»Ich glaube nicht …«
Dex lachte leise. »Du kennst den alten Fuchs nicht so gut wie ich. Aber er hat tatsächlich gesagt, er sei stolz auf mich.
Ich glaube, das war eine Premiere.«
»Tja, das freut mich für dich.«
Dex sah Jamie einen langen Moment schweigend an, während sie nebeneinander im Cockpit saßen. »Du hast da doch nicht dran gedreht, oder?«
»Ich?«
»Ich meine, der Alte hat mir noch nie erzählt, dass er stolz auf mich ist. Hast du ihn auf die Idee gebracht?«
Bevor Jamie antworten konnte, sagte Dex: »Ist auch egal.
Sag's mir nicht. Ich will's gar nicht wissen. Ich würde lieber glauben, dass mein lieber alter Dad auf seine alten Tage sentimental wird.«
Jetzt lachte Jamie leise. »Er kommt mir nicht gerade wie der sentimentale Typ vor.«
»Der ist er wohl auch kaum«, pflichtete Dex ihm bei. »Jedenfalls, wenn du die Finger im Spiel hattest … danke.«
Jamie schwieg, weil er das dünne Band zwischen ihnen, das sich langsam festigte, nicht belasten wollte.
»Mal was anderes«, sagte Dex, während die öden Bilder über den Monitor liefen. »Früher oder später müssen wir die Kuppel hierher verlegen. Ich finde, je eher wir's tun, desto besser.«
Jamie seufzte. »Ich habe darüber nachgedacht.«
»Und?«
»Wie wär's, wenn wir Tarawa bitten würden, die Ersatzkuppel hierher zu schicken, samt Seilen und der erforderlichen Ausrüstung zum Bau eines besseren Lifts?«
Dex' Augen leuchteten auf. »Dann müssten wir die Kuppel nicht verlegen.«
»Richtig.«
»Das Problem ist, sie wäre frühestens in fünf, sechs Monaten hier, selbst wenn sie morgen früh mit den Vorbereitungen anfangen würden.«
»Stimmt«, gab Jamie zu. »Aber wenn wir mit der Kuppel umzögen, würde uns das vier bis sechs Wochen kosten.«
»Mindestens.«
»Und während dieser Zeit könnten wir nichts Produktives tun. Die nützliche Arbeit käme vollständig zum Erliegen.«
»Ja.«
»Die Reservekuppel steht auf Baikonur bereit …«
»Und eine Nachschubmission ist im Budget vorgesehen«, beendete Dex den Satz für Jamie. »Stimmt! So machen wir's.«
»Gut. Ich sage Stacy Bescheid, und sie kann es an Connors weitergeben. Die Frage ist nur, ob Tarawa einverstanden sein wird.«
»Aber klar«, sagte Dex in entschiedenem Ton. »Ich meine, wir können ja nicht dauernd mit den Rovern hin und her fahren. Das ist unwirtschaftlich. Und wir essen unsere ganze Fertignahrung auf. Irgendwann haben wir keine Reservenahrung mehr. Wir sollen uns ja eigentlich vom Garten ernähren.«
Jamie wusste, dass er Recht hatte. »Wir müssen ein zweites Gewächshaus bauen.«
Dex nickte enthusiastisch. »Warum machen sie nicht gleich einen bemannten Flug draus? Sollen sie doch ein paar von den Archäologen mitschicken, die hierher wollen.«
»Sie müssten monatelang trainieren, Dex. Man kann nicht einfach ein Team zusammenstellen und zum Mars schicken, ohne die Leute vorher auszubilden.«
Dex machte ein langes Gesicht. »Naja. Klar.«
»Aber es wäre sinnvoll, wenn sie jetzt schon ein paar aussuchen und trainieren würden«, sagte Jamie.
»Finde ich auch«, erwiderte Dex. »Ich hatte nur gehofft, ein paar von denen wären so rechtzeitig hier, dass sie die Kehrwoche übernehmen könnten.«
NACHMITTAG: SOL 113
»Ich habe hier etwas.«
Jamie blickte von seiner Arbeit mit dem Besen auf. Es war ein weiterer monotoner, mühseliger Tag gewesen. Sie hatten das komplette oberste Stockwerk der Behausung gesäubert, aber nichts gefunden. Kein Fitzelchen irgendeines Materials. Nichts als nackte Wände. Jetzt arbeiteten sie im ersten Stock.
Rodriguez war soeben mit dem Rover zu ihnen aufgebrochen. Seine Abfahrt hatte sich aufgrund eines Dutzends nervtötend kleiner, aber unvermeidlicher Verzögerungen verspätet, unter anderem auch deshalb, weil er seine verbundene Hand nicht in den Handschuh seines Raumanzugs zwängen konnte. Vijay hatte in letzter Minute einen größeren Handschuh besorgen müssen und ihm einen von Craig aus dessen Reservevorrat gegeben.
Pete Connors hatte den Vorschlag, ihnen die Reservekuppel mit der gesamten Ausrüstung zum Canyon zu schicken, sofort gebilligt. Er hatte die Anforderung an den IUK-Vorstand weitergeleitet und Trumball in Boston mit einer persönlichen Nachricht entsprechend informiert.
»Mitsuo, warst du das?«, fragte Jamie.
»Ja«, erwiderte der Biologe. Seine Stimme klang seltsam, erstickt, nervös vor Anspannung. »Kommt her und schaut euch das an.«
Jamie befand sich in der Mitte des großen Raums, wo er den Staub auf dem Boden langsam und systematisch zu der nach unten führenden Öffnung gefegt hatte. Wenn man dabei nicht äußerst behutsam zu Werke ging, wallte der Staub auf und wehte wieder in den Bereich, den man gerade gesäubert hatte. Und alle paar Minuten mussten sie den Staub mit Gittern sieben, die sie aus dem Ersatzteilbestand für die Lüftungsanlage organisiert hatten.
Es wäre viel leichter, wenn sie den Staub einfach vom Boden und den Wänden absaugen könnten, aber die Handsauger, mit denen sie ihre Anzüge reinigten, konnten die schiere Menge Staub nicht bewältigen, die sich in dem Gebäude angesammelt hatte; in manchen Ecken lag er mehrere Zentimeter hoch. Die Handsauger liefen ohnehin schon unregelmäßig, weil sie weitaus stärker beansprucht wurden als von ihren Konstrukteuren erwartet; sie kamen jeden Abend zum Einsatz, wenn sie zu viert in den Rover stiegen, fast bis zu den Helmen von rostrotem Staub bedeckt. Rodriguez brachte nun einen Satz Reservesauger mit, sodass diejenigen, die sie momentan benutzen, zwecks der dringend notwendigen Wartung zu Stacy und Wiley zurückgeschafft werden konnten.
Außerdem hatten die Wissenschaftler auf der Erde darauf bestanden, dass sie den Staub von Hand siebten. Es hätte ja sein können, dass die Staubsauger eine unermesslich wichtige Tonscherbe oder einen Splitter eines fossilen Knochens verschluckten oder zerbrachen.
Jamie musste beinahe lachen. Sie hatten nichts gefunden.
Null. Nada. Keine Scherben, keine Knochensplitter, keine Spuren von irgendetwas, nur aufreizend allgegenwärtigen Staub.
Bis zu diesem Augenblick.
»Was ist es, Mitsuo?«, fragte Jamie, während er zu der Ecke hinüberging, an welcher der Biologe gearbeitet hatte.
Jetzt stand er stocksteif da, das Gesicht der soeben gesäuberten Wand zugekehrt.
»Ihr … kommt lieber her und schaut es euch selbst an.«
Dex kam mit großen Schritten durch die geräumige, leere Kammer. Die königsblauen Streifen an seinem Raumanzug verschwanden fast unter einer roten Staubschicht. Trudy folgte ihm dichtauf.
»Na, was hast du da, Kumpel?«, fragte Dex. »Irgendwelche Marsianer gefunden?«
»Ja, das könnte sein.« Fuchidas Stimme zitterte ein wenig.
Jamie sah, dass er auf die Wand zeigte, die er gereinigt hatte. Es war keine glatte, leere Fläche, wie bei den anderen Wänden.
An der Wand waren Kratzer. Etwa von halber Höhe aus bis dort hinunter, wo noch immer Staub klebte, war die Wand mit einem feinen Filigranmuster gekrümmter Linien überzogen.
»Risse«, sagte Dex. Aber sein forsch-fröhliches Gehabe war verschwunden.
»Oder eine Inschrift«, sagte Jamie.
»Eine Inschrift«, stimmte Fuchida zu.
In seinen Helmlautsprechern hörte Jamie sie alle vier schwer atmen. Sie keuchten beinahe.
Trudy meinte: »Risse wären nicht so regelmäßig. Seht mal
…« Ihr behandschuhter Finger fuhr waagrecht über die Wand. »Hier ist eine Linie nach der anderen.«
»Nicht die Wand anfassen«, warnte Jamie.
»Ich fasse sie nicht an«, sagte sie ein wenig verärgert.
»Machen wir den Rest sauber«, sagte Dex.
Sie gingen alle vier an die Arbeit, wischten sanft, aber ungeduldig die Wand ab. Rostroter Staub wehte in alle Richtungen.
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