Anfang Juni und Mitte August 1813 kamen weitere 4.360 Mann aus Württemberg ins Feld. Die schwäbischen Regimenter kämpften am 6. September in der Schlacht bei Dennewitz gegen die alliierte Nordarmee. Bei der französischen Niederlage erlitten sie hohe Verluste von über 2.200 Mann. In der Völkerschlacht bei Leipzig war die württembergische Division — bereits stark dezimiert — vor allem mit Verteidigungsaufgaben betraut und hatte nur geringe Feindberührung. Ein Skandalon war der Übergang einer von Graf Normann geführten Reiterbrigade auf die Seite der Alliierten. Ende Oktober langten die Reste des württembergischen Armeekorps, etwa 1.200 Mann, in Württemberg an.
Der Herbstfeldzug des Jahres 1813 war der letzte Waffengang, in der württembergische Truppen auf der Seite Napoleons kämpften. Nach dem Bündniswechsel König Friedrichs in den Wochen nach der Völkerschlacht bei Leipzig nahmen neu aufgestellte schwäbische Regimenter unter dem Kommando von Kronprinz Friedrich Wilhelm am Frühjahrsfeldzug in Frankreich teil. Unter anderem waren sie an den Schlachten von La Rothiere, Montereau, Arcis-sur-Aube und Fere-Champenoise beteiligt. Unter den alliierten Truppen, die am 31. März in die französische Hauptstadt Paris einzogen, befanden sich auch zwei württembergische Infanteriebataillone.
4. Selbstzeugnisse württembergischer Kriegsteilnehmer
Aus dem frühen 19. Jahrhundert ist eine deutlich größere Zahl an soldatischen Selbstzeugnissen (v. a. Briefe, Tagebücher, Erinnerungen) überliefert als aus früheren Epochen der europäischen Geschichte. {90} 90 Als soldatische „Selbstzeugnisse“ werden im Folgenden autobiografische Texte bezeichnet, die von den jeweiligen Feldzugsteilnehmern bewusst und freiwillig verfasst worden sind, um über ihre Person Auskunft zu geben. Fast immer thematisieren sie explizit die Person des schreibenden Ich (Krusenstjern). Soldatische Selbstzeugnisse zählen zur Quellengattung der Ego-Dokumente. Zur — umstrittenen — Terminologie Selbstzeugnis/ Ego-Dokument vgl. bes. Krusenstjern 1994; Schulze 1996; Rutz 2002; von Greyerz 2010. Zu den „subjektiven Zeugnissen“ aus der Zeit um 1800 vgl. bes. Planert 2007, hier S. 29—56. Zu soldatischen Selbstzeugnissen vgl. Epkenhans/ Förster/ Hagemann 2006.
Dies hat viele Gründe. {91} 91 Zum Folgenden vgl. Epkenhans/ Förster/ Hagemann 2006, S. XI-XII (Einführung).
Ein wichtiger Faktor war, dass durch die lange Dauer der französischen Revolutionskriege und der napoleonischen Kriege die Zahl der Militärangehörigen stark angestiegen war. Daneben spielte eine Rolle, dass sich in vielen Staaten in der Zeit um 1800 die soziale Zusammensetzung der Heere verändert hatte. Die Einführung der „levée en masse“ in Frankreich im Jahr 1793 und die Verbreitung der Konskription in den französisch dominierten Teilen Europas bedingten, dass in größerer Zahl Bürgerliche Militärdienst leisteten. Viele von diesen neigten — nicht zuletzt aufgrund ihres zum Teil exzellenten Bildungshintergrunds — dazu, ihre Soldatenzeit sowie die Kriegsereignisse, an denen sie teilnahmen, intensiv zu reflektieren.
Die soldatischen Selbstzeugnisse des frühen 19. Jahrhunderts können in zwei Gruppen geschieden werden: die zeitgenössischen Dokumente und diejenigen, die erst nach den Kriegsereignissen, in der Regel nach dem Ende der napoleonischen Epoche, entstanden sind. Die Zahl der zeitgenössischen Aufzeichnungen ist insgesamt geringer als die Zahl der später angefertigten Texte. Die autobiografischen Dokumente von Militärangehörigen sind wie alle Selbstzeugnisse als „Ich-Konstruktionen“ (Rutz) zu verstehen. {92} 92 Rutz 2002.
Persönliche Kriegserfahrungen sind in diesen Quellen in medial vermittelter Form greifbar. {93} 93 Tonn 2009. Zum Begriff der „Kriegserfahrung“ vgl. Schild/ Schindling 2009.
Die wissenschaftliche Auswertung der Selbstzeugnisse von Soldaten, die an den Kriegen um 1800 teilgenommen haben, wirft zum Teil gravierende methodische Probleme auf. Dies gilt besonders für diejenigen Dokumente, die längere Zeit nach den geschilderten Geschehnissen entstanden sind. Bei diesen Aufzeichnungen kam es häufig zu Umdeutungen von Kriegserfahrungen durch den jeweiligen Verfasser. Wissenschaftliche Editionen von Erinnerungswerken sowie quellenkundliche Analysen liegen nur in sehr geringer Zahl vor. {94} 94 Zum Forschungsstand zu diesen Dokumenten vgl. nach wie vor Scharf 2000, S. 19—28.
Auffallend viele soldatische Selbstzeugnisse, welche die Zeit der Revolutionskriege oder der napoleonischen Kriege zum Gegenstand haben, beziehen sich ausschließlich oder zum Teil auf den französischen Feldzug gegen Russland im Jahr 1812. {95} 95 Quellensammlungen: Kleßmann 1964; Brett-James 1966. Vgl. daneben Bourachot 2011. Darstellungen des Feldzugs mit starker Gewichtung von Augenzeugenberichten: Holzhausen 1912; Zamoyski 2004; Kleßmann 2012; Furrer 2012.
Bei diesen Dokumenten handelt es sich ebenfalls mehrheitlich um Werke, die nach 1815 entstanden sind. Zu den Selbstzeugnissen zum Russlandfeldzug Napoleons zählen neben textlichen Kriegserinnerungen auch Zeichnungen und Gemälde, welche die kriegerischen Ereignisse vergegenwärtigen. Zahlreiche autobiografische Dokumente, vor allem Kriegsmemoiren, wurden im Verlauf der vergangenen zwei Jahrhunderte ganz oder in Teilen veröffentlicht. Doch befinden sich immer noch unpublizierte Aufzeichnungen in Archiven, in Bibliotheken oder im privaten Besitz.
Unter den Selbstzeugnissen deutscher Soldaten und Offiziere, die im Jahr 1812 in Napoleons Grande Armée Dienst leisteten, nehmen die Erinnerungswerke von Württembergern eine wichtige Rolle ein. {96} 96 Überblick (unvollständig): Hemmann 2001. Die folgenden Ausführungen stellen eine Zusammenfassung meines Aufsatzes „Selbstzeugnisse württembergischer Feldzugsteilnehmer — eine Bestandsaufnahme“ dar (demnächst in Bickhoff/ Mährle vgl. Anm. 1). In diesem Aufsatz finden sich detaillierte Literaturnachweise.
Eine herausragende Bedeutung für die visuelle Vergegenwärtigung des Feldzugs gegen das Zarenreich erlangten die Aquarelle und Zeichnungen von Christian Wilhelm von Faber du Faur (1780—1857). {97} 97 Vgl. Mährle 2015.
Diese bildlichen Darstellungen wurden weltweit rezipiert und sind in nahezu allen Publikationen über die französische Invasion nach Russland wiedergegeben. Daneben haben aber auch zahlreiche Kriegserinnerungen schwäbischer Militärangehöriger die Aufmerksamkeit der nationalen und internationalen Forschung auf sich gezogen. Zu nennen sind insbesondere die Memoiren von Christian von Martens, Heinrich von Roos, Karl von Suckow und Jakob Walter. Auszüge aus diesen Werken fanden Eingang sowohl in Quellensammlungen als auch in historiografische Darstellungen. {98} 98 Vgl. Württemberger im Russischen Feldzug 1812 1911; Dorsch 1913, S. 58—94; Gebhardt 1937 sowie die in Anm. 18 genannte Literatur.
Von insgesamt 25 württembergischen Teilnehmern am Feldzug von 1812 sind Kriegserinnerungen in Textform überliefert. Interessant ist ein Blick auf das biografische Profil der Memoirenschreiber. 17 der 25 Autoren waren Offiziere. In Schwaben griffen überwiegend junge, zumeist zwischen 1785 und 1793 geborene Offiziere (Seconde- und Premierleutnante, Hauptleute) zur Feder und hielten ihre Erinnerungen an den französischrussischen Krieg fest. Die württembergischen Verfasser von Kriegsmemoiren waren mehrheitlich bürgerlicher Herkunft, erlangten aber in der Regel — durch militärischen Aufstieg bzw. durch Ordensverleihung — die Nobili- tierung. {99} 99 Zur Nobilitierung von Offizieren in Württemberg vgl. Paul 2005, S. 793— 794: „K. Ordre betreffend den Personal=Adel der Offiziere” vom 1. Dezember 1806 (Dokument 10).
Mindestens 14 Autoren stammten aus Altwürttemberg, also aus dem Gebiet des Herzogtums in den Grenzen von 1802. Die überwältigende Mehrheit der Veteranen, die Erinnerungen hinterließen, gehörte der evangelischen Konfession an: Lediglich vier Personen waren katholisch. Memoiren sind in Württemberg von Soldaten aller Waffengattungen überliefert: 17 der 24 Autoren, deren Einheit bekannt ist, dienten in einer Infanterieformation (darunter zwei Ärzte), sechs bei der Kavallerie (darunter drei Ärzte), einer bei der Artillerie. Auffallend ist, dass viele württembergische Autoren von Kriegserinnerungen im Lauf ihrer militärischen Karriere, die sie zum Teil nach 1815 fortsetzten, hohe Auszeichnungen erlangten. Für insgesamt 15 Autoren lässt sich eine Verleihung des württembergischen Militärverdienstordens nachweisen, an drei Ärzte, die Erinnerungswerke verfassten, verlieh König Friedrich den Zivilverdienstorden. Fünf Autoren waren Ritter, zwei sogar Offiziere der französischen Ehrenlegion.
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