Das Jahr verlief vortrefflich, und als genannter Balfour aus den Büchern die Lage des Geschäftes feststellte, ergab sich -an Waaren und an Depositen bei der Bank von Irland - ein Vermögensstand von tausend Pfund Sterling.
Zu dieser Zeit - im Januar 1885 - trat Findling ins vierzehnte Lebensjahr und Bob war nun neuneinhalb Jahre alt. Gesund und kräftig, spürten sie nichts mehr von dem früheren elenden Leben. Es war edles gaelisches Blut, das in ihren Adern floß, wie der Shannon, die Lee oder die Liffey, die durch Irland strömen, um es immer frisch zu beleben.
Der Bazar blühte immer weiter. Findling war offenbar auf dem Wege zu Glück und Wohlstand. Von gewagten Speculationen hielt er sich fern, obgleich er nicht der »Mann« dazu war, eine sich bietende günstige Gelegenheit unbenützt zu lassen.
Immerfort beunruhigte ihn jedoch das Schicksal der Mac Carthy's. Auf Erkundigungen, die er von Melbourne in Australien einzog, wurde ihm nur die Antwort zutheil, daß man die Spuren der gesuchten Familie gänzlich verloren habe, was in dem großen, in seinem Innern kaum bekannten Lande ja so häufig vorkommt. Mittellos, wie sie waren, hatten Martin und seine Kinder wahrscheinlich nur auf irgend einer weit entlegenen Schafzüchterei Arbeit finden können, doch wo?, Wer hätte das zu sagen vermocht?
Ueber Pat war seit seinem Abgange von der Firma Macuard auch nichts bekannt geworden, und möglicherweise hatte sich dieser zu seinen Eltern nach Australien begeben.
Neben der Sorge um die Mac Carthy's bekümmerte Findling nur noch die um Sissy, seine Leidensgenossin bei der Hard. An die letztere selbst, sowie an den grausamen Thornpipe und an die hochfahrenden Piborne's dachte er gar nicht mehr.
Höchstens bezüglich der Miß Anna Walston wunderte er sich, sie noch niemals auf einem Dubliner Theater wieder haben erscheinen zu sehen, doch war er unschlüssig, ob er, wenn das doch einträte, zu ihr gehen sollte oder nicht.
»Und Carker?. Ist der endlich gehenkt worden?«
So lautete unverändert Grips Frage nach jeder Heimkehr des »Vulcan«, sobald er den Laden »Zum kleinen Geldbeutel« betrat. Auf die Antwort, daß man ihm darüber nichts sagen könne, durchwühlte Grip die alten Zeitungen, ohne etwas zu finden, was sich »auf den vollendetsten Galgenstrick der Lumpenschule« bezogen hätte.
»Nun, wir wollen's abwarten. Nur ein wenig Geduld!
- Warum sollte denn Carker nicht ein ganz braver Bursche geworden sein können?
- Er?. rief Grip.. er, der Schlingel?. Nein, dann könnte es einem leid werden, ehrenhaft zu sein.«
Kat, der die Geschichte der Verwahrlosten von Galway bekannt war, stimmte mit Grip darin überein, wie überhaupt in allem, bis auf den einen Punkt, daß Kat den Grip stets drängte, das Seefahren aufzugeben, was dieser wieder hartnäckig verweigerte. Mit Ende des Jahres war denn diese Frage auch um keinen Schritt vorwärts gekommen.
Jetzt war der 25. November; es herrschte schon voller Winter. In großen Flocken fiel der Schnee herab, der leichten Federn gleich auf der Erde hintrieb. Es war einer jener eisigen Tage, an denen man am liebsten in der warmen Stube bleibt.
Findling konnte das heute jedoch nicht. Am Morgen hatte er einen Brief eines seiner Lieferanten in Belfast erhalten. Die Ausgleichung einer Rechnung drohte dort einen Proceß herbeizuführen, und Processe soll man in jedem Falle möglichst zu vermeiden suchen. Das war wenigstens die Ansicht O'Brien's, und dieser drängte den Knaben auch, selbst nach Belfast zu reisen und jene Angelegenheit so gut wie möglich persönlich zu erledigen.
Findling mußte ihm Recht geben und beschloß diesem Rathe sofort zu folgen. Es handelte sich ja nur um eine Eisenbahnfahrt von kaum hundert Meilen. Wenn er um neun Uhr abreiste, traf er noch denselben Vormittag in Belfast ein, der Nachmittag mußte genügen, mit seinem Geschäftsfreunde ins reine zu kommen, und vor Mitternacht hoffte er wieder zu Hause sein zu können.
Bei einer so knapp bemessenen Zeit kann ein Reisender den Einzelheiten der Fahrt keine große Aufmerksamkeit schenken. Dazu flog der Zug sehr schnell dahin, einmal längs der Küste und dann wieder mehr im Innern des Landes. Von der Grafschaft Dublin aus durcheilte er die Grafschaft Meath und hielt nur einige Minuten in Drogheda, einem nicht unbedeutenden Hafen, von dem Findling freilich nichts sah, ebensowenig wie von dem eine Meile davon entfernten berühmten Schlachtfelde von Boyne, das den schließlichen Sturz der Dynastie der Stuart's sah. Weiter rastete der Zug einmal in der Grafschaft Louth in Dunkalk. einer der ältesten Städte der Grünen Insel, wo der berühmte Robert Bruce einst gekrönt wurde. Hierauf gelangte er nach der Provinz Ulster, wo die Grafschaft Donegal unsern jungen Reisenden an sein früheres Elend erinnerte. Nach Durchschneidung der Grafschaften Armagh und Down überschritt der Zug endlich die Grenze von Antrim.
Antrim, das Land des vulkanischen Bodens und der wilden Höhlen, hat Belfast als Hauptstadt; ihrem Handel und ihrer Flotte von drei Millionen Tonnengehalt nach ist das die zweite Stadt Irlands, ebenso durch ihre Einwohnerzahl von fast zweimalhunderttausend Köpfen, durch ihren intensiven, meist auf Lein gerichteten Feldbau, wie durch ihre Industrie, die sechzigtausend Arbeiter in hundertsechzig Spinnereien beschäftigt, und durch ihre wissenschaftlichen Bestrebungen, von deren Bedeutung das Queen's-College Zeugniß giebt.
Belfast liegt an der engen Ausmündung des Laganflusses, von dem ein Canal durch die vorgelagerten Sandbänke führt. Leichtbegreiflicherweise herrschte an einem so gewerbthätigen Punkte, wo die politische Erregung durch die Berührung, oder besser durch den Zusammenprall persönlicher Interessen wach gehalten wird, immer hitziger Streit zwischen Protestanten und Katholiken. Die ersteren sind Feinde der Unabhängigkeit, die die andern erstreben. Die einen mit dem Feldgeschrei »Oranien«, die andern mit einem gelben Bande als Erkennungszeichen, kommen sie oft miteinander ins Handgemenge, regelmäßig aber am 7. Juli, dem Jahrestage der Schlacht von Boyne.
Obwohl heute nicht der 7. Juli war und die Temperatur vier Grad unter Null betrug, herrschte in der Stadt doch der helle Aufruhr. Die Parnelliten und die Parteigänger der »Land League« und des Landlordismus waren in bittern Streit gerathen. Der Sitz der »Gesellschaft zur Verbreitung der Leincultur«, an den sich die meisten Fabriken der Stadt anschließen, hatte sogar ganz besonders geschützt werden müssen.
Findling, der ja nicht im entferntesten um politischer Streitfragen willen hierher gekommen war, begab sich zunächst zu seinem Lieferanten, den er auch glücklicherweise antraf.
Der Mann war nicht wenig erstaunt, als sich ihm ein so junger Knabe in seinem Bureau vorstellte, ebenso aber über den Scharfsinn und die Einsicht, womit dieser seine Interessen vertrat. Bald war alles zu beiderseitiger Zufriedenheit geordnet. Zwei Stunden hatten dazu hingereicht, und Findling wollte nun in der Nähe des Bahnhofs zum Essen gehen. Hatte er die heutige Reise schon nicht zu bereuen, da sie ihm einen Proceß ersparte, so sollte der Besuch von Belfast ihm doch noch eine andre Ueberraschung bereiten.
Es wurde bereits dunkel und hatte zu schneien aufgehört, nur herrschte noch eine recht empfindliche Kälte.
Vor einer großen Fabrikanlage der Stadt vorübergehend, wurde Findling durch einen Haufen von Menschen aufgehalten, der die Straße völlig sperrte. Es war grade Zahltag in den Fabriken, und eine für die folgende Woche angekündigte Lohnverkürzung hatte eine große Arbeiterschaar gewaltig in Erregung versetzt.
Die Leinindustrie wurde in Belfast von Emigranten nach Aufhebung des Edicts von Nantes eingeführt, deren Nachkommen noch heute in derselben thätig sind. Die betreffende Fabrik gehörte einer anglicanischen Gesellschaft, deren Arbeiter aber zum größten Theile Katholiken waren, und diese gaben ihrem Unwillen nun in lärmendster und rohester Weise Ausdruck.
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