»Etwa noch mehr?« fuhr er auf.
»Ja. Kennst du die Erklärungen des Kuran von Samakschari und Beidhawi?« »Nein.«
»Ich habe sie studiert. Du siehst also abermals, daß ich, den du einen Giaur schimpfest, die Lehren, Gebote und Gesetze des Islam besser kenne als ihr, die ihr euch rühmt, gläubige und unterrichtete Anhänger des Propheten zu sein. Diese beiden Ausleger sind die berühmtesten von allen, und sagen übereinstimmend: Wer das Weib eines andern beschimpft, schändet, der tötet ihre Ehre und soll den halben Blutpreis bezahlen; wer sie aber mißhandelt, der tötet die Ehre ihres Mannes und muß die ganze Diyeh entrichten. Weißt du, was ich meine?«
»Allah verderbe dich!« knirschte er.
»Ihr habt die Frau, die ich rettete, auf eine ganz unmenschliche Weise mißhandelt und dadurch die Ehre ihres Mannes getötet. Das kostet den ganzen Blutpreis, also hundert Kamelstuten, oder deren genauen Wert in andern Tieren. Ich will dabei so gütig sein und die Gefahr, in welche ihr auch das blinde Kind brachtet, nicht mit in Anrechnung bringen. Aber das schwöre ich euch zu, daß ihr euer Leben nicht rettet, außer ihr bezahlt neben den vierzehnhundert Stuten für die Ermordeten auch noch hundert an die Frau! Sie ist arm, und ich will, daß sie durch die Mißhandlungen, welche sie erdulden mußte, wohlhabend werde.«
Da konnte sich der Scheik nicht länger halten; er sprang zwei Schritte vor und schrie:
»Hund, was hast du zu wollen und zu gebieten! Was gehen dich, den Hundesohn, alle diese Dinge an! Du bist wahnsinnig, daß du dir einbildest, zwei große Stämme dieses Landes sollen sich nach deinen Wünschen richten! Wären mir nicht die Hände gebunden, so würde ich dich erwürgen. So aber nimm das! Ich speie dich an; ich speie dir ins Gesicht!«
Er führte seine wütende Drohung wirklich aus; ich aber warf, an der Erde sitzend, den Oberkörper schnell zur Seite, sodaß er mich nicht traf. Da rief Krüger-Bei:
»Führt die Hunde fort, sonst werden sie toll! Sie haben gehört, was wir wollen, und wir werden keinen Finger breit davon abgehen; sie werden ausgeliefert und müssen den Blutpreis nach dem Kuran und hundert
Kamelstuten an die Frau zahlen, wenn sie nicht ihr Leben lassen wollen. Sind die Betreffenden nicht reich genug, so mag ihr Stamm für sie eintreten!«
Man schaffte sie fort, doch hielt man auf meinen Wink den Scheik zurück, welchen, da er sich unbändig gezeigt hatte, die Füße wieder gebunden wurden.
Jetzt ging die Sonne unter, und es war also die Zeit des Moghreb gekommen, des Gebetes, wenn die Sonne sich hinter dem Horizonte niedersenkt. Bei jeder Karawane, bei jedem Trupp, der sich unterwegs befindet, giebt es jemand, welchem das Amt des Vorbeters übertragen ist; ist's kein moslemitischer Geistlicher, Derwisch oder Moscheebeamter, so ist's ein Laie, der die zu beobachtenden Funktionen genau kennt. Hier bei uns war es mein Freund, der Feldwebel, der alte Sallam. Kaum berührte die Sonne den Horizont, so rief er mit lauter, weithin schallender Stimme:
»Hai alas Sallah, hai alal felah! Allahu akbar! Aschada anna la ilaha il Allah, aschadu anna Mohammad-ar-rasulullah - auf zum Gebete, auf zum Heile! Gott ist sehr groß! Ich bekenne, daß es keinen Gott giebt außer Gott. Ich bekenne, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist!«
Darauf folgte der für dieses Gebet vorgeschriebene Lobpreis, welcher aus siebenunddreißig Versen oder Abschnitten besteht, und zu dem in den Moscheen Rauchwerk mit Laudanurn geopfert wird. Die Soldaten lagen alle auf den Knieen, die Gesichter gen Mekka gerichtet und verrichteten ihr Gebet mit einer Andacht und Hingebung, welche man manchem Christen wünschen möchte. Nur der Scheik konnte nicht beten, weil er doppelt gebunden war. Er verwendete fast kein Auge von mir, und ich bemerkte, daß er mich mit dem Ausdrucke der Verachtung und des Hohnes betrachtete. Der letzte Abschnitt des Moghreb lautet:
»Es ist kein Gott als der einzige, der ohne Gefährten ist. Sein ist die Herrschaft, und sein ist das Lob. Er belebt, und er tötet, und er stirbt nicht. In seiner Hand ist das Gute, und er ist über alle Dinge mächtig. Es ist kein Gott als Gott. Er hält, was er versprochen hat und steht seinen Dienern bei. Er erhöht sein Heer mit Ehre und vernichtet der Feinde Heere, er, der einzige. Es ist kein Gott als Gott, und wir dienen keinem andern als ihm, wir, seine Diener, die aufrichtigen, die treuen, wenn uns auch die Ungläubigen deshalb verabscheuen. Lob sei Gott, dem Herrn der Welten! Lobpreis ihm in der Morgen- und in der Abendzeit! Sein ist das Lob im Himmel und auf Erden, im Morgen- und im Abendrot, vormittags, nachmittags und mittags!«
Kaum waren diese letzten Worte verklungen und die Betenden hatten sich erhoben, so zischte mir der Scheik zu, daß alle, die sich in meiner Nähe befanden, es hören konnten:
»Nun, du Hund, wie steht es mit deinem Worte, mit deinem Schwure?«
Ich antwortete nicht.
»Du scheinst deine Drohung vergessen zu haben! Drohen kannst du leicht, zur Ausführung aber fehlt dir
der Mut!«
Ich sagte immer noch nichts.
»Nun bist du ein Lügner, der sein Wort, nachdem er es herausgespieen hat, wieder frißt! Wolltest du mich nicht noch vor dem Abendgebete bestrafen? Nun ist es vorüber. Ich verachte dich!«
»Sallam!« rief ich jetzt.
Der alte Feldwebel kam heran.
»Was hast du jetzt gebetet?«
»Das Moghreb.«
»Welches Gebet kommt dann, wenn es vollständig dunkel geworden ist?«
»Das Aschiah - das Abendgebet.«
»Gut. Rufe den Bastonnadschi!«
»Wer soll denn bestraft werden?«
»Der Scheik der Uled Ayun.«
»Wieviel Hiebe?«
»Hundert.«
»Herr, dann wird er uns Beschwerde verursachen, denn er wird mehrere Tage nicht gehen können.« »Nicht Bastonnade, sondern Hiebe auf den Rücken.«
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