Der Präsident dachte eine Weile darüber nach. Der Reporter knirschte in stummer Frustration mit den Zähnen und hoffte, dass sie im Studio Zeit haben würden, diese nervtötenden Pausen rauszuschneiden.
»Ich habe Jamie Waterman leider nie kennen gelernt«, sagte der Präsident schließlich. »Aber ich kannte seinen Großvater ziemlich gut. Al hatte viele Jahre lang einen Laden drüben in Santa Fe.«
»Ja, das haben wir gehört«, stieß der Reporter hervor.
»Aber wie steht's mit Jamie Waterman, dem Wissenschaftler auf dem Mars …«
»Er ist nur ein halber Navajo, wissen Sie«, sagte der Präsident langsam. Dann lächelte er. »Aber ich schätze, das ist gut genug, hm?«
Der Reporter schnitt eine Grimasse. Er war den halben verdammten Tag hierher unterwegs gewesen, um dieses Interview zu machen, und was hatte er nun davon? Nichts als Mist.
Hodell Richards lächelte mit sichtbarer Selbstgefälligkeit.
»Vielleicht glauben sie mir jetzt.«
Richards war ein hagerer, beinahe asketisch wirkender Mann mit einem ewig jugendlichen Gesicht, das bei älteren Frauen den Wunsch weckte, ihn zu bemuttern. Bleistiftdünner Schnurrbart, aschblondes Haar, das ihm bis auf den Kragen seines Tweedjacketts fiel.
Er saß in einem Fernsehstudio in England und hatte die Hände auf einem teuren Aktenkoffer aus Leder, der auf seinen Knien lag.
Seine Interviewerin war eine sehr ernsthaft dreinschauende, rothaarige Frau, die auf UFO-Geschichten von der Entführung durch Außerirdische und von unaussprechlichen medizinischen Prozeduren spezialisiert war.
Sie fragte: »Dann sind Sie also fest davon überzeugt, dass die Marsianer nicht ausgestorben sind? Dass sie noch existieren?«
»Ich habe unwiderlegliche Beweise dafür«, sagte Richards und trommelte mit den Fingerspitzen auf den Aktenkoffer.
»Und sie haben die Erde besucht?«, fragte die Interviewerin.
»Selbstverständlich. Sie haben eine Basis hier auf der Erde«, gab Richards zurück. »In Tibet.«
»Aber warum …«
»Sie sind hier, um ihre Spezies fortzupflanzen. Sie schwängern irdische Frauen und zwingen sie, marsianische Kinder auszutragen.«
»Aha«, sagte die Interviewerin.
In Barcelona musterte der selbst ernannte deutschschweizerische Weltraumexperte mit hochmütig hochgezogenen Augenbrauen seinen Interviewer, einen weltmüden, übergewichtigen Katalanen, der sich für einen Enthüllungsjournalisten hielt. Da der Interviewer kein Deutsch sprach und der Interviewte kein Spanisch, führten sie ihr Gespräch in Englisch. Was sie sagten, wurde natürlich sofort durch Untertitel auf dem Bildschirm übersetzt.
»Sie glauben also, das marsianische Dorf …«
»… ist eine Fälschung«, sagte der Experte rundheraus.
»Sie meinen, es ist alles eine Lüge?«
»Ja, eine Lüge, die von der amerikanischen NASA in die Welt gesetzt wurde.«
»Aber warum sollte sie in diesem Punkt lügen?«
»Um die Unterstützung der Allgemeinheit für ihre marode Raumforschung zu bekommen, natürlich.«
Der Interviewer dachte einen Sekundenbruchteil darüber nach, dann fragte er: »Aber ich hatte den Eindruck, dass die Expedition zum Mars aus privaten Quellen finanziert wurde, nicht von der NASA.«
Der Experte tat das mit einem verächtlichen Schnauben ab. »Das wollen sie uns glauben machen. Hinter all dem steckt die amerikanische Regierung.«
»Aber wie können sie ein Gebäude auf dem Mars fälschen? Wollen Sie damit sagen, die Forscher hätten es selbst erbaut? Immerhin sind sie auf dem Mars nur zu acht.«
»Und wie kommen Sie darauf, dass dieses falsche Dorf auf dem Mars liegt? Sie haben es in Arizona, Texas oder sonstwo gebaut.«
»Wirklich?«
»Natürlich.«
»Ich möchte betonen«, sagte der Professor zum Gastgeber der Tonight Show , »dass wir rein gar nichts darüber wissen, wie die Marsianer ausgesehen haben.«
Hinter ihm hingen grellbunte Gemälde von »Aliens aus dem Weltraum«.
»Gar nichts?«, fragte der Gastgeber mit süffisantem Grinsen.
»Nichts. Sie könnten ein Dutzend Beine oder auch gar keine gehabt haben. Wir wissen es einfach nicht.«
»Dann sahen sie also wahrscheinlich nicht so aus wie dieses Bürschchen da.« Der Gastgeber zeigte auf ein ätherisches Geschöpf mit Rehaugen.
»Nein«, antwortete der Professor. »Und wie das da auch nicht.« Er reckte einen Daumen zu einem schleimigen Tentakelmonster aus Krieg der Welten .
Der Gastgeber seufzte tief. »Wahrscheinlich sehen sie wie meine Schwiegermutter aus.«
HEILIGABEND
Jamie und Dex hatten einen äußerst anstrengenden Tag damit verbracht, die vier mitgebrachten Kameras an verschiedenen Stellen in der Spalte aufzubauen, alles zu fotografieren, was es dort zu sehen gab, und sie dann immer wieder woandershin zu transportieren.
»Ich komme mir vor wie der Gehilfe des Kameraassistenten an einem Filmset«, grummelte Dex.
»Geht mir nicht anders, Kumpel«, sagte Jamie.
Nachdem sie den ganzen Vormittag mit Fotografieren verbracht hatten, aktivierte Jamie die VR-Ausrüstung an seinem Helm und unternahm einen ausführlichen, langsamen Rundgang durch das Gebäude, Stockwerk für Stockwerk, bis er wieder auf dem Dach angelangt war. Dex kam mit und stellte sich an die Wände und in die Mitte der verschiedenen Räume, um den Zuschauern eine Vorstellung von ihrer jeweiligen Größe zu vermitteln.
Als die Sonne sich bereits dem südwestlichen Horizont näherte, schaltete Jamie schließlich das VR-Gerät aus, und sie machten sich wieder auf den Weg zum Erdgeschoss hinunter.
»Wir vermuten, dass dies ein Wohngebäude war«, hörte Jamie sich laut denken. »Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht war es ein Aufbewahrungsort, zum Beispiel ein Lagerhaus oder ein Getreidespeicher.«
»Oder eine religiöse Stätte«, fügte Dex hinzu.
»Es gibt offenbar keine Spuren von Möbeln oder Gebrauchsgegenständen«, fuhr Jamie fort. »Von Dingen, die man dort zu finden erwarten würde, wo jemand gelebt und gearbeitet hat.«
»Vielleicht war es eine Festung«, schlug Dex plötzlich vor.
»So eine Art Burg, weißt du. Vielleicht sind sie hier raufgekommen, um sich vor Feinden zu verstecken.«
An diese Möglichkeit hatte Jamie auch schon gedacht.
»Dann gäbe es trotzdem Indizien dafür, dass sie hier gelebt haben, irgendwelche Möbel oder Tonwaren oder so.«
»Ja«, stimmte Dex zu, als sie zu der rechteckigen Öffnung im Dach zurückgingen. »Ein paar zerbrochene Speere.«
»Pfeilspitzen.«
»Vielleicht war es ein religiöser Schrein«, wiederholte Dex.
»Kann sein.« Jamie ging auf die Knie, um sich zum nächsten Stockwerk hinunterzulassen.
»Aber nichts, was wie ein Altar aussieht«, sagte Dex.
Jamie hielt sich mit beiden Händen fest und ließ sich hinab, bis er fühlte, wie seine Stiefel den Boden berührten.
Dann tat Dex dasselbe, und sie machten sich auf den Weg zur nächsten Öffnung, die nach unten führte.
»Nicht die kleinste Spur von irgendwas«, knurrte Dex.
»Vielleicht im Staub verborgen«, sagte Jamie. »Wenn wir den Staub wegkehren, könnten wir was finden.«
Dex schwieg, bis sie zum Erdgeschoss kamen. Als sie langsam und müde zu dem niedrigen Durchgang nach draußen gingen, sagte er: »Das Problem ist, wir denken in menschlichen Kategorien. Diese Leute waren aber keine Menschen. Sie waren Marsianer.«
»Außerirdische.«
»Genau.«
»Vielleicht hatten sie keine Altäre oder religiösen Schreine«, sagte Jamie. »Vielleicht brauchten sie keine Festungen und mussten keine Pfeiloder Speerspitzen anfertigen.«
»Kann sein«, stimmte Dex zu.
Jamie dachte darüber nach, während er Dex half, das Klettergeschirr anzulegen.
»Dann wissen wir nicht mal, wonach wir suchen sollen, stimmt's?«, sagte er sinnierend.
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