Robinson Crusoe , der Ereignisse erzählt, die der Wahrheit weit näher kommen, steht in Beziehung auf den Ernst und die Wahrscheinlichkeit der Erzählung vielleicht nicht über Gulliver . Die ganze Person Gullivers ist mit solcher Wahrheit geschildert, daß ein Matrose behauptete, er habe den Kapitän Gulliver recht gut gekannt, aber er wohne zu Wapping und nicht in Notherhithe. Dieser Kontrast der natürlichen Leichtigkeit und Einfachheit des Styls mit den erzählten Wundern ist es, was einen Hauptreiz dieser merkwürdigen Satyre auf die Unvollkommenheiten, Torheiten und Laster des menschlichen Geschlechtes ausmacht. Die genauen Berechnungen, die sich in den zwei ersten Teilen finden, tragen dazu bei, der Fabel einige Wahrscheinlichkeit zu geben. Man behauptet, bei der Beschreibung eines natürlichen Gegenstandes, wenn die Verhältnisse richtig beobachtet seien, sei das Wunderbare, möge nun der Gegenstand vergrößert oder verkleinert seien, für das Auge des Zuschauers weniger fühlbar. Das ist gewiß, daß die Proportionen im Allgemeinen ein wesentliches Attribut der Wahrheit und folglich der Wahrscheinlichkeit sind. Wenn der Leser einmal das Dasein der Menschen zugibt, welche der Reisende gesehen haben will, so ist es schwer, einen Widerspruch in der Erzählung zu finden. Im Gegenteil scheint es, Gulliver und die Menschen, die er sieht, betragen sich gerade so, wie sie sich unter den vom Verfasser erdichteten Umständen betragen mußten. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist das größte Lob, das man für Gullivers Reisen anführen kann, das Urteil, das ein gelehrter irländischer Prälat darüber fällte, welcher sagte, es gebe Dinge darin, die man ihm niemals glauben machen könne. Es gehört eine große Kunst dazu, uns Gulliver zu zeigen, wie er stufenweise durch den Einfluß der Gegenstände, die ihn umgeben, seine Ideen über die Proportionen der menschlichen Gestalt bei seiner Ankunft in Lilliput und Brobdingnag verliert, und sich an die Proportionen der Riesen und Pygmäen gewöhnt, in deren Mitte er lebt.
Um diese Betrachtungen nicht weiter auszudehnen, bitte ich nur den Leser zu bemerken, mit welch unendlicher Kunst die menschlichen Handlungen zwischen diesen zwei verschiedenen Arten erdichteter Wesen geteilt sind, um die Satyre anziehender zu machen. In Lilliput werden die politischen Intriken und Kabalen, welche die Hauptbeschäftigung der europäischen Höflinge sind, auf einem Hof von kleinen sechs Zoll hohen Geschöpfen übergetragen, ein Gegenstand des Gelächters; während der Leichtsinn der Frauen und die Torheiten an den europäischen Höfen, welche der Verfasser den Damen am Hofe von Brobdingnag andichtet, bei einer Nation von so erschreckender Höhe ungeheuer und abstoßend werden. Durch solche Mittel und durch tausend andere, in denen man den Griffel eines großen Meisters findet, und bei denen man die Wirkung fühlt, während man der Ursache nur durch eine lange Zergliederung habhaft werden kann, hat Swifts Genie aus einem Feenmärchen einen Roman gemacht, dem man, was Kunst der Darstellung und echten Geist der Satyre betrifft, keinen andern an die Seite stellen kann.
Der Ruf von Gullivers Reisen verbreitete sich bald in Europa, Voltaire , der sich damals in England befand, rühmte sie seinen Freunden in Frankreich an, und empfahl ihnen, sie übersetzen zu lassen. Der Abbe Desfontaines unternahm diese Übersetzung. Seine Zweifel, seine Besorgnisse, seine Entschuldigungen sind in einer merkwürdigen Einleitung aufgezeichnet, die sehr geeignet ist, von dem Geist und den Ansichten eines französischen Gelehrten jener Zeit eine Vorstellung zu geben. Dieser Übersetzer gesteht, er fühle, daß er alle Regeln verletze; und während er um Gnade bittet für die seltsamen Erdichtungen, die er in ein französisches Gewand zu kleiden versucht habe, bekennt er zugleich, daß ihm bei gewissen Stellen vor Schrecken und Verwunderung die Feder aus den Händen gefallen sei, als er alle Wohlanständigkeit von dem englischen Satiriker so keck habe verletzen sehen. Er zittert, es möchten einige Züge bei Swift auf den Hof von Versailles angewendet werden, und er beteuert mit vielen Umschweifen, es sei nur von den toriz und wigts ( torys und whigs ) in dem aufrührerischen Königreiche England die Rede. Er schließt mit der Versicherung an seine Leser, daß er nicht nur dem Geschmack seiner Landsleute zu Gefallen vieles verändert habe, sondern daß er auch alle Einzelnheiten der Seereise und viele andere Eigentümlichkeiten, die im Original so verwerflich seien, unterdrückt habe. Ohngeachtet dieser Affektation von Geschmack und Zartgefühl ist die Übersetzung erträglich. Zwar hat sich der Abbe Desfontaines entschädigt, indem er eine Fortsetzung der Reisen in einem, wie man leicht denken kann, von dem des Originals sehr verschiedenen Stile veröffentlichte. 7 7 Diese Fortsetzung hat den Titel: »Der neue Gulliver ; das heißt, die Reisen Johann Gullivers , des Sohns vom Kapitän Lemuel .« Sie stehen mit dem Original in keiner engern Verbindung als Fenelons Telemach mit der Odyssee. Der Abbe Desfontaines hat die kühnen und unregelmäßigen Erdichtungen, die beißenden satyrischen Lehren, die einfache ins Einzelne gehende Darstellung Swifts vermieden. Johann Gulliver ist ein erdichteter Reisender, der kein Interesse einflöst, der in ein Land reist, in welchem die Frauen herrschen; in ein anderes, wo die Einwohner nur einen Tag leben; in ein drittes, wo die Häßlichkeit Liebe und Bewunderung einflöst. Obgleich Desfontaines hinter der anziehenden Originalität seines Musters weit zurückbleibt, so ist doch sein Werk nicht ohne Phantasie und Talent. Er richtete einen Brief an Swift wegen seiner Übersetzung: aber dieser nahm seine Entschuldigung über die Verstümmlungen und Veränderungen nicht an, die er an seinem Werke angebracht hatte, um es dem französischen Geschmacke anzupassen.
Auch in England hat man eine Fortsetzung von Gullivers Reisen (angeblich einen dritten Band) veröffentlicht. Es ist dies die unverschämteste Verbindung von Diebstahl und Verfälschung, die man sich jemals in der literarischen Welt erlaubt hat. Während man behauptet, diese Fortsetzung sei vom Verfasser des echten Gulliver , fand es sich, daß sie nicht einmal das Werk seines Nachahmers war, der nur ein ganz unbekanntes französisches Werk, die Geschichte der Severamben, abgeschrieben hatte. 8 8 Gleich im Anfang des Jahres 1727 erschien der dritte Band von Gullivers Reisen ohne den Namen eines Buchdruckers, in demselben Format wie die Reisen, Der Verfasser läßt Gulliver eine zweite Reise nach Brobdingnag machen, aber obgleich er seinen Geist nicht besonders anstrengte, wird er doch bald seiner Verpflichtung, selbst zu erfinden, müde, und füllt den Rest des Bandes mit der Kopie einer erdichteten Reise, die französisch geschrieben und »Geschichte der Severamben« betitelt ist, und welche dem Schriftsteller Alletz zugeschrieben wird. Das Werk wurde in Frankreich und in den übrigen katholischen Reichen wegen der darin enthaltenen deistischen Ideen unterdrückt, und da es somit selten war, glaubte der Plagiarius, es ohne Gefahr als ein Originalwerk veröffentlichen zu können.
Abgesehen von diesen Fortsetzungen mußte ein Werk, das ein so großes Aufsehen gemacht hatte, notwendig auf die Idee führen, es nachzuahmen, zu parodieren und zu erklären; es mußte notwendig einige Dichter begeistern, seinem Verfasser Lobsprüche und Satyren eintragen, kurz, es mußte Alles geschehen, was gewöhnlich einen solchen Triumph begleitet, selbst den Sklaven hinter dem Triumphwagen nicht ausgenommen, dessen rohe Beleidigungen den triumphierenden Autor daran erinnerten, daß er noch ein Mensch sei.
Gullivers Reisen konnten die Gunst, in welcher der Verfasser am Hofe des Prinzen von Wales stand, nur vermehren. Man schrieb ihm sehr feine und sehr herzliche Briefe und viele Scherze über Gulliver , die Yahus und die Lilliputaner . Als Swift England verließ, hatte er die Fürstin und Mistreß Howard um ein kleines Geschenk gebeten, als Andenken an die Auszeichnung, die sie ihm vor einem gewöhnlichen Geistlichen zuzuerkennen schienen. Er hatte das Geschenk der Fürstin auf einen Wert von zehn Pfund Sterling und das Geschenk der Mistreß Howard auf eine Guinee bestimmt, die Fürstin versprach ein Geschenk in Denkmünzen, die sie aber niemals überschickte. Mistreß Howard , ihrem Worte getreuer, sandte Swift einen Ring und kündigte ihm ihn durch einen Brief an, auf den er im Namen Gullivers antwortete; Swift fügte zu der Antwort eine kleine goldene Krone hinzu, die das Diadem von Lilliput vorstellte. Die Fürstin geruhte, ein Stück Seide aus einer irischen Fabrik anzunehmen, aus dem sie sich ein Kleid machen ließ. In seinem Briefwechsel kommt Swift ein wenig allzuoft auf dieses Geschenk zurück. Alles schien darauf hinzudeuten, daß, im Fall der Fürst den Thron besteigen würde, Gulliver , um uns der Ausdrücke des Lord Peterborough zu bedienen, »seine Tanzschuhe nur mit Kreide zu bestreichen und auf dem Seile tanzen zu lernen brauche, um Bischof zu werden.«
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