Der Flund jaulte. Er hatte die Augen geschlossen, aber die Hinterläufe zappelten spastisch, und seine Ohren zuckten. Sein Bauch war aufgebläht. Unter der Flaut regte sich etwas. Sein großer Moment war nah.
Nach und nach sickerte wieder Farbe in die Welt. Mr. Gray atmete ein paarmal tief durch und brachte diesen kran-ken, unglückseligen Leib in einen ruheähnlichen Zustand. Wie weit war es noch? Es konnte eigentlich nicht mehr weit sein, aber wenn der Kleinwagen jetzt hier festhing, musste er zu Fuß gehen ... und das konnte der Hund nicht. Der Hund musste schlafen, und das Byrum war ohnehin gefährlich nah dran, wieder aufzuwachen.
Er streichelte das Schlafzentrum seines primitiven Hirns, wobei er auch seine sabbernde Schnauze berührte. Ein Teil seines Geistes war sich Jonesys bewusst, der immer noch dort drinnen war, von der Welt nichts sehen konnte, aber auf eine Gelegenheit wartete, herauszukommen und seine Mission zu sabotieren; und unfasslicherweise sehnte sich ein anderer Teil seines Geistes schon wieder nach Essen — sehnte sich nach Bacon: eben dem Zeug, das ihn vergiftet hatte.
Schlaf, kleiner Freund. Er sprach zu dem Hund und auch zu dem Byrum. Und beide hörten ihm zu. Lad hörte auf zu jaulen. Seine Pfoten hörten auf zu zucken. Die Wellenbewegung unter dem Bauch des Hunds wurde langsamer ... immer langsamer. Diese Ruhe würde nicht lange anhalten, aber fürs Erste war jetzt alles in Ordnung. Jedenfalls den Umständen entsprechend.
Ergib dich, Dorothy.
»Schnauze!«, sagte Mr. Gray. »Knutsch mir die Kimme!« Er legte den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf und verscheuchte Vögel aus den Bäumen, aber es nützte nichts. Die Vorderreifen hingen fest, und die Hinterreifen hingen in der Luft.
»Mist!«, schrie Mr. Gray und schlug mit Jonesys Faust aufs Lenkrad ein. »Heilige Filzlaus! Gekörnte Scheiße!«
Er sah sich in Gedanken nach seinen Verfolgern um und bekam nichts Deutliches rein, hatte nur das Gefühl, dass sie näher kamen. Es waren zwei Gruppen, und die Gruppe, die ihm am nächsten war, hatte Duddits dabei. Mr. Gray fürchtete Duddits, da er spürte, dass hauptsächlich er schuld daran war, wie absurd, wie empörend schwierig das ganze Un
terfangen geworden war. Wenn er einen Vorsprung vor Duddits halten konnte, würde alles gut ausgehen. Es wäre hilfreich gewesen, hätte er gewusst, wie nah ihm Duddits war, aber sie sperrten ihn aus - Duddits, Jonesy und dieser andere, dieser Henry. Diese drei zusammen bildeten eine Kraft, der Mr. Gray noch nie zuvor begegnet war, und das machte ihm Angst.
»Aber ich habe immer noch genug Vorsprung«, sagte er zu Jonesy und stieg aus. Er rutschte aus, rief einen Biber-Fluch und knallte dann die Tür zu. Es schneite wieder, große weiße Flocken, die auf Jonesys Wangen landeten. Mr. Gray schleppte sich hinten um den Wagen herum und schlitterte dabei mit seinen Stiefeln durch den Schlamm. Er blieb kurz stehen und betrachtete das gewellte, silbrige Rohr, das unten aus dem Loch ragte, in dem sein Auto hing (er war zum Teil auch der absolut nutzlosen, aber eben so infernalisch ansteckenden Neugierde seines Wirts zum Opfer gefallen), und ging dann zur Beifahrertür. »Deine Arschlöcher von Freunden schlag ich doch mit links.«
Auf diese Bemerkung kam keine Antwort, aber er spürte Jonesy, genau wie er die anderen spürte; Jonesy schwieg, war aber immer noch die Gräte in seiner Kehle.
Denk nicht an ihn. Auf den ist geschissen. Der Hund war das Problem; sein großer Moment war nah. Das Byrum wollte dringend raus. Wie sollte er den Hund transportieren?
Zurück in Jonesys Lagerraum. Es dauerte etwas ... aber dann war da ein Bild aus der »Sonntagsschule«, in die Jonesy als Kind gegangen war, um etwas über »Gott« und »Gottes einzigen eingeborenen Sohn« zu lernen, der anscheinend ein Byrum war und der Schöpfer einer Byrus-Kultur, die in Jonesys Akten gleichwohl als »Christentum« wie als »Schwachsinn« auftauchte. Das Bild war sehr deutlich und stammte aus einem Buch mit dem Titel »Die heilige Bibel«. Es zeigte »Gottes einzigen eingeborenen Sohn«, wie er ein
Lamm auf den Schultern trug. Die Beine des Lamms baumelten dem »eingeborenen Sohn« über die Brust.
Das würde gehen.
Mr. Gray hob den schlafenden Hund aus dem Auto und legte ihn sich um den Hals. Er war schwer - Jonesys Muskeln waren dummerweise empörend schwach - und würde erst so richtig schwer sein, wenn er dort ankam, wohin er wollte ... aber er würde auf jeden Fall dorthin kommen.
Er ging die East Street durch den zusehends tieferen Schnee bergauf und trug dabei den schlafenden Border Collie wie eine Pelzstola.
Der Neuschnee war äußerst rutschig, und als sie auf der Route 32 angelangt waren, sah sich Freddy gezwungen, wieder auf Tempo sechzig zu verlangsamen. Kurtz hätte am liebsten vor Frustration aufgeheult. Und dann entschwand ihm Perlmutter auch noch zusehends in eine Art Halb-Koma. Und das ausgerechnet, als er mit einem Mal den hatte empfangen können, hinter dem Owen und seine neuen Freunde her waren, diesen so genannten Mr. Gray.
»Er ist zu beschäftigt, um sich zu verbergen«, sagte Pear-Iy. Er sprach in einem verträumten Ton, als würde er gleich einschlafen. »Er hat Angst. Vor Underhill, das weiß ich nicht, Boss, aber Jonesy ... Henry ... Duddits ... vor denen hat er Angst. Und zu Recht. Die haben Richie umgebracht.«
»Wer ist Richie, Bursche?« Das war Kurtz absolut scheißegal, aber er wollte Perlmutter wach halten. Er hatte so die Ahnung, dass sie irgendwo hinkommen würden, wo er Perlmutter nicht mehr brauchen würde, aber vorläufig brauchte er ihn noch.
»Keine ... Ahnung ...« Das letzte Wort ging in ein Schnarchen über. Der Humvee schlitterte seitlich weg. Freddy fluchte, kämpfte mit dem Lenkrad und bekam den Wagen gerade eben noch in den Griff, bevor der Hummer-Jeep in den Straßengraben rutschen konnte. Kurtz nahm keine Notiz davon. Er beugte sich vor und verpasste Perlmutter kräftige Ohrfeigen. In diesem Moment kamen sie an dem Laden mit dem die besten Köder weit und BREiT-Schild im Schaufenster vorbei.
»Auuu!« Perlmutter schlug blinzelnd die Augen auf. Das Weiße war jetzt gelblich. Das kümmerte Kurtz ebenso wenig wie die Frage, wer Richie war. »Nicht, Boss ...«
» Wo sind sie jetzt?«
»Das Wasser«, sagte Pearly. Seine Stimme war schwach. Er hörte sich an wie ein verdrießlicher Invalide. Sein Bauch da unter seiner Jacke war ein gelegentlich bebender Berg. Unser Stoiker ist im neunten Monat, Gott segne und erhalte uns, dachte Kurtz. »Das Waa...«
Er schloss wieder die Augen. Kurtz holte wieder aus.
»Lassen Sie ihn schlafen«, sagte Freddy.
Kurtz sah ihn mit gerunzelten Augenbrauen an.
»Er kann nur den Stausee meinen. Und wenn dem so ist, brauchen wir ihn nicht mehr.« Er zeigte durch die Windschutzscheibe auf die Spuren der wenigen Fahrzeuge, die an diesem Nachmittag vor ihnen die Route 32 passiert hatten. Sie zeichneten sich deutlich auf dem frischen weißen Schnee ab. »Außer uns ist hier heute niemand, Boss. Wir sind allein.«
»Gelobt sei der Herr.« Kurtz lehnte sich zurück, nahm seine Pistole von der Rückbank, sicherte sie und steckte sie ins Holster. »Sagen Sie mal, Freddy.«
»Ja?«
»Wenn das hier vorbei ist - was halten Sie dann von Mexiko?«
»Einverstanden. Solange wir da kein Wasser trinken.«
Kurtz brach in Gelächter aus und klopfte Freddy auf die Schulter. Neben Freddy sank Archie Perlmutter immer tiefer ins Koma. Unten in seinem Darm, in dieser ergiebigen Müllkippe aus Essensresten und abgestorbenen Zellen, schlug etwas zum ersten Mal im Leben die schwarzen Augen auf.
Zwei Steinpfosten markierten den Eingang zu dem riesigen Areal rund um den Quabbin-Stausee. Dahinter war die Straße im Grunde nur noch einspurig, und Henry kam es vor, als wäre er wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt. Das war hier nicht Massachusetts, sondern Maine, und obwohl auf dem Straßenschild Quabbin Access stand, war es in "Wirklichkeit die Deep Cut Road. Er schaute zu dem bleiernen Himmel empor und rechnete tatsächlich halbwegs damit, dort die tanzenden Lichter zu erblicken. Doch stattdes-sen sah er einen Weißkopfseeadler ganz in der Nähe vorbeifliegen. Er landete auf dem Ast einer Kiefer und schaute ihnen nach.
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