»Wir sollten ihn umlegen, wenn er nicht schon tot ist«, preßte Franks kleiner Bruder hervor. »Diese verdammten Yankees machen nichts als Ärger!«
Erst jetzt fiel Frank James auf, daß Jesse ein blutdurchtränktes Taschentuch um seine linke Hand gewickelt hatte.
»Was ist passiert, Dingus?«
»Dingus« war Jesses Spitzname aus Kindertagen, so wie Frank von seinem Bruder zuweilen »Buck« genannt wurde.
»Als dieser verfluchte Seemann störrisch wurde, löste sich im Handgemenge der Schuß aus meiner Waffe.«
»Das wissen wir. Du hast dem Yankee das Gehirn weggepustet.«
»Und meine halbe Hand auch.«
»Zeig mal her, Dingus«, verlangte Frank und ging auf seinen Bruder zu.
Vorsichtig wickelte Jesse das Taschentuch von seiner Hand, deren Mittelfinger in einem blutigen Etwas mit blankliegendem Knochen endete.
»Die Hand ist ja noch dran«, meinte Frank. »Es ist nur das letzte Fingerglied, das du mit dem Yankee beerdigen kannst. Das heißt, falls du es findest, Dingus.«
Die rauhen Kerle um sie herum lachten. Mit einem Fluch, den man von dem Sohn eines Baptistenpredigers niemals erwartet hätte, wickelte Jesse das Tuch wieder um den Finger.
Der Verfolgertrupp schwang sich in die Sättel und ritt zum Eingang des Canyons. Kurz darauf kehrte einer der Männer zurück und zügelte sein Pferd dicht vor Quantrill, der gerade dabei war, sich wieder ordentlich anzuziehen.
»Was ist?« fragte der Captain. »Habt ihr den Yankee erwischt?«
»Nein, er ist entkommen. Er muß verteufelt gut schießen können. Er hat Elam im vollen Galopp einen Schulterschuß verpaßt.«
»Entkommen«, murmelte Quantrill und fügte einen Fluch an, der dem von Jesse James nicht nachstand.
»Sollen wir hinterherreiten, Captain?«
Quantrill schüttelte nach kurzem Überlegen den Kopf. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Der Mann ist unwichtig. Wir schnappen uns Lincoln und Pinkerton und sehen dann zu, daß wir aus dem Yankee-Gebiet herauskommen. Brecht das Lager ab. Aufbruch ist in zehn Minuten!«
»Und der da?« fragte Cole Younger und zeigte auf den toten Marineoffizier.
»Auch die Geier wollen leben«, erwiderte Quantrill und ging zu seinem Zelt.
*
Martin trug zwei Verbände, einen um den Kopf und einen um den linken Oberarm, als er im Lager der Deserteure von seinen Erlebnissen berichtete. Irene hatte die Verbände aus Stoffstreifen ihres Unterrocks gefertigt, nachdem die Wunden ihres Freundes mit Whiskey gereinigt worden waren. Die Kugel hatten sie nicht aus Martins Arm entfernen können. Zu tief saß sie in seinem Fleisch.
Die Sonne hatte die Kleidung getrocknet, so daß sie sie wieder anziehen konnten. Sie aßen eine Mahlzeit aus Brot und Büchsenfleisch, während Martin berichtete, wie er den Soldaten auf Hauptmann Gerbers Pferd entkommen war.
»Das geschieht diesem Stinkstiefel von selbsternanntem Offizier recht«, freute sich Hamker und spuckte verächtlich in den Staub. »Die Blamage steckt er bestimmt nicht so leicht weg. Der Grauschimmel war sein ganzer Stolz, neben seinen Rangabzeichen und seinem blitzenden Säbel natürlich.«
»Wieso selbsternannter Offizier?« fragte Martin.
»Gerber gehört zu den Geldgebern, die das Freiwilligenregiment aufgestellt haben, also ist er auch Offizier geworden. So läuft das nun einmal.«
»Auch wenn er vom Militär keine Ahnung hat?«
»Die Ahnung bekommt er im Feld, oder ihn erwischt eine Kugel. Dann ist die Sache erledigt. Washington braucht jeden Mann, um die Rebellion niederzuschlagen.«
»Warum haben Sie da mitgemacht?«
»Wegen des Geldes«, antwortete Hamker und machte mit den Fingern die Bewegung des Geldzählens. »Hundert Dollar Handgeld sind eine Menge Holz. Ich bin vor zwei Jahren aus Braunschweig nach New York gefahren, weil mein Bruder Hans mir eine Anstellung in seiner Sattlerei versprochen hatte. Hans ist schon fünf Jahre vor mir ausgewandert. Doch als ich ankam, war mein Bruder tot und sein Geschäft zwangsversteigert. Er hatte sich verspekuliert und seinem Leben ein Ende gemacht, als er vor dem finanziellen Ruin stand. Seitdem bin ich nie richtig auf die Beine gekommen. Die German Rifle Volunteers schienen mir eine Gelegenheit zu sein, aus New York wegzukommen und gleichzeitig etwas Geld zu verdienen. Ich hätte auch weitergemacht, wäre ich nicht an so ein Schwein wie Gerber geraten.«
Er sah seine Kameraden an. »Bei den anderen war es ähnlich. Wir alle wurden mit großen Versprechungen vom glorreichen Soldatenleben ins Regiment gelockt und mußten uns dann von Gerber schikanieren lassen. Er ist der schlimmste Kompanieführer im ganzen Regiment, aber die meisten anderen sind nicht viel besser.«
»Das stimmt«, bestätigte Glaser.
»Unsere Flucht hat ihn bestimmt schwer getroffen. Das blamiert ihn vor den anderen Kompanieführern. Und die Sache mit dem Grauschimmel wird er bestimmt auch nicht einfach so wegstecken. Wir sollten uns ein besseres Versteck suchen.«
»Sobald wir mit dem Essen fertig sind«, sagte Hamker, der eine Art Führerrolle unter den Deserteuren einnahm. Vielleicht, weil er Corporal gewesen war, bevor er gebrandmarkt und degradiert wurde.
»Und wir müssen in die nächste Stadt«, sagte Irene zu Martin. »Ein Arzt muß die Kugel aus deinem Arm holen. Außerdem haben wir noch keine Nachricht von Jacob. Vielleicht weiß man in der Stadt, ob es außer uns noch andere. Überlebende gibt.«
Es fiel ihr schwer, zu Ende zu sprechen. Der Gedanke, Jacob könnte nicht mehr am Leben sein, erschien ihr unerträglich.
»Der nächste Ort ist Point Green, etwa fünf Meilen flußabwärts«, erklärte Rodenberg. »Aber sehen Sie zu, daß Sie vorher den Grauschimmel verschwinden lassen. Er trägt das Brandzeichen der US-Armee.«
Nach der Mahlzeit reinigten sie das Geschirr und packten ihre Sachen zusammen, um die Senke zu verlassen. Martin hielt den kleinen Jamie, während Rodenberg Irene aufs Pferd helfen sollte. Doch der Grauschimmel schnaubte plötzlich, warf den Kopf in den Nacken und scheute. Rodenberg hielt ihn an den Zügeln fest und versuchte ihn zu beruhigen.
»Gib dir keine Mühe, Mann!« erscholl eine schneidende Stimme. »Von euch wird sowieso niemand mehr auf meinem Pferd sitzen!«
»Verflucht, Gerber!« stieß Hamker hervor und griff, wie auch Glaser, nach seiner Muskete.
Aus dem die Senke umgebenden Buschwerk traten Soldaten hervor, die ihre Gewehre auf die Deserteure und die Auswanderer anlegten. Als Glaser die Muskete an die Schulter riß, gab ein Sergeant den Feuerbefehl, und mehrere Schüsse fegten den Deserteur von den Beinen.
Zögernd hielt Hamker seine Waffe in Brusthöhe.
»Versuch es ruhig!« rief Hauptmann Gerber, der zwischen seinen Männern hervortrat und einen Revolver auf den ehemaligen Corporal gerichtet hielt. »Versuch es ruhig, Hamker!«
Unschlüssig wanderte Hamkers Blick von Gerber zu seinem getroffenen Kameraden, der bäuchlings in der Senke lag und das Gras mit seinem Blut rot färbte. Dann ließ Hamker seine Muskete sinken und zu Boden gleiten, um sich neben Glaser hinzuknien.
Die Soldaten liefen in die Senke, und Gerber eilte auf sein Pferd zu.
»Wehe, ihm ist etwas passiert«, sagte er giftig zu Martin und untersuchte sein Reittier.
»Henry ist tot«, sagte Hamker, aber das schien den Hauptmann nicht zu interessieren. Ein Deserteur war in seinen Augen weniger wert als ein gutes Pferd.
Die Deserteure, Martin und Irene wurden in der Mitte der Senke zusammengetrieben und von mehr als einem Dutzend Musketen mit aufgepflanzten Bajonetten in Schach gehalten.
Gerber war über den Zustand seines Grauschimmels offensichtlich befriedigt, trat jetzt auf die kleine Gruppe zu und blieb vor Martin stehen. »Damit hast du wohl nicht gerechnet, daß wir uns so schnell wiedersehen, was?«
»Allerdings nicht.«
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