War schon die Nacht draußen über der See mondlos und pechschwarz, so befand man sich hier drei Decks tiefer und weit unter der Wasserlinie. Durch die eichenen Bordwände vernahm man das Rauschen des Wassers und das Klatschen der Seen, über die das Schiff hinwegritt, der ganze Rumpf ächzte und knarrte unter der wechselnden Beanspruchung des ewigen Auf und Ab. Bush klammerte sich im Finstern an die steile Leiter des Niedergangs und tastete nach einem festen Stand. Er landete zwischen den Wasserfässern, duckte sich ganz zusammen und kroch in der pechdunklen Nacht leise nach achtern. Eine Ratte jagte quietschend an ihm vorbei, aber darauf mußte man hier im untersten Raum gefaßt sein, und Bush tastete sich unbeirrt weiter achteraus. Endlich vernahm er trotz aller verschiedenen Schiffsgeräusche aus der Dunkelheit vor ihm ein leises Sst!
Bush blieb augenblicklich stehen und antwortete mit dem gleichen Laut. Er tat sich wirklich nichts darauf zugute, bei dieser Verschwörung mitzuspielen, nur soviel war ihm klar, jetzt galt es, höchste Vorsicht walten zu lassen, denn das, was er hier tat, war sehr gefährlich.
»Bush?« flüsterte Bucklands Stimme.
»Ja.«
»Die anderen sind schon hier.«
Zehn Minuten zuvor, um zwei Glasen auf der Mittelwache, hatten sich Bush und Roberts entsprechend dem Befehl des Kommandanten in Bucklands Kammer gemeldet. Ein Augenzwinkern, eine Geste, ein paar geflüsterte Worte, und dieses heimliche Treffen war beschlossen. Es war in der Tat ein unerhörter Zustand, daß die Leutnants eines Kriegsschiffs Seiner Majestät auf solche Schliche sinnen mußten, um sich vor Horchern und Spionen zu sichern. Sie waren wieder auseinandergegangen und hatten sich auf Umwegen und unter Benutzung verschiedener Niedergänge hier unten eingefunden.
Hornblower hatte sich nach seiner Ablösung durch Smith als erster auf den Weg gemacht. »Wir dürfen nicht lange bleiben« flüsterte Roberts.
Ohne daß man ihn im Dunkeln sah, konnte man allein an seiner Flüsterstimme merken, wie aufgeregt er war. Zweifellos war dies eine meuterische Zusammenrottung. Für das, was sie hier taten, mußten sie unter Umständen eines Tages alle hängen.
»Wir könnten ihm zum Beispiel die Fähigkeit aberkennen, als Kommandant ein Schiff zu führen«, flüsterte Buckland. »Wir könnten ihn in Eisen legen.«
»Wenn wir uns schon zu einer solchen Maßnahme entschließen«, meinte Hornblower, »dann müssen wir rasch und energisch handeln. Sonst hält er sich an die Mannschaften, und die hat er vielleicht auf seiner Seite. Dann wäre...«
Hornblower brauchte den Satz nicht fertig zu sprechen. Jeder, der ihm gefolgt war, sah im Geiste bereits die Leichen von den Rahnocken baumeln.
»Gut«, sagte Buckland, »nehmen wir an, wir handeln rasch und energisch. Nehmen wir an, es gelingt uns, ihn in Eisen zu legen. Was dann?«
»Dann müssen wir nach Antigua«, sagte Roberts.
»... und vors Kriegsgericht«, ergänzte Bush, dem es in dieser kritischen Lage zum ersten Male gelang, so weit vorauszudenken. »Ja«, flüsterte Buckland.
Die verschiedensten Regungen fanden in dieser einen kurzen Silbe ihren Ausdruck: Tastende Unsicherheit, hoffnungslose Ergebung und quälender Zweifel.
»Da sitzen wir fest«, sagte Hornblower. »Er sagt natürlich aus, und vor Gericht bekommen dann die Dinge immer gleich ein anderes Gesicht. Gewiß, wir sind bestraft worden, wir mußten Wache um Wache gehen, wir bekamen keinen Schnaps.
Aber das kann schließlich jedem passieren, es ist kein Grund zur Meuterei.«
»Aber er verwöhnt die Leute, er untergräbt die Disziplin.«
»Was hat er denn in Wirklichkeit getan? Doppelten Rum verzapft, Freizeit gegeben. So etwas klingt vor Gericht nicht übel und leuchtet sicher ein. Schließlich ist es nicht unsere Sache, die Methoden unseres Kommandanten zu kritisieren - so und nicht anders werden die Richter denken.«
»Aber sie werden den Mann doch gründlich unter die Lupe nehmen.«
»Oh, der ist schlau. Vor allem ist er keineswegs gefährlich geisteskrank. Und außerdem versteht er sich aufs Reden und wird für alles seine triftigen Gründe finden. Sie haben ihn doch selbst gehört! Ich sage Ihnen jetzt schon, die Richter glauben ihm jedes Wort.«
»Er hat uns vor versammelter Mannschaft beleidigt und verächtlich gemacht, und er hat Hobbs beauftragt, uns nachzuspionieren.«
»Für jedes Gericht der beste Beweis, daß er sich inmitten von uns Verbrechern wirklich in einer verzweifelten Lage befand.
Nehmen wir ihn fest, dann sind wir so lange schuldig, bis wir unsere Unschuld bewiesen haben. Jedes Gericht hat die Pflicht, zunächst für den Kommandanten Partei zu nehmen. Meuterei bedeutet den Strick.« Hornblower faßte alle die Zweifel und Bedenken in klare Worte, für die Bush keinen Ausdruck fand, obwohl sie auch ihn in innerster Seele quälten.
»Sie haben recht«, flüsterte Bush.
»Wie steht es mit dem Fall Wellard?« fragte Roberts leise.
»Haben Sie ihn unlängst wieder schreien hören?«
»Der ist doch nur ein Freiwilliger - nicht einmal Fähnrich. Hat weder Freunde noch Familie. Was werden die Richter wohl sagen, wenn sie hören, der Kommandant habe einen solchen Jungen ein halbes Dutzend Male überlegen lassen? Lachen werden sie. Wir würden ja wohl auch darüber lachen, wenn wir nichts von den Zusammenhängen wüßten.›Schadet ihm nichts‹, würden wir sagen,›hat ja auch uns nichts geschadet‹.«
Auf diese unwiderlegliche Feststellung hin trat allgemeines Schweigen ein, bis Buckland endlich eine Reihe häßlicher Flüche ausstieß, um seiner Verzweiflung wenigstens ein bißchen Luft zu machen.
»Er wird auf alle Fälle gegen uns vorgehen«, flüsterte Roberts, »sobald wir mit anderen Schiffen zusammenkommen.
Soviel steht für mich jedenfalls fest.«
»Zweiundzwanzig Jahre bin ich Offizier«, sagte Buckland »und jetzt bricht mir dieser Mensch das Genick. Und euch geht es um kein Haar anders.«
Für Offiziere, die vor einem Kriegsgericht von ihrem eigenen Kommandanten beschuldigt wurden, ihm in disziplinwidriger Art die schuldige Achtung verweigert zu haben, gab es keinen Pardon. Das wußte jeder dieser Leutnants nur zu genau, und darum empfanden sie ihre Hilflosigkeit besonders bitter. Wenn der Kommandant solche Anschuldigungen gegen sie mit der gleichen krankhaften Bosheit und Schläue vertrat, die er bis jetzt entwickelt hatte, dann durften sie nicht einmal hoffen, mit schimpflicher Entlassung aus dem Dienst davonzukommen, dann drohte ihnen sogar Gefängnis und Strick »Noch zehn Tage bis Antigua«, sagte Roberts, »wenn der Wind so bleibt, und das ist bestimmt der Fall.«
»Wir wissen ja noch gar nicht, ob wir Antigua anlaufen«, meinte Hornblower. »Das haben wir bis jetzt nur angenommen.
Vielleicht sind wir noch Wochen und Monate in See.«
»Dann gnade uns Gott!« stieß Buckland hervor. Ein leises Klappern weiter hinten im Raum, das sich deutlich von den Geräuschen des arbeitenden Schiffes unterschied, ließ sie alle zusammenfahren. Bush ballte unwillkürlich seine behaarten Fäuste. Sie beruhigen sich wieder, als sie eine Stimme hörten, die sie leise bei Namen rief.
»Mr. Buckland - Mr. Hornblower - Sir!«
»Mein Gott, Wellard - Sie!« sagte Roberts.
Jetzt konnten sie hören, wie er auf sie zugekrochen kam.
»Der Kommandant, Sir!« sagte Wellard. »Er kommt!«
»Auf welchem Weg?« stieß Hornblower hervor.
»Durch den achtersten Niedergang. Ich bin auf den Verbandplatz gelaufen und von dort heruntergekommen. Er schickte Hobbs...«
Hornblower schnitt ihm das Wort ab. »Rasch - nach vorn ihr drei«, zischte er. »Nach vorn! Wenn ihr in die Decks kommt, sofort auseinandergehen. Macht schnell!«
Keinem fiel es auf, daß Hornblower den Befehl über wesentlich ältere Offiziere an sich gerissen hatte. Jede Sekunde war jetzt unendlich kostbar, es ging nicht an, durch Unentschlossenheit und Gefluche Zeit zu verlieren. So viel leuchtete allen bei Hornblowers ersten Worten ein. Bush folgte den zwei anderen in die rabenschwarze Finsternis hinein, er stolperte über unsichtbare Hindernisse und stieß sich schmerzhaft die Schienbeine wund. Eben hörte er Hornblower noch sagen: »Komm, Wellard!« Dann waren die beiden auch schon weg. Er selbst aber strebte mit seinen Kameraden Hals über Kopf immer weiter nach vorn.
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