Andererseits war das für ihn auch nichts Neues.
Nach einem winzigen Zögern streckte Danica den Arm aus und legte ihre manikürte Hand auf den biometrischen Scanner neben der Tür. Nachdem sie mit den anderen nervöse Blicke ausgetauscht hatte, trat Virago an die Computerkonsole und tippte rasch eine Reihe von Befehlen ein. Das Surren verborgener Maschinen war zu hören, während sich die erste Tür zur Gruft mit einem leisen Summen öffnete und den Blick in eine Art Luftschleuse freigab, die auf einem Raumschiff keineswegs deplaziert gewirkt hätte.
Danica trat ein, dann betätigte Virago eine zweite Taste. Sofort schloss sich die Tür hinter ihr wieder.
Alleine im Vorraum, verschwand Danicas gespielte Gelassenheit mit einem Schlag. Sie blickte zu Boden und atmete zitternd ein, um ihre Nerven zu beruhigen. Mehrere Düsen nahmen ihre Arbeit auf, ließen die Luft in der Schleuse zirkulieren und wehten ihr einen kalten Hauch in den Nacken. Hinter ihr schoben sich Riegel zurück in den Rahmen, und als ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief, wusste sie, dass es mit der Klimaanlage nichts zu tun hatte. Dies war der Moment, von dem sie drei Jahre lang geträumt hatte – auch in ihren Alpträumen. Endlich erfüllten sich nun alle Pläne und Träume.
Doch jetzt, da der Augenblick der Wahrheit gekommen war, wünschte sie sich voller Verzweiflung, es möge noch nicht soweit sein. Danica ballte eine Hand so krampfhaft zur Faust, dass sie einen frisch lackierten Fingernägel in ihr Fleisch trieb und sich Blut in ihrer Handfläche sammelte. Die zweite Tür der Luftschleuse glitt zur Seite und gab den Weg in die Dunkelheit frei.
In der Gruft gab es kein Licht, nichts, was die tödliche Schwärze durchbrach. Danica konnte in der Dunkelheit zwar gut sehen, doch hier gab es nicht einmal einen noch so schwachen Schein, den sie sich hätte zunutze machen können. Es war egal, ob sie ihre Augen schloss oder nicht – sehen konnte sie so oder so nichts.
Es zehrte an ihren Nerven.
Danica schüttelte sich und versuchte, Ruhe zu bewahren.
Die Stille war erdrückend. Danicas stressbedingtes schnelles Atmen hallte laut in ihren Ohren. Sie blinzelte und versuchte, sich an diese Finsternis zu gewöhnen. Sie wünschte sich, wenigstens einen Schatten sehen zu können, damit sich ihre Augen an irgend etwas orientieren konnten. Mit Schatten kam sie zurecht, doch hier gab es nur absolute Schwärze. Sie hätte ebensogut längst tot sein können, ohne es zu wissen.
„Warum hast du mich geweckt?“
Danica zuckte zusammen, als die Stimme wie Donner durch die Nacht hallte. Es war ein tiefer, polternder Bass, der unheilvoll bedeutungsschwanger klang.
Sie erstarrte und musste gegen den plötzlichen Drang ankämpfen, umzukehren und wegzulaufen. Stattdessen räusperte sie sich und zwang sich, mit ruhiger, fester Stimme zu sprechen: „Euer Volk braucht Euch, Sir.“
Ihre Stimme klang selbst in Danicas eigenen Ohren schwach und substanzlos, was sie zutiefst verabscheute. Sie trat einige Schritte vor und folgte dabei dem Klang der Stimme, dann kniete sie nieder und senkte den Kopf, um so die uralte Geste der Unterwürfigkeit eines Vampirs zu vollziehen. Sie wusste, die anderen würden sie dafür aufziehen – sofern sie das hier überlebte – aber es war einfach notwendig. Schließlich ging es ums Geschäft.
In gewisser Weise.
„Mein Volk?“ Diesmal war die Stimme spöttisch. Danica zuckte abermals zusammen. Eine Pause folgte. Offenbar dachte der Sprecher über ihre Worte nach. „Denkst du, ich bin euer Messias? Euer Erlöser?“
Ein Rascheln war in der Dunkelheit zu hören, und es war Danicas Überlebensinstinkt, der sie veranlasste aufzusehen, während ihr Körper in der unterwürfigen Haltung verharrte. Ein rotes Augenpaar durchdrang die Finsternis, das von innen heraus leuchtete. Der höllische Schein genügte ihr, um die Kammer und das Ding vor ihr zu erkennen.
Danica schluckte und widersetzte sich dem Impuls, sofort wegzulaufen. Das schwache Licht ließ das, was sie sah, nur noch entsetzlicher wirken.
Die Kreatur grinste höhnisch. Ihre Klauen verursachten auf dem Stahlboden ein leises Klicken, während sie sich Danica näherte. „Und wieso glaubst du, dass ich zurückgeholt werden wollte?“
In der Dunkelheit zeichnete sich eine gepanzerte Hand ab, die von dem roten Glimmen der Augen beleuchtet wurde. Danica musste ihre jahrelange Kampferfahrung bemühen, um nicht aufzuspringen, durch die Kammer zu stürmen und an der verstärkten Schleusentür zu kratzen und dabei wie eine Todesfee zu schreien. Sie zwang sich, nicht vor der Klaue zurückzuweichen, die leicht über ihre Kehle strich. Ihr Blick war stur geradeaus gerichtet, ihr Kinn hielt sie hoch erhoben. „Die Zeiten haben sich geändert. Die Wissenschaft hat große Fortschritte gemacht…“
Das Ding gab einen verächtlichen Laut von sich, doch Danica sprach weiter. Mit jedem Wort wurde ihre Stimme fester und entschlossener. Eine Umkehr war jetzt nicht mehr möglich. „Euer Blut – das Sakrament, das Ihr geben könnt… es kann uns heute befreien.“
„Ich verstehe.“ Der Tonfall ließ Danica auf eine schmerzliche Weise erkennen, dass das Gegenteil der Fall war. „Und die, die ich zuvor tötete? Waren sie Vampire?“
Danica nickte und versuchte, diese Erinnerung aus ihrem Gedächtnis zu verbannen.
Die Kreatur gab einen polternden Laut von sich, der möglicherweise als Gelächter zu deuten war. „Du musst mir vergeben. Es ist Jahrhunderte her, seit ich das letzte Mal aß.“
Danica atmete tief durch und ballte die Fäuste. „Ich verstehe.“
Die Kreatur beschrieb mit ihrem Finger ein Muster über Danicas Kehle und schob ihn dann unter ihr Kinn, um ihren Kopf anzuheben. Danica spürte die Schuppen an der Unterseite des knochigen Fingers. Ihr schauderte.
Über ihr in der Dunkelheit bemerkte sie eine Bewegung, dann wurde der Griff um ihr Kinn fester. „Dann opfere du dich mir, Kind, und lass mich meinen Durst stillen.“
Draußen vor der Kamera wurde Asher immer ungeduldiger. Danica war jetzt seit zehn Minuten fort. Nichts ließ darauf schließen, dass sie bald herauskommen würde. Der Monitor war eingeschaltet, jedoch hatte sie sich nicht von der Tür entfernt und stand genau unter der Überwachungskamera. Die Kreatur war zu ihr gekommen, und nun konnten sie keinen von beiden auf dem Bildschirm sehen.
Asher bemerkte, dass er auf und ab lief, während sich seine Gedanken überschlugen. Warum in aller Welt hatte er zugelassen, dass seine eigene Schwester zu diesem Ding hineinging?
Doch das war typisch für sie. Danica war immer schon die Leichtsinnige in der Familie gewesen, allen Versuchen zum Trotz, es ihr abzugewöhnen. Während es Asher immer genügt hatte, abzuwarten und die Dinge einfach geschehen zu lassen, war Danica stets diejenige, die alles überstürzte, damit ja kein anderer ihr die Gelegenheit nahm, als Heldin dazustehen.
So hatte das Ganze auch überhaupt erst angefangen. Sie konnte sich nicht mit ihrer Macht und ihrem Prestige zufrieden geben, sondern sie wollte noch eins draufsetzen, indem sie ihn zurückholte.
Und das auch nur, um zu beweisen, dass sie dazu in der Lage war.
Danica hatte immer betont, sie wolle ihre Rasse retten, doch dafür kannte Asher sie viel zu gut. Sie tat es, weil niemand mehr da war, der sie aufhalten konnte.
Seit der Rat der Vampirnation vor drei Jahren durch diesen Bastard von Daywalker zerstört worden war, hatte Danica im Schatten gelauert, bereit, sich die Macht der wenigen Überlebenden anzueignen, die reinen Blutes waren. Als Bastardtochter einer der Vampirwachen hatte sie lange auf eine Gelegenheit gewartet, um ihren niedrigen Status hinter sich zu lassen und sich an der muffigen, zum Witz verkommenen Institution zu rächen, zu der die Vampirnation sich entwickelt hatte.
Daywalkers Angriff hatte ihr diese Chance gegeben. Asher erinnerte sich noch gut daran, wie seine Schwester die Wachen nach dem Angriff um sich geschart hatte und wie die wenigen überlebenden Ratsmitglieder von ihr auf die Straße gesetzt worden waren. Sie hatte übernommen, was von dem Gebäude übrig geblieben war, alle Vermögenswerte und die Angestellten eingeschlossen. Ihre Entdeckung der verkohlten Überreste des Buchs Erebus – der Bibel der Vampire – im ausgebrannten Keller war für sie nicht weiter wichtig gewesen, bis Asher aus purer Neugier einen der Papierfetzen entziffert hatte.
Читать дальше