»Sofern als auch!« nickte er.
»Sie können sie nicht geben, ohne in noch größere Not zu geraten; sie werden sich also bis auf das Messer wehren. Die Uled Ayar sind uns an der Zahl der Krieger überlegen. Wenn sie uns besiegen, so sind wir unendlich blamiert und müssen mit Schande heimkehren. Das darf uns natürlich nicht passieren!«
»Es ist unmöglich, eine solche Schande zu ertragen, lieber mit der Waffe in der Faust sterben.«
»Ganz richtig, lieber sterben! Aber nun der andere Fall: wir siegen. Dann stürzen wir den ganzen Stamm in das tiefste Elend; der Hunger reibt ihn auf, und was dieser übrig läßt, das raffen die Krankheiten und Seuchen, welche eine Folge der Hungersnot sind, hin. Soll das geschehen?«
»Ungern. Aber warum soll nicht eintreten ein Auszug des Stammes nach Gegenden, wo die Herden mit gefundenen Weiden wieder Kraft und Fett und Fleisch erhalten?«
»Sie meinen, die Ayars sollen die Gegend wechseln, sollen gute Weiden aufsuchen, um ihre Herden sich wieder vermehren zu lassen? Dann ziehen sie hinüber ins Algerien oder gar über die Grenze von Tripolis; sie gehen also dem Pascha verloren, und er wird von ihnen nie wieder Steuer erhalten können, weil er ihnen diejenige eines einzigen kurzen Jahres nicht erlassen hat. Wünschen Sie das?«
»Entweder niemals oder auch nein!«
»Also Sie wünschen, daß weder wir noch die Uled Ayars besiegt werden!«
Er antwortete nicht sofort; er starrte mich ganz erstaunt an, dachte nach und kam da allerdings zur Einsicht, daß ich recht hatte, denn er meinte in verlegenem Tone:
»Das zu wissen, kann ich weder einsehen noch begreifen. Vielleicht können Sie mit beliebiger Scharfsinnigkeit nach Auseinandersetzung aller Gründe mir Hilfe leisten.«
»Ja, ich kann Ihnen einen Rat erteilen; ich weiß ein Mittel, den Uled Ayars die Zahlung der Kopfsteuer zu ermöglichen, ohne daß sie Schaden davon haben. Sie treiben dieselbe von den Uled Ayun ein.«
»Uled Ayun? Inwiefern?«
»Ich weiß, daß die Uled Ayun viel reicher sind, als die Uled Ayar; sie können einen Verlust viel leichter ertragen. indem ich ihren Häuptling und seine dreizehn Begleiter gefangen nahm, verfolgte ich einen doppelten Zweck; einmal wollte ich ihn für den Mord bestrafen, das andremal bekam ich durch ihn einen Trumpf in die Hände, welchen wir gegen oder vielmehr für die Uled Ayars ausspielen können. Es ist uns vielleicht gar möglich, letzteren die Entrichtung der Steuer zu ermöglichen und also sie mit dem Pascha auszusöhnen, ohne daß wir einen einzigen Schuß zu thun brauchen.«
»Das würde als ein Wunder vernommen werden.«
»Denken Sie daran, daß die Uled Ayar mit den Uled Ayun in Blutrache stehen. Es wird mir nicht schwer werden, festzustellen, wieviel Morde die letzteren an den ersteren begangen haben; dafür müssen sie die Blutpreise zahlen. Wir können sie zwingen, weil ihr Scheik sich in unsern Händen befindet.«
Da that Krüger-Bei trotz seines Alters und seiner hohen Würde einen Freudensprung und rief aus:
»Alhamdulillah! Allah sei Dank für diesen kostbaren Gedanken und diese unvergleichliche List, die Sie ausgesonnen haben! Sie sind ein kostbarer Kerl! Ihnen meine Freundschaft! Darauf können Sie sich
verlassen von Zeit zu Zeit.«
Er schüttelte mir die Hände, und ich fragte ihn:
»Sie tadeln mich nun also nicht mehr darüber, daß ich den Scheik gefangen genommen habe?« »Weder nicht noch nie!«
»So bitte, lassen Sie ihn mit seinen Leuten vorführen. Wir wollen ihn ins Gebet nehmen wegen der Blutrache. Auch habe ich eine persönliche Sache mit ihm zu ordnen.«
»Welcherlei Sache?«
»Er schimpfte mich wiederholt einen Hund, und ich habe ihm dafür Strafe angedroht. Er soll Prügel haben.«
»Prügel? Wissen Sie, daß ein freier Beduine die Prügel nur mit Blut abwäscht und die fürchterlichste Rache auf Tod und Leben nimmt?«
»Ich weiß es genau; ich weiß alles, was Sie sagen wollen. Auch ist's nicht etwa allein der "Hund", den er büßen soll, sondern er soll bestraft werden für die Bosheit und Gefühllosigkeit, welche dazu gehört, eine wehrlose Frau mit einem armen Kinde in geradezu teuflischer
Weise zu behandeln. Die Blutrache geht mich nichts an; daß er den Greis ermordet hat, darüber bin ich nicht zum Richter berufen; aber ich sah das blinde Kind bei dem Kopfe seiner Mutter liegen, welcher um Hilfe schreiend aus der Erde ragte; ich sah die Geier um die Stelle versammelt, jeden Augenblick bereit, die Zerfleischung von Mutter und Kind zu beginnen. Diese Grausamkeit ging weit über die Blutrache hinaus, und dafür soll und muß er seine Strafe erhalten.«
»Und dennoch kann ich nicht umhin, Zweifel über ihre Berechtigung zu hegen!«
»Sagen Sie, was Sie wollen! Mein christliches Gefühl ist empört über die Unmenschlichkeit. Sie waren Christ, und ich weiß, daß Sie es im Herzen noch sind, obgleich Sie leider das Gewand eines Moslem tragen. Sie warnen mich nur vor den Folgen, um welche ich mich nicht schere, und geben mir doch innerlich recht. Ich wiederhole meine Bitte: Lassen Sie die Kerle kommen! Ich habe gesagt, daß er seine Strafe noch vor dem Abendgebete erhalten soll, und was ich sage, das gilt. Wenn Sie es nicht zugeben, werde ich ihn hinter Ihrem Rücken durchbläuen lassen!«
»Indem es Ihr fester Entschluß ist, daß er entweder hinter meinem Rücken oder auch vor demselben geprügelt werde, so soll es auf der Stelle Ihnen zuliebe ausgeführt werden.«
Nachdem er diese Zustimmung in seiner außerordentlich klaren Weise gegeben hatte, erteilte er den Befehl, die Gefangenen vor ihn zu führen. Er nahm vor dem Zelte, welches für ihn aufgerichtet worden war, Platz; ich mußte mich auf die eine Seite neben ihn setzen und Winnetou und Emery wurden aufgefordert, sich auf der anderen Seite niederzulassen.
Nach der Art, wie er seine Muttersprache ge- oder vielmehr mißbrauchte, durfte man den Beamten ganz und gar nicht beurteilen; er war in seinen gegenwärtigen Verhältnissen und für dieselben ein ganzer Mann.
Als die Truppen hörten, daß der Herr der Heerscharen mit den Gefangenen sprechen wolle, kamen sie herbei, um zuzusehen. Die Offiziere bildeten einen weiten Halbkreis um uns. Der Scheik der Uled Ayun wurde mit seinen Leuten gebracht. Er kannte Krüger-Bei und grüßte ihn, doch nur mit einer leichten
Verneigung seines Hauptes. Der freie Beduine meint, auf den unfreien Beamten oder Soldaten des Pascha tief herabsehen zu müssen. Da kam er aber bei dem Obersten an den unrechten Mann; dieser hatte jetzt nicht deutsch, sondern arabisch zu sprechen und schnauzte ihn an:
»Wer bist du?«
»Du kennst mich doch!« antwortete der Scheik in trotzigem Tone.
»Ich glaubte, dich zu kennen; dein hoheitsvoller Gruß sagt mir aber, daß ich mich geirrt habe. Bist du seine Herrlichkeit, der Großsultan von Stambul, welcher der jetzige Khalif aller Gläubigen ist?«
»Nein,« antwortete der Scheik, welcher nicht wußte, wo der Oberst mit seinen Fragen hinaus wollte.
»Warum grüßest du mich da wie ein Sultan, zu dessen Angesicht ich meine Augen nicht erheben darf! Ich will hören, wer du bist!«
»Ich bin Farad el Aswad, der oberste Scheik aller Uled Ayun.«
»Ah, der! Allah öffnet mir die Augen, dich wieder zu erkennen. Also du bist ein Ayun, nichts als ein Ayun, und doch ist dein Nacken zu steif, den Herrn der Heerscharen des Pascha, dem Allah tausend Jahre schenken möge, in würdiger Weise zu grüßen. Ich werde dir den Nacken beugen lassen!«
»Herr, ich bin ein freier Ayun!«
»Ein Mörder bist du!«
»Kein Mörder, sondern ein Bluträcher; aber das geht keinen Menschen etwas an. Wir sind freie Männer, wir haben unsre eigenen Gesetze, nach denen wir leben; wir zahlen dem Pascha die Kopfsteuer, welche wir ihm versprochen haben; weiter hat er nichts zu fordern, und um das übrige hat er sich nicht zu kümmern.«
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