Dann ein Durcheinander am anderen Ende des Dorfes.
Ein Tumult. Leute blieben wie festgewurzelt stehen und blickten die lange Straße hinunter. Männer liefen mit finsteren Gesichtern, aus denen Zorn oder vielleicht auch Furcht sprach, auf den Lärrn zu.
Fremde waren dort, bleiche Männer auf schnaubenden, aufstampfenden Pferden. Jamie erkannte einen von ihnen: Es war Darryl C. Trumball. Er rief Befehle und deutete mit einer Hand hierhin und dorthin, während er mit der anderen sein bockendes, wieherndes Pferd im Zaum hielt.
Dann trat Großvater Al aus der Menge hervor. Er trug seinen besten Anzug, dunkelbau, mit einer türkis-silbernen Bolo am offenen Kragen seines steifen weißen Hemdes.
Ohne Hut schritt er auf Trumball zu.
»Sie dürfen nicht hierher kommen«, sagte Großvater Al mit der kräftigsten Stimme, die Jamie je im Leben gehört hatte. »Gehen Sie!«
Trumball blies sich auf. »Wir übernehmen dies alles. Um euch wird man sich kümmern, keine Angst. Ich werde dafür sorgen, dass ihr geschützt werdet.«
»Wir wollen Ihren Schutz nicht«, sagte Al. »Wir brauchen ihn nicht.«
»Ihr müsst verschwinden«, beharrte Trumball.
Großvater Al drehte sich ein wenig und winkte Jamie zu sich. »Nein, wir bleiben. Sie sind derjenige, der verschwinden muss. Jamie, zeig ihm das Papier.«
Jamie merkte, dass er mit der rechten Hand eine Schriftrolle umklammerte. Er trat auf Trumball zu, der immer noch auf seinem ungeduldigen Pferd saß.
Und wachte auf.
MORGEN: SOL 363
Jamie setzte sich auf seiner Liege auf. Er war hellwach und fühlte sich stark und erfrischt. Das ist es, sagte er sich. Das muss ich tun.
Er wusste nicht, ob er ein Dankgebet gen Himmel schicken oder einen wilden Jubelschrei ausstoßen sollte, und entschied sich dann gegen beides. Stattdessen fuhr er seinen Laptop hoch und rief Fete Connors in Tarawa an.
Es dauerte fast den ganzen Tag, aber schließlich bekam Jamie die richtige Adresse und schickte seine Botschaft ab.
Dann musste er auf die Antwort warten. Er dachte an die Sommer zurück, die er bei seinem Großvater in New Mexico verbracht hatte; damals hatte Al ihn ein paarmal zu den Pueblos im Reservat mitgenommen, wo er Decken und Keramikartikel kaufte, um sie in seinem Laden in Santa Fe an die Touristen zu verhökern.
Durchaus möglich, dass es mehrere Tage dauert, erkannte Jamie. Sie werden mir nicht sofort antworten.
Zu seiner Überraschung wartete die Antwort jedoch schon auf ihn, als er am nächsten Morgen den Computer einschaltete. Seine Finger zitterten ein wenig, als er die Botschaft aufrief.
Der Präsident der Navajo Nation lächelte vom Bildschirm herab. »Ya'aa'tey«, sagte er. Er war erstaunlich pummelig, aber seine Augen strahlten und tanzten, als wäre es ihm eine Freude, mit Jamie zu sprechen, selbst in der von der Entfernung zwischen den beiden Welten erzwungenen, zeitversetzten Weise.
»Ihre Botschaft hat mich überrascht«, fuhr er fort, »aber auch sehr gefreut. Ich kannte Ihren Großvater, und ich habe Sie damals im Fernsehen gesehen, als Sie zum ersten Mal auf dem Mars gelandet sind. Hoffentlich habe ich irgendwann einmal Gelegenheit, persönlich mit Ihnen zu sprechen.«
Dann wurde er ernster. Das Lächeln verblasste etwas, verschwand aber nicht ganz. »Ihr Vorschlag ist wirklich ein Knüller. Er gefällt mir, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir allein. Ich habe schon eine Ratssitzung einberufen, und unsere Anwälte werden die Sache natürlich noch prüfen müssen. Aber ich finde die Idee gut, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um sie durchzubringen.«
Er zögerte, dann sagte er noch ernster: »Sie übertragen uns da eine große Verantwortung. Ich weiß nicht, ob wir ihr gewachsen sind.« Dann kehrte sein Lächeln mit voller Strahlkraft zurück. »Aber ich würde es jedenfalls gern versuchen!«
Jamie hörte sich den Rest der Botschaft an, dann schickte er zur Bestätigung ein kurzes »Mr. President, danke für Ihre guten Worte. Ich warte auf die offizielle Antwort der Nation. Noch einmal vielen Dank.«
Anschließend rief er Dex Trumball an.
Dex saß gerade beim Frühstück, als Stacy Deschurowa ihn ins Kommunikationszentrum rief. Er glitt auf den leeren Stuhl neben ihr und sah Jamies gleichmütiges, ernstes Gesicht auf dem Bildschirm. Neben ihm ließ Stacy das Logistik-Bestandsverzeichnis über den Monitor laufen und überprüfte ihre Vorräte.
»Was gibt's, Chief?«, fragte Dex lässig.
Jamie sagte: »Ich habe den Mars der Navajo Nation angeboten.«
Dex wäre beinahe vom Stuhl gefallen. »Du hast was getan?«
»Ich habe den Präsidenten der Navajo Nation gefragt, ob sein Volk formell die Nutzungsrechte für alle Gebiete auf dem Mars beanspruchen möchte, die wir bisher erforscht haben.«
»Aber die sind doch in Arizona!«
»Ich bin hier«, sagte Jamie mit fester Stimme. »Ich vertrete die Navajo Nation.«
»Heilige Scheiße«, murmelte Dex.
Stacy hatte ihren Bildschirm eingefroren. Sie starrte Dex und Jamie an.
»Ich sehe das so«, sagte Jamie, »wenn die Navajos Anspruch auf die Nutzung dieses Landes erheben, kriegt dein Vater es nicht in die Hände.«
»Das stimmt.« Ein Grinsen bahnte sich seinen Weg auf Dex' Gesicht. »Er müsste hier sein, müsste körperlich anwesend sein, um die Nutzungsrechte zu beanspruchen.«
»Und wir sind schon hier. Ich werde also den Anspruch anmelden, sobald ich vom Navajo-Rat grünes Licht bekomme.«
»Mannomann, das haut mich echt vom Hocker«, sagte Dex lachend. »Mein alter Herr wird 'nen Schlaganfall kriegen! Die Indianer stehlen dem weißen Mann das Land!
Wozu! «
Jamie fragte: »Glaubst du, das hält deinen Vater wirklich auf?«
»Er kommt nicht mehr an das Bauwerk in der Felswand ran, auch nicht an die Hauptkuppel und die Vulkane, die Mitsuo erforscht hat – ja, er wird sich nirgends geschäftlich niederlassen können, wo wir schon gewesen sind.«
»Dann bleibt ihm noch eine Menge vom Mars übrig.«
»Ja, aber wir haben die Filetstücke! Oder vielmehr, deine Rothaut-Kumpels haben sie.«
»Dann könnte es funktionieren.«
»Ja, klar«, sagte Dex und wurde wieder nüchtern. »Gibt da nur ein Problem.«
»Welches?«
»Von der Finanzierung der nächsten Expedition können wir uns verabschieden.«
Dex war zu aufgeregt, um irgendeine nützliche Arbeit zu machen. Er ging ins Geologielabor, verbrachte seine Zeit jedoch damit, hektische Botschaften zur Erde zu schicken; er setzte sich mit Anwälten und Professoren für internationales Recht in Verbindung. Nach mehreren Stunden sah Wiley Craig schließlich von der Wärmestromkarte auf, an der er gerade arbeitete, und schüttelte den Kopf.
»He, Kumpel, was immer du da machst, aufm Arbeitsplan steht das nich.«
Dex blickte vom Computerbildschirm auf. »Ich sammle Informationen, Wiley.«
»Aber garantiert nich über Geologie.«
»Nein, da hast du verdammt Recht.« Dex erhob sich vom Hocker und ging zur Labortür. »Ich muss rüber zur zweiten Kuppel. Muss mit Jamie von Angesicht zu Angesicht sprechen.«
Wiley schüttelte nur den Kopf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. »Tja«, brummelte er, » irgendeiner muss die Arbeit ja machen.«
Stacy war nicht überrascht, dass Dex zu Jamie in Kuppel Zwei wollte. Aber sie zeigte trotzdem wenig Verständnis dafür.
»Du hast hier zu tun«, sagte sie streng. Sie stand wie ein unüberwindlicher Linebacker in der Mitte des Kommunikationszentrums. »Laut Arbeitsprogramm …«
»Soll ich zu Fuß zum Canyon gehen?«, fuhr Dex auf. »Ich muss da hin, Stacy. Die Finanzierung der nächsten Expedition ist wichtig , Himmel noch mal!«
Sie stemmte ihre fleischigen Fäuste in die Hüften. »Willst du da drüben am Canyon zehn Milliarden Dollar auftreiben?«
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