»Ich dachte, ihr wäret hier, um die Franzosen zu bekämpfen.« Die Stimme klang amüsiert, spöttisch, überheblich. »Oder haben die Briten nichts Besseres zu tun, als sich wie die Ratten gegenseitig zu zerfleischen?«
Der das sagte, war ein Kavallerieoffizier in der Uniform der spanischen Cazadores, oder vielmehr in den Resten einer solchen Uniform, denn sie war derart zerrissen und schäbig, dass es sich genauso gut um die Lumpen eines Bettlers hätte handeln können. Der Silberbesatz am gelben Kragen des Mannes war abgewetzt, die Kettenglieder seines Degengehänges angerostet. Die schwarzen Stiefel, die ihm bis zur Wade reichten, waren zerschlissen. Ein Umhang aus Sacktuch hing ihm von den Schultern.
Seine Männer, die die Spuren im Schnee hinterlassen hatten und nun eine behelfsmäßige Schützenkette östlich des Gehöfts bildeten, waren in ähnlichem Zustand, doch als Soldat fiel Sharpe sofort auf, dass die spanischen Kavalleristen ihre Degen und Karabiner gepflegt hatten. Der Offizier hielt eine rauchende Pistole mit kurzem Lauf in der Hand, die er jetzt sinken ließ.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?« Sharpe hielt immer noch das Schwertbajonett in der Hand und war zum Ausfall bereit. Er hatte in der Tat etwas von einer in die Enge getriebenen Ratte an sich: blutüberströmt, geifernd und bösartig.
»Ich bin Major Blas Vivar.« Vivar war ein Mann mittlerer Größe mit groben Gesichtszügen. Er und seine Männer sahen aus, als seien sie in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen, doch die Erschöpfung hinderte ihn nicht daran, seiner Stimme einen Unterton von Spott über das soeben erlebte Spektakel zu verleihen. »Und wer sind Sie?«
Sharpe musste erst Blut ausspucken, ehe er antworten konnte. »Lieutenant Richard Sharpe, 95th Rifles.«
»Und er?« Vivar warf Harper einen Blick zu.
»Der steht unter Arrest«, sagte Sharpe. Er warf das Schwertbajonett zu Boden und stieß Harper vor die Brust. »Raus! Raus!« Er schob ihn durch die Tür des Hauses, hin zu den anderen Grünjacken, die dort im Schnee warteten. »Sergeant Williams!«
»Sir?« Williams betrachtete ehrfürchtig die beiden blutüberströmten Männer. »Sir?«
»Schütze Harper steht unter strengem Arrest.« Sharpe stieß Harper ein letztes Mal an, sodass dieser in den Schnee fiel, dann begegnete er dem spöttischen Blick des Spaniers.
»Sie haben wohl Ärger, Lieutenant?« Der Hohn in Vivars Stimme war nicht zu überhören.
Das Beschämende an der Situation erbitterte Sharpe. Er fand den Ton des Spaniers verletzend. »Das geht Sie nichts an.«
»Sir«, berichtigte ihn Major Vivar.
»Das geht Sie nichts an, Sir.«
Vivar zuckte mit den Schultern. »Wir sind in Spanien, Lieutenant. Was hier vorgeht, geht mich mehr an als Sie, würde ich meinen.« Sein Englisch war vorzüglich, und er sprach mit einer kühlen Höflichkeit, die Sharpes Starrsinn auf den Plan rief.
»Wir wollen nichts weiter ...«, Sharpe wischte sich mit dem dunkelgrauen Ärmel das Blut vom Mund, »... als aus Ihrem verdammten Land verschwinden.«
Der Blick des Spaniers verriet, dass ihn diese Bemerkung ärgerte. »Ich denke, es wird mir ein Vergnügen sein, Sie verschwinden zu sehen, Lieutenant. Warum Ihnen also nicht behilflich sein, das Land zu verlassen?«
Ob es ihm nun gefiel oder nicht, Sharpe hatte einen Verbündeten gewonnen.
»Niederlagen«, sagte Blas Vivar, »zerstören die Disziplin. Man bringt einer Armee bei, zu marschieren, zu kämpfen, Befehle zu befolgen.« Jede dieser Tugenden wurde mit einem Abschlag des Rasiermessers betont, wobei Seifenwasser auf den Küchenboden spritzte. »Aber die Niederlage«, er zuckte mit den Schultern, »löst alle Ordnung auf.«
Sharpe, der seine Wunde am Arm hatte verarzten lassen, war sich darüber im Klaren, dass der Spanier nach Entschuldigungen für das unwürdige Schauspiel in dem verfallenen Gehöft suchte. Das war zwar freundlich von ihm, aber Sharpe war nicht auf Freundlichkeit eingestimmt. Außerdem fiel ihm keine Erwiderung ein.
»Hinzu kommt, dass dieses Gehöft Unglück bringt«, sagte Vivar, der sich wieder der Spiegelscherbe zuwandte, die er auf dem Fenstersims platziert hatte. »Das war schon immer so, zu Lebzeiten meines Großvaters hat es hier einen Mord gegeben. Natürlich war eine Frau im Spiel. Und zu Zeiten meines Vaters hat hier jemand Selbstmord begangen.« Er bekreuzigte sich mit dem Rasiermesser, dann rasierte er sorgfältig unterm Kinn aus. »Hier spukt es, Lieutenant. Bei Nacht lassen sich Gespenster sehen. Ein Ort des Grauens. Was für ein Glück, dass ich Sie gefunden habe. Wollen Sie das Rasiermesser benutzen?«
»Ich habe selbst eins.«
Vivar trocknete die Klinge ab und verstaute sie zusammen mit dem Spiegel in einem Lederetui. Dann sah er nachdenklich zu, wie Sharpe Bohnen und Schweineohren löffelte, die der Dorfpriester zum Abendessen serviert hatte. »Glauben Sie«, fragte Vivar leise, »dass die Dragoner nach Ihrem Scharmützel dem britischen Heer gefolgt sind?«
»Ich habe nichts gesehen.«
»Hoffen wir, dass sie es getan haben.« Vivar schöpfte etwas von dem Gericht auf den eigenen Teller. »Vielleicht glauben sie, ich hätte mich dem britischen Rückzug angeschlossen, was meinen Sie?«
»Kann sein.« Sharpe fragte sich, warum Vivar so starkes Interesse an den französischen Dragonern zeigte, die von dem Gardeoffizier in der roten Pelisse und dem schwarz gekleideten Zivilisten angeführt wurden. Er hatte Sharpe eifrig nach jedem Detail des Kampfes an der Brücke ausgefragt, aber das besondere Interesse des Spaniers galt der Richtung, die die feindlichen Reiter nach der Auseinandersetzung eingeschlagen hatten. Sharpe konnte jedoch als Antwort auf seine Fragen nur die Mutmaßung bieten, sie hätten anschließend die Verfolgung von Sir John Moores Heer aufgenommen.
»Wenn Sie recht haben, Lieutenant ...«, Vivar hob seinen Weinbecher zu einem ironischen Trinkspruch, »... ist das die beste Nachricht, die ich in den letzten zwei Wochen erhalten habe.«
»Warum waren sie hinter Ihnen her?«
»Sie waren nicht hinter mir her«, sagte Vivar. »Sie sind hinter allem her, was eine Uniform anhat. Vor zwei Tagen sind sie mir zufällig auf die Spur gekommen. Ich möchte nur sichergehen, dass sie nicht im nächsten Tal auf mich warten.« Vivar erklärte Sharpe, er sei in westlicher Richtung unterwegs gewesen und habe, als er in die Berge abgedrängt wurde, sowohl alle Pferde als auch eine beträchtliche Zahl seiner Männer eingebüßt. Erst das verzweifelte Bedürfnis nach Nahrung und Zuflucht habe ihn in dieses kleine Dorf getrieben.
Nahrung hatte man ihm bereitwillig gegeben. Als die Soldaten in die kleine Siedlung einmarschierten, war Sharpe aufgefallen, wie froh die Dorfbewohner waren, Major Blas Vivar zu sehen. Einige der Männer hatten sogar versucht, dem Major die Hand zu küssen, während der Dorfpriester aus seinem Haus geeilt war und die Frauen angewiesen hatte, ihre Herde zu befeuern und an ihre Wintervorräte zu gehen. Die Soldaten, spanische ebenso wie britische, wurden herzlich willkommen geheißen. »Mein Vater«, erklärte Vivar nun Sharpe, »war der Herr dieses Berglands.«
»Heißt das, Sie sind von Adel?«
»Ich bin der jüngere Sohn. Mein Bruder ist der neue Graf.« Vivar bekreuzigte sich, als er seinen Bruder erwähnte, und Sharpe sah darin eine besondere Respektsbezeugung. »Ich bin natürlich ein Hidalgo«, fuhr Vivar fort, »deshalb nennen mich die Leute Don Blas.«
Sharpe zuckte mit den Schultern. »Hidalgo?«
Vivar verbarg höflich seine Überraschung über Sharpes Unwissenheit. »Ein Hidalgo, Lieutenant, ist ein Mann, der seine Abstammung auf die alten Christen Spaniens zurückführen kann. Reines Blut, Sie verstehen schon, das nicht durch Mauren- oder Judenblut besudelt ist. Ich bin ein Hidalgo.« Er sagte dies mit schlichtem Stolz und natürlichem Selbstbewusstsein. »Und Ihr Vater? Ist er auch von Adel?«
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