Das hieß, daß alles, was achtern vorging, bald darauf im Vorschiff in entstellter und verstümmelter Form durchgehechelt wurde. Wie konnte man erwarten, daß die Mannschaften ihren Offizieren gehorchten, obwohl sie wußten, daß der Kommandant den gleichen Offizieren die Achtung und das Vertrauen versagte? Bush machte sich ernstliche Sorgen, als er die Treppe zum Achterdeck hinaufstieg.
Der Kommandant war in seine Kajüte unter dem Halbdeck gegangen, Buckland und Roberts standen in ein Gespräch vertieft an den Finknetzen, Bush trat zu ihnen heran.
»Diese Artikel gelten für meine Offiziere - wohlgemerkt«, sagte Buckland eben, als er sich den beiden näherte.
»Bauernsonntag und doppelten Rum«, fügte Roberts hinzu »alles für die braven Männer.«
Buckland warf einen verstohlenen Blick über das Deck, ehe er weitersprach. Es war jammervoll, zu sehen, wie sich der Erst Offizier eines Linienschiffes ängstlich in acht nehmen mußte, daß niemand hören konnte, was er sagte. Aber Hornblower und Wellard standen weit genug entfernt an der anderen Seite des Ruders. Und ganz am Heck standen, um den Steuermann geschart, die Fähnriche der Navigationsgruppe mit ihren Sextanten, um mit ihm die Mittagsbreite zu nehmen.
»Er ist verrückt«, sagte Buckland so leise, wie es der Nordostpassat zuließ.
»Das wissen wir alle«, meinte Roberts.
Bush sagte nichts. Seine Vorsicht mahnte ihn, sich jetzt nicht bloßzustellen.
»Clive rührte keinen Finger«, sagte Buckland. »Er ist der jämmerlichste Tropf auf Gottes Erdboden.«
Clive war der Schiffsarzt.
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ich habe es versucht. Aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er hat ganz einfach Angst.«
»Rühren Sie sich nicht von der Stelle, meine Herren«, fuhr plötzlich eine laute, barsche Stimme dazwischen, es war das wohlbekannte Organ des Kommandanten. Die Worte kamen von unten her, aus der Höhe des Decks, auf dem sie standen. Die drei Offiziere fuhren erschrocken zusammen.
»Die Schuld steht Ihnen im Gesicht geschrieben«, brüllte die Stimme. »Sie sind mein Zeuge, Mr. Hobbs.«
Die drei blickten sich um. Das Skylight der vorderen Kommandantenkajüte war um einige Zoll angehoben, und durch den Spalt spähte der Kommandant zu ihnen heraus. Man sah nur seine Augen und seine Nase. Er war ziemlich groß und brauchte daher nur auf irgendeinen niedrigen Gegenstand, zum Beispiel ein Buch oder einen Fußschemel, zu treten, wenn er von unten her über das Süll des Skylights hinwegschauen wollte. Di Offiziere hatten sich noch nicht von der Stelle gerührt, als neben dem Kommandanten ein zweites Paar Augen erschien. Sie gehörten Hobbs, dem Feuerwerker.
»Warten Sie, bis ich komme, meine Herren«, sagte der Kommandant. Bei den Worten »meine Herren« verzog sich sein Mund zu einem hämischen Grinsen. »Ich danke Ihnen, Mr. Hobbs.«
Die beiden Gesichter verschwanden aus dem Spalt des Skylights, den Offizieren blieb kaum Zeit, einen verzweifelten Blick zu wechseln, denn gleich darauf kam der Kommandant den Niedergang heraufgepoltert und trat auf sie zu.
»Na, eine meuterische Zusammenrottung, wie mir scheint«, sagte er.
»Nein, Sir«, gab ihm Buckland zur Antwort. Jetzt kam es darauf an, alles eisern in Abrede zu stellen. Jeder nicht bestrittene Vorwurf war so gut wie ein Geständnis seiner Schuld, und dabei ging es immerhin um seinen Kopf.
»Wie, Sie wagen es, mich auf meinem eigenen Achterdeck anzulügen?« brüllte der Kommandant. »Jetzt weiß ich, daß ich recht habe, wenn ich meinen Offizieren mißtraue. Was tun Sie denn den ganzen Tag? Nichts als die Köpfe zusammenstecken, wispern und dunkle Pläne schmieden! Und obendrein verweigert man mir jetzt in gröblicher Weise die schuldige Achtung! Ich werde dafür sorgen, Mr. Buckland, daß Sie ab sofort Gelegenheit haben, gründlich über die Folgen Ihrer Haltung nachzudenken.«
»Ich habe Ihnen die Achtung nicht verweigert«, wandte Buckland ein.
»So? Jetzt lügen Sie mir schon wieder ins Gesicht! Und Sie beide? Sie stehen dabei und spielen die stummen Helfer, geben ihm Rückgrat, ja? Bis heute habe ich eine bessere Meinung von Ihnen gehabt, Mr. Bush. «
Bush hielt es für das beste, keine Antwort zu geben.
»Aufsässiges Schweigen, wie? « sagte der Kommandant.
»Um so besser können Sie offenbar reden, wenn Sie sich einbilden, ich höre Sie nicht. « Der Kommandant warf einen drohenden Blick über das Achterdeck. »Und Sie, Mr. Hornblower? « sagte er. »Sie fühlen sich offenbar auch nicht bemüßigt, mir über diese geheime Zusammenkunft Meldung zu machen. So also tun Sie Ihre Pflicht als Wachhabender Offizier!
Und Mr. Wellard ist natürlich auch von der Partie, was sollte man denn anders erwarten. Aber die Herren hier dürften Ihnen wahrscheinlich fortan nicht mehr ganz so gewogen sein wie bisher, nicht wahr? Sie sollten für sie Schmiere stehen und haben nicht aufgepaßt. Mir scheint, Ihre Lage ist alles andere als erfreulich, Mr. Wellard. Kein Mensch an Bord will noch etwas von Ihnen wissen, außer der Kanonenbraut, die Sie recht bald wieder umarmen dürfen. «
Der Kommandant stand drohend mitten auf dem Achterdeck und starrte den armen Wellard an, der sichtlich vor ihm zurückwich. »Die Kanonenbraut umarmen« hieß, über ein Geschütz gelegt und gezüchtigt werden.
»Aber das hat noch Zeit, Mr. Wellard, die Herren Leutnants haben den Vortritt, wie das ihr hoher Rang verlangt.«
Der Kommandant wandte sich wieder den Leutnants zu, in seinen Zügen spiegelten sich Triumph und Angst in seltsamem Wechselspiel.
»Mr. Hornblower geht schon Wache um Wache«, sagte er »Sie anderen hatten dadurch offenbar zuviel Freizeit, da fand der Teufel ein gefährliches Spielzeug für Ihre müßigen Hände.
Müßiggang ist eben aller Laster Anfang. Und Mr. Buckland geht überhaupt keine Wache, er ist ja der hohe, mächtige und ehrgeizige Erste Offizier.«
»Sir...!« entfuhr es Buckland, aber er besann sich im letzten Augenblick und schwieg. Wenn ihn der Kommandant ehrgeizig nannte, so hieß das offenbar, daß er in seinen Augen darau ausging, die Führung des Schiffes an sich zu reißen. Ein Kriegsgericht konnte jedoch unmöglich auf den Gedanken kommen, dem Wort diese Bedeutung beizumessen. Schließlich verlangte man von jedem Offizier, daß er ehrgeizig war, da konnte es auch keine Beleidigung sein, ihn so zu nennen.
»Sir!« höhnte der Kommandant. »Sir! Haben Sie wenigstens noch so viel Anstand, den Mund zu halten, oder halten Sie es für klüger? Keine Sorge, mein Herr, Sie werden den Folgen Ihres Verhaltens nicht entgehen, Mr. Hornblower geht weiter Wache um Wache. Aber diese beiden Herren da werden sich künftig bei jedem Wachwechsel bei Ihnen melden, außerdem bei zwei Glasen, bei vier Glasen und bei sechs Glasen auf jeder Wache.
Die beiden haben den vorgeschriebenen Dienstanzug zu tragen, wenn sie sich bei Ihnen melden, und Sie selbst haben auf zu sein, wenn Sie die Meldung entgegennehmen. Haben Sie mich alle verstanden?«
Die drei Offiziere waren so vor den Kopf geschlagen, daß sie im ersten Augenblick keine Antwort fanden.
»Antworten Sie auf meine Frage!«
»Aye, aye, Sir«, sagte Buckland.
»Aye, aye, Sir«, sagten Bush und Roberts, als der Kommandant den Blick auf sie richtete.
»Lassen Sie sich nicht einfallen, diese meine Anordnung nachlässig auszuführen«, sagte der Kommandant. »Ich habe Mittel und Wege, zu erfahren, ob man mir gehorcht oder nicht.«
»Aye, aye, Sir«, sagte Buckland.
Mit seinem Spruch hatte der Kommandant ihn, Bush und Roberts dazu verurteilt, von nun an Tag und Nacht, Stunde um Stunde, aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Hier unten war es stockfinster, es herrschte vollkommene Dunkelheit, nicht der leiseste Schimmer von Licht drang herein.
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