Dex schenkte ihr ein jungenhaftes Grinsen. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber wir werden garantiert zehn Milliarden verlieren, wenn wir keinen Weg finden, um meinen Vater rumzukommen.«
Deschurowa schnaubte verächtlich. Bevor sie jedoch etwas erwidern konnte, steckte Vijay den Kopf zum offenen Eingang des Kommunikationszentrums herein.
»Hab ich mich verhört, oder hast du gerade gesagt, du wolltest mit einem Rover zur Kuppel Zwei rüber?«, fragte sie. »Ich möchte auch da hin.«
»Wie bitte? Warum?«, wollte Deschurowa wissen.
»Ich muss die Leute dort untersuchen«, antwortete Vijay.
»Und psychologische Profile anlegen.«
Die Kosmonautin verdrehte die Augen zum Himmel.
»Vielleicht sollten wir alle hinfahren und diese Kuppel endgültig aufgeben.«
»Sag ich ja schon seit Monaten«, erwiderte Dex mit spitzbübischem Grinsen.
»Dann fahrt doch!«, rief Deschurowa abrupt. »Vergesst eure Arbeit und gondelt fröhlich durch die Weltgeschichte.«
»Nun sei nicht sauer, Stacy«, sagte Dex beruhigend.
»Wenn es nicht wirklich wichtig wäre, würde ich es nicht tun, das weißt du.«
»Ich weiß, dass du deinen Kopf immer durchsetzt. Fahrt!
Nehmt den alten Rover. Lasst mir wenigstens eine der neuen Maschinen da.«
Die Nacht brach herein, bevor sie auch nur ein Viertel des Weges zur Kuppel Zwei zurückgelegt hatten, aber Dex fuhr trotz der Dunkelheit weiter – langsam zwar, aber sie kamen dennoch voran.
Im Scheinwerferlicht des Rovers sah Vijay, die neben ihm im Cockpit des Rovers saß, die deutlich erkennbaren Radspuren auf dem staubbedeckten Boden.
»Du folgst dem ausgefahrenen Weg«, sagte sie.
»Ja. Macht die Sache leichter Man weiß, dass man nicht auf irgendwelche großen Felsen oder Krater stoßen wird.«
»Wird Jamies Idee wirklich funktionieren?«, fragte Vijay und drehte sich ein wenig auf dem Sitz, um Dex direkt anzusehen. »Meinst du, er kann deinen Vater daran hindern, sich diese Region unter den Nagel zu reißen?«
»Sieht so aus«, sagte Dex und schaute nach vorn. »Aber die andere Seite der Medaille ist, dass mein Vater nicht mehr als Motor der Finanzierungskampagne für die nächste Expedition zur Verfügung stehen wird.«
Vijay dachte einen Moment lang darüber nach, dann sagte sie: »Dann wirst du seinen Platz einnehmen müssen.«
»Was?« Dex sah sie mit großen Augen verblüfft an.
»Wenn dein Vater das Geld für die nächste Expedition nicht auftreibt, wirst du's tun müssen.«
Er trat auf die Bremspedale und brachte den Rover zum Stehen. Langsam und methodisch schaltete er die Fahrmotoren ab.
»Ich werd's tun müssen«, sagte er leise.
»Wer sonst?«
Dex wirkte geistesabwesend, als sie nach hinten in die Kombüse gingen und ihr Abendessen in die Mikrowelle stellten. Sie aßen in fast völligem Schweigen. Vijay sah, dass Dex mit den Gedanken hundert Millionen Kilometer weit weg war.
»Das Problem ist«, sagte er, als sie den Tisch abräumten,
»ich hab mich noch nie gegen meinen Vater durchgesetzt.
Ich musste immer alles so machen, wie er es wollte – außer wenn ich ihn beschwatzen konnte, sodass er glaubte, was ich wollte, sei von vornherein seine Idee gewesen.«
»Jetzt wirst du dich gegen ihn durchsetzen müssen«, sagte Vijay.
Dex nickte bedächtig. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Meinst du nicht, es wird langsam Zeit, dass du's rausfindest?«
Sie standen beim Spülbecken in der Kombüse, zwischen der Mikrowelle und den Gestellen mit den Raumanzügen.
Dex packte Vijay direkt über dem Ellbogen am Arm und zog sie an sich.
Sie legte ihm die flache Hand auf die Brust. »Nein, Dex.«
»Nein?«
»Es gibt bestimmt mehrere Millionen Frauen, die auf deine Rückkehr zur Erde warten. Du wirst jede Menge Auswahl haben.«
»Das kommt später«, sagte er. »Jetzt ist jetzt.«
»Leider nicht.«
Er stieß die Luft aus. »Jamie, hm?«
»Jamie«, gab sie zu.
»Er ist ein Glückspilz.«
Jetzt seufzte sie. »Ich wünschte, er wüsste es.«
Dex sah sie verwirrt an.
»Er ist in den Mars verliebt«, erklärte Vijay. »Ich muss mit diesem ganzen verdammten Planeten konkurrieren.«
PRESSEKONFERENZ
Darryl C. Trumball war es nicht gewohnt, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu stehen. Er zog es vor, im Hintergrund zu bleiben und seine Handlanger und Marionetten vorzuschicken.
Doch als erster ›normaler‹ Mensch, der zum Mars fliegen würde, war er eine Berühmtheit geworden. Jetzt, knappe vier Tage, bevor die Unterstützungsmission von Cape Canaveral starten sollte, saß er an einem langen Tisch mit vier jungen Archäologen und zwei Astronauten und schaute auf ein Meer von Journalisten und Fotografen hinaus, die den Hörsaal bis zum Bersten füllten.
Wie seine Teamgefährten trug Trumball einen korallenroten Overall mit dem schicken Logo der zweiten Marsexpedition über dem Herzen. Er war natürlich älter als alle anderen, fast älter als jeweils zwei von ihnen zusammen.
Aber er war schlank und hart und fit. Niemand kannte die Angst, die ihm das Blut gefrieren ließ; niemand hörte, wie laut sein Herz in der Brust pochte, wenn er daran dachte, dass er wirklich in diese fliegende Bombe steigen und damit bis zu dem fernen, eisigen, gefährlichen Mars fliegen würde.
»Warum heißt diese Mission nicht die dritte Expedition?«, rief ein Reporter von der Tür her.
»Das ist eine Unterstützungsmission für die zweite Expedition«, erklärte der ältere Astronaut, ein alter Hase, wenn es darum ging, hirnlose Fragen abzuwimmeln.
»Wir werden insbesondere das alte Gebäude erforschen, das in der Felswand des Grand Canyon des Mars entdeckt worden ist«, sagte der Chefarchäologe, ganze vierzig Jahre alt.
»Was ist mit der dritten Expedition?«, fragte ein anderer Reporter.
»Wird es eine dritte Expedition geben?«
Alle am Tisch wandten sich Trumball zu. »Ja«, versicherte er ihnen forsch. »Es wird eine dritte Marsexpedition geben.«
»Wann?«
»Wie bald?«
»Wir arbeiten gerade die Einzelheiten aus«, sagte Trumball.
»Was ist mit anders gearteten Flügen zum Mars?«, fragte eine Frau. »Wann werden wir dort Urlaub machen können?«
Ein leises Gekicher ging durch die Pressemeute.
Aber Trumball beantwortete die vorher abgesprochene Frage. »Deshalb fliege ich mit den Wissenschaftlern dorthin.
Ich will der Welt zeigen, dass normale Menschen zum Mars fliegen, mit eigenen Augen die Schönheiten der verschwundenen marsianischen Zivilisation sehen und ihren Fuß dorthin setzen können, wohin ihn die Marsianer gesetzt haben, dass sie den Gipfel des höchsten Berges im Sonnensystem erreichen und den längsten, breitesten und tiefsten aller Grand Canyons erforschen können.«
Mehrere Archäologen machten ein bestürztes Gesicht, aber keiner wagte es, Trumball zu widersprechen.
»Warum Sie, Sir?«, fragte ein kahlköpfiger, stattlicher Journalist aus der letzten Reihe des Hörsaals. »Warum müssen Sie selbst hinfliegen? Könnte man nicht jemand weniger … äh … Prominenten an Ihrer Stelle hinschicken?«
Trumball lächelte geduldig. »Sie meinen, warum ein alter Furz wie ich dort hinfliegen will?«
Alle lachten.
»Ich möchte zeigen, dass selbst jemand meines Alters die Reise problemlos überstehen und sogar genießen kann.« Er hielt inne, sorgte damit dafür, dass die Presseleute gespannt auf seine nächsten Worte warteten, und fuhr dann fort:
»Aber denken Sie daran, es sind schon ältere Männer als ich ins All geflogen, angefangen mit Senator Glenn vor nahezu vierzig Jahren.«
»Aber bis zum Mars?«
»Ja«, sagte Trumball, ohne dass sein Lächeln auch nur einen Millimeter verrutschte. »Bis zum Mars. Ich werde der erste von Millionen normaler Männer und Frauen sein, die dorthin fliegen.«
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