Die Soldaten, die nicht an der Arbeit beteiligt waren, drängten sich gegen Regen und Wind zusammen. Man hatte plötzlich das Gefühl, dass der Winter angebrochen war. Musketenschüsse fielen weit entfernt, und Kate nahm an, dass es die Landbevölkerung war, die kam, um die verhassten Invasoren zu töten.
Eine cantinière, eine der harten Frauen, die den Soldaten Kaffee, Tee, Nadeln, Garn und Dutzende andere kleine Annehmlichkeiten verkauften, hatte Mitleid mit Kate und brachte ihr einen Becher lauwarmen Kaffee mit Brandy. »Wenn sie noch viel länger brauchen«, sagte sie und nickte zu den Soldaten hin, die mit dem Wiederherstellen der hölzernen Fahrbahn auf der Brücke beschäftigt waren, »werden wir alle auf dem Rücken liegen mit einem englischen Dragoner darauf. So haben wir endlich auch was von diesem Feldzug!« Sie lachte und kehrte zu ihren beiden Mulis zurück, die mit ihren Waren beladen waren.
Kate nippte an dem Kaffee. Sie hatte noch nie so sehr gefroren und sich im Regen so elend gefühlt. Und sie wusste, dass sie sich alles selbst zuzuschreiben hatte.
Williamson starrte auf den Kaffee, und Kate, unbehaglich unter seinem Blick, trat auf die andere Seite ihres Pferdes. Sie konnte Williamson nicht ausstehen. Sie mochte seine lüsternen Blicke nicht und fürchtete sich vor dem enthemmten Verlangen nach ihr, das seine Augen verrieten. Sind denn alle Männer Schweine?, dachte sie. Christopher, trotz all seiner eleganten Zivilisiertheit bei Tage, hatte des Nachts gern perversen Sex. Aber dann erinnerte sich Kate an den einzigen weichen Kuss, den Sharpe ihr gegeben hatte, und sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Und Leutnant Vicente ist ein freundlicher Mann, dachte sie. Christopher pflegte zu sagen, dass es zwei Seiten in der Welt gab, wie schwarze und weiße Figuren auf einem Schachbrett, und Kate wusste, dass sie die falsche Seite gewählt hatte. Schlimmer noch, sie wusste nicht, wie sie den Weg zur richtigen Seite zurückfinden konnte.
Christopher ritt an der stehen gebliebenen Kolonne zurück. »Ist das Kaffee?«, fragte er fröhlich. »Prima, ich brauche etwas Wärmendes.« Er nahm ihr den Becher aus der Hand, leerte ihn und gab ihn ihr zurück. »Noch ein paar Minuten, meine Liebste«, sagte er, »und es wird weitergehen. Noch eine Brücke nach dieser und wir sind über alle Berge, weit weg in Spanien. Du wirst wieder ein anständiges Bett haben. Und ein Bad. Wie fühlst du dich?«
»Kalt.«
»Kaum zu glauben, dass es Mai ist. Das Wetter ist ja noch schlimmer als in England. Aber heißt es nicht, dass Regen gut für den Teint ist? Du wirst hübscher als je zuvor werden, Liebste.« Er lauschte, als einige Musketenschüsse im Westen fielen. Das Knallen währte ein paar Sekunden, hallte dann zwischen den steilen Seiten des Engpasses hin und her, bis es verstummte. »Da ballert jemand auf Banditen«, sagte Christopher. »Die Verfolger konnten uns sicher noch nicht einholen.«
»Ich bete, dass sie uns einholen«, sagte Kate.
»Sei nicht albern, Liebste. Außerdem haben wir eine Brigade guter Infanterie und ein Kavallerieregiment als Nachhut.«
»Wir?«, fragte Kate empört. »Ich bin Engländerin!«
Christopher lächelte sie falsch an. »Ich auch, Liebste, aber was wir vor allem wollen, ist Frieden. Frieden! Und vielleicht wird dieser Rückzug das Einzige sein, was Frankreich überzeugt, Portugal in Frieden zu lassen. Darauf arbeite ich hinaus: Frieden.«
In Christophers Sattelholster hinter Kate steckte eine Pistole, und sie war versucht, die Waffe herauszuziehen, ihm in den Bauch zu stoßen und abzudrücken, doch sie hatte noch nie mit einer Feuerwaffe geschossen und wusste nicht, ob die langläufige Pistole geladen war. Und was sollte aus ihr werden, wenn Christopher nicht mehr da war? Dann würde sie Williamson ausgeliefert sein.
Plötzlich erinnerte sie sich an den Brief, den sie im Haus Beautiful für Lieutenant Sharpe heimlich ohne Christophers Wissen hatte zurücklassen können. Sie hielt den Brief jetzt für blöde. Was hatte sie Sharpe damit zu sagen versucht? Und warum ihm? Was erwartete sie denn von ihm?
Sie starrte zum fernen Hügel hinauf. Da waren Männer auf der Hügelkuppe, die sich vor dem Himmel abhoben. Christopher wandte sich um, um zu sehen, wohin sie schaute. »Weiterer Abschaum«, sagte er.
»Patrioten«, widersprach Kate.
»Bauern mit verrosteten Musketen«, sagte Christopher ätzend, »die ihre Gefangenen foltern und keine Ahnung haben, welche Prinzipien in diesem Krieg auf dem Spiel stehen. Sie sind die Kräfte des alten Europa, abergläubisch und unwissend, die Feinde des Fortschritts.« Er verzog das Gesicht. Dann schnallte er eine seiner Satteltaschen auf, um sich zu vergewissern, dass sein roter Uniformrock darin war. Wenn die Franzosen gezwungen sein würden, zu kapitulieren, dann war dieser Uniformrock sein Ausweis. Er würde in die Hügel flüchten, und wenn ihn irgendwelche Partisanen stoppten, würde er sie überzeugen, dass er ein Engländer war, der den Franzosen entkommen konnte.
»Es geht weiter, Sir«, sagte Williamson. »Die Brücke ist frei, Sir.« Er starrte Kate lüstern an. »Sollen wir reiten, Ma'am? Ich helfe Ihnen aufs Pferd, wenn Sie möchten.«
»Ich komme schon zurecht«, sagte Kate kalt. Sie musste die feuchte Decke fallen lassen, um in den Sattel zu steigen, und sie wusste, dass Christopher und Williamson auf ihre Beine in der eng sitzenden Reithose starrten.
Ein Jubelruf ertönte von der Brücke, als die ersten Kavalleristen ihre Pferde auf die gefährliche Fahrbahn führten. Das Geschrei veranlasste die Infanteristen, ihre Tornister aufzunehmen und zu dem behelfsmäßigen Übergang zu gehen.
»Noch eine weitere Brücke«, versicherte Christopher Kate, »und dann sind wir in Sicherheit.«
Nur noch eine Brücke.
Und oberhalb von ihnen, hoch in den Hügeln, marschierte Sharpe bereits darauf zu. Zur letzten Brücke für die Franzosen in Portugal.
Die Saltador.
In der Morgendämmerung sahen Sharpe und Hogan, dass ihre Befürchtungen wahr geworden waren. Ein paar Hundert französische Infanteristen marschierten über die Ponte Nova, von der ordenança blieben nichts als Leichen in dem geplünderten Dorf zurück, und hart schuftende Arbeitstrupps stellten die hölzerne Fahrbahn über das weiß schäumende Wasser des Cavado wieder her. Der lange und gewundene Engpass hallte von sporadischen Musketenschüssen wider, als portugiesische Bauern, angezogen von der aufgehaltenen Armee wie Raben vom Fleisch, von Weitem schossen.
Sharpe sah an die hundert voltigeurs einen Hügel erstürmen, um eine tapfere Horde zu vertreiben, die es gewagt hatte, sich der aufgehaltenen Kolonne bis auf zweihundert Yards zu nähern. Es gab ein kurzes Gefecht, die französischen Plänkler durchkämmten den Hügel und kehrten dann zur überfüllten Straße zurück.
Es gab kein Anzeichen auf britische Verfolger. Hogan schätzte, dass Wellesleys Armee noch einen halben Tagesmarsch hinter den Franzosen sein musste.
»Er wird die Franzosen nicht direkt verfolgt haben«, erklärte er. »Er wird nicht die Serra de Santa Catalina durchquert haben wie sie, sondern auf den Straßen geblieben sein. So ist er zuerst nach Braga marschiert, und jetzt geht sein Marsch nach Osten. Und wir ...«, er starrte zur eingenommene Brücke hinab, »... wir sollten uns zur Saltador aufmachen«, sagte er grimmig, »denn es ist unsere letzte Chance.«
Für Sharpe hatte es den Anschein, als gebe es überhaupt keine Chance mehr. Über zwanzigtausend flüchtende Franzosen verdunkelten das Tal unter ihm, und in dieser Masse befand sich Christopher. Er hatte nicht den leisesten Schimmer, wie er den Abtrünnigen finden sollte. Aber er zog seinen abgetragenen Rock an, nahm sein Gewehr und folgte Hogan, der pessimistisch dreinblickte, während Harper sonderbar fröhlich wirkte, selbst als sie durch einen Nebenfluss des Cavado waten mussten, wo ihnen das Wasser bis zur Hüfte reichte.
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