Der Unteroffizier blickte von dem verblüfften Posten auf Rod und nickte. „Ihr sollt Eure Chance bekommen.“ Die „Chance“
bestand aus einem mit Breitschwert und Schild bewaffneten Sergeanten.
„Wollt Ihr Euch nicht einen Schild nehmen, Mann?“ brummte der alte Ritter, der der Hauptmann der Garde war.
„Nein, danke.“
„Nun, so kreuzt eure Waffen.“ Sir Maris seufzte. Rod und der Sergeant taten es. Sir Maris hinkte herbei und brachte sein eigenes Breitschwert hoch, um ihre Klingen zu trennen.
Das Schwert des Sergeanten schwang zu einem vollen Bogen aus. Rod nutzte die Verzögerung, um einen Scheinangriff auf des Sergeanten Bauch vorzutäuschen. Sofort sauste der Schild zur Abwehr herab, und Rods Rapier schoß über den Arm des Sergeanten hinweg und schlitzte das Wams über dem Herzen auf.
„Halt!“ schrie Sir Maris, und das Breitschwert des Sergeanten hielt mitten im Schwung an. Er ließ den Schild fallen und fragte verwirrt: „Was ist denn passiert?“
„Hätte dieser Gallowglass nicht nur zum Sport gekämpft, dann wärst du jetzt ein toter Mann, Sergeant Hapweed.“ Mit gerunzelter Stirn starrte Sir Maris Rod an. „Wer würde auf die Idee kommen, die Degenspitze zu benutzen!“
„Nun, gehen wir es noch einmal an?“ fragte Rod und ließ sein Rapier durch die Luft schwirren.
„Nein“, erklärte Sir Maris. „Es steht fest, daß Ihr mit der Klinge umzugehen versteht.“ Er drehte sich um und griff nach einem Kampfstab. Er warf ihn Rod zu. „Hier, versuchen wir es jetzt damit.“
Rod fing den Stab in der Mitte und steckte das Rapier in die Scheide zurück. Der Sergeant hieb bereits probehalber mit seinem Stab durch die Luft.
„Fangt an!“ rief Sir Maris.
Und schon setzte der Eichenholzhagel auf Rod ein, und er hatte seine liebe Not, die Schläge abzuwehren. Er schluckte, als ihm klar wurde, daß er selbst überhaupt nicht zum Angriff kam. Er blockierte einen Hieb gegen sein Schienbein, fing den Schlag auf seinen Kopf ab, und schwang das untere Ende des Stabes,
um den Angriff auf seinen Bauch abzuwehren — aber er kam nicht, er war nur eine Finte gewesen. Verzweifelt bemühte er sich, seinen Kopf noch rechtzeitig zu schützen, aber der Sergeant hatte die Öffnung genutzt. Aus dem Augenwinkel sah Rod, wie der schwere Eichenstab herbeibrauste. Wie ein Donnerschlag krachte er auf seinen Schädel. Tiefe Nacht senkte sich auf ihn herab, und er sah nur noch Sterne vor seinen Augen funkeln, aber er gab nicht auf. In reinem Reflex wehrte er die Schläge ab, und hörte die Zuschauer, die sich inzwischen eingefunden hatten, jubeln.
So geht es nicht, sagte sich Rod. Zwar war er auch im Kampf mit dem Stab ausgebildet worden, hatte ihn jedoch seit mehr als einem Jahr nicht mehr benutzt, während der Sergeant offenbar täglich damit trainierte. Aber noch hatte er eine Chance. Rod sprang zurück, und seine Hand glitt zur Mitte des Stabes. Er wirbelte ihn wie bei einer Parade. Es war die französische Methode, le moulinet.
Sir Maris sperrte die Augen auf. Der Sergeant wich verwirrt zurück, doch dann sprang auch sein Stab wirbelnd empor. Also war er mit dieser Art des Stabkampfs vertraut, aber glücklicherweise kein Experte. Rod war im Vorteil. Des Sergeanten Stab wirbelte verschwommen, aber fast lautlos. Rods dagegen machte einer Motorsäge Konkurrenz. In Wirbelgeschwindigkeit und folge-dessen größerer Schlagkraft war er dem Sergeanten weit überlegen. Und das wußte auch Hapweed. Seine Nackenmuskeln verkrampften sich, als auch er die Wirbelgeschwindigkeit zu beschleunigen versuchte. Jetzt! Rod sprang vor. Sein Stab durchbrach den Wirbel und schwang in Gegenrichtung zu der des Sergeanten hinab. Die Stäbe schlugen mit dem Knall eines Gewehrschusses aufeinander, daß die Heftigkeit fast Rods Zähne zum Klappern brachte. Er fing sich eine halbe Sekunde früher als der Sergeant und hieb seinen Stab mit zwei schnellen Schlägen auf Hapweeds herab, daß dessen Stab zu Boden fiel.
Benommen starrte der Sergeant auf seine leeren Hände. Rod tupfte mit seinem leicht auf die Schläfe Hapweeds und brummte: „Peng! Du bist tot!“
„Halt!“ rief Sir Maris und machte diesem Kampf somit offiziell ein Ende. „Wollen wir jetzt sehen, wie Ihr mit einem Langbogen umzugehen versteht?“
Rod zuckte bluffend die Schulter. „Mit einer Armbrust, meinetwegen, aber einem Langbogen…“
Ein tiefes Gelächter erschallte aus der Höhe herab. Der Hauptmann der Wache und all seine Männer zuckten zusammen. Tom warf sich auf die Knie und preßte schützend die Arme auf den Kopf.
Rod drehte verblüfft den Kopf. Auf einem der eichenen Querbalken in der großen Halle saß ein Zwerg und trommelte mit den Füßen gegen das Holz. Sein Kopf war so groß wie Rods, seine Schultern waren breiter, und seine Arme und Beine so dick und muskulös wie Rods. Er sah aus, wie ein kräftiger normaler Mann, den man hier und dort um einen Meter gekürzt hatte. Das zottlige schwarze Lockenhaar hing ihm bis zum Nacken herab, und buschige schwarze Augenbrauen hoben sich aus der breiten, leicht fliehenden Stirn ab. Die Augen waren kohlschwarz und schienen im Augenblick vor Vergnügen zu sprühen. Eine Hakennase trennte sie voneinander, und aus wulstigen Lippen grinsten ebenmäßige weiße Zähne durch den dichten Bartwald.
„Langbogen!“ rief er mit seiner tiefen Baßstimme. „Na, wenn er damit nicht umgehen kann!“
Sir Maris funkelte wütend zu dem Zwerg hoch. „Möge die Pest mit Euren hinterlistigen Streichen ein Ende machen, Brom O'Berin. Ist mein Haar nicht schon weiß genug?“
„Hinterlistige Streiche!“ rief der Troll entrüstet.
„Brom?“ murmelte Rod. „O'Berin?“
„Black Brom O'Berin!“ berichtigte der Elf.
„Das ist ja eine Mischung aus Holländisch, Irisch und
Russisch, wenn ich mich nicht irre.“
„Was sind das für Unsinnsworte?“ knurrte der Zwerg.
„O nichts.“ Rod schüttelte den Kopf. „Ich hätte es ja erwarten müssen auf diesem verrückten — uh —, ich! meine in Gramayre.“
Der Troll grinste koboldhaft. „Wenn ich mich nicht täusche, ist das nicht gerade ein Kompliment für das große Land Gramayre!“
„Nein, nein! Ich hatte nicht die Absicht — ich wollte nicht…“
Rod hielt inne, denn er erinnerte sich, daß für einen Kämpfer in dieser Art von Kultur Entschuldigungen unmannhaft waren. Er straffte die Schultern. „Also gut, es war eine Beleidigung, wenn dir das lieber ist.“
Der Troll sprang auf dem Balken vergnügt auf die Beine und hopste herum.
„Ihr müßt jetzt gegen ihn kämpfen, Gallowglass!“ rief Sir Maris. „Und Ihr werdet all Eure Geschicklichkeit brauchen.“
Rod starrte ihn an. Meinte er es ernst? Konnte ein Zwerg ein ebenbürtiger Gegner sein?
Der Elf kicherte tief in der Kehle und sprang trotz der großen Höhe auf den Boden herunter, wo er leichtfüßig aufsetzte.
Ein Brüllen erschallte hinter Rod, und der große Tom kam herbeigestürmt. „Es ist eine Falle, Herr!“ schrie er. „In diesem Land herrscht Hexerei, und er ist der schlimmste aller Hexer.
Nie hat jemand Black Brom geschlagen! Aber ich werde es…“
Alle Soldaten in der großen Halle warfen sich brüllend auf Tom. Einen Augenblick stand Rod wie erstarrt, dann ließ er den Kampfstab fallen und watete, Karatehiebe verteilend, durch das Handgemenge, daß die Soldaten rechts und links zu Boden fielen.
„Halt!“ donnerte Brom. Irgendwie war er wieder auf den Querbalken gelangt. „Meinen Dank, Freunde“, brummte der Miniaturherkules. „Der Riese meinte es nicht böse. Laßt ihn los!“
„Meinte es nicht böse!“ schrien ein paar Stimmen entrüstet durcheinander.
„Das stimmt!“ versicherte ihnen Brom. „Er wollte nur seinen Herrn beschützen. Und dieser Gallowglass wiederum kam lediglich zur Verteidigung seines Knappen. Laßt sie in Frieden.
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