Es mußten vier oder fünf der Echsenmänner sein, die durch das Wasser auf sie zugewatet kamen. Sie bewegten sich nicht sehr schnell, aber sehr zielstrebig. Und sie waren nicht allein. Mike mußte zweimal hinsehen, um die Geschöpfe zu erkennen, die sie begleiteten. Die Dinosauroiden hielten lange, geflochtene Leinen in den Händen, an denen sie etwas wie eine verkleinerte Ausgabe der Raptoren führten, die Mike und die anderen am vergangenen Abend angegriffen hatten. Die Tiere waren allerhöchstens so groß wie ein Rebhuhn und sahen mit den viel zu groß geratenen Händen und Füßen beinahe tolpatschig aus -aber was sie taten, das war eindeutig: Sie hatten die Köpfe gesenkt und schnüffelten emsig, und auch wenn es Mike fast unglaublich vorkam -sie schienen ihre Spuren selbst im Wasser deutlich verfolgen zu können.
»Hunde!« keuchte er erschrocken. »Sie haben Hunde!« »Hier gibt es keine Hunde«, antwortete Mason automatisch.
»Aber etwas, was den gleichen Zweck erfüllt«, antwortete Mike. Er fuhr herum und sprang mit einem Ruck auf die Füße. »Sie haben unsere Spur gefunden! Dort kommen wir jedenfalls nicht mehr raus. « Trautman wandte sich mit erstaunlicher Ruhe an Mason. »Gibt es einen anderen Weg aus dem Lager?Überlegen Sie! Sie sind seit zwei Tagen hier!« »Wir sind keinen Schritt aus dem Zelt gekommen«, antwortete Mason. »Aber es gibt keinen anderen Weg, glauben Sie mir. «
Doch, den gibt es, sagte Astaroth. Schnell! Ich glaube, sie wissen jetzt, wo ihr seid. Beeilt euch! »Astaroth hat einen Weg gefunden!« sagte Mike. »Schnell jetzt! Raus hier!« »Und wohin?« fragte Trautman. Mike hatte schon dazu angesetzt, loszustürmen, blieb jetzt aber abrupt wieder stehen. Trautman hatte recht. Astaroth war irgendwo draußen, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wo. Wenn sie blindwütig losstürmten, würden sie nur den Dinosauroiden und ihren Hunden in die Arme laufen.
»Wer ist dieser Astaroth?« wollte Mason wissen. Wie auf ein Stichwort hin raschelte es in diesem Augenblick an der Zeltplane vor dem Ausgang, und Astaroth steckte sein einäugiges Katzengesicht zu ihnen herein. Wie lange soll ich eigentlich noch auf euch warten? erkundigte er sich. Oder wollt ihr vielleicht hierbleiben und eine Runde Karten mit den Fischgesichtern spielen?
»Das ist Astaroth«, sagte Trautman mit einer Geste auf den Kater.
Mason ächzte. »Eine Katze?« keuchte er. »Sie wollen, daß wir uns der Führung einer Katze anvertrauen? Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Er ist ein Kater, keine Katze«, sagte Mike hastig.
»Außerdem sieht er nur aus wie ein normaler Kater, keine Sorge. Er weiß genau, was er tut. « »Aber du anscheinend nicht, Junge«, sagte einer der beiden anderen Männer kopfschüttelnd. »Ich werde ganz bestimmt nicht -«
»Sie können ja hierbleiben«, unterbrach ihn Trautman grob. »Wir verschwinden jetzt jedenfalls. Astaroth
- los. «
Selbst Mike war über Trautmans barschem Ton ein wenig erstaunt, denn das war normalerweise gar nicht seine Art. Aber normalerweise befanden sie sich auch nicht inmitten einer Armee von zwei Meter großen Dinosauriern und von Echsenwesen, die nahe daran waren, sie zu entdecken und gefangenzunehmen. Ohne weiter auf die Proteste des Mannes zu achten, verließen sie das Zelt und kauerten sich in der schützenden Dunkelheit vor dem Eingang zusammen. Mike sah sich mit klopfendem Herzen um. Nur wenige Meter neben ihnen glomm die rote Glut eines vor noch nicht langer Zeit erloschenen Feuers in der Nacht, und er glaubte vage, ein paar langgestreckte Umrisse davor wahrzunehmen. Aber wenn es Dinosauroiden waren, so schliefen sie tief und fest. Wie es schien, hatten sie zumindest im Augenblick das Glück gepachtet. Leider schien es nur so.
Hinter ihm verließen Trautman, Singh und die anderen das Zelt. Als letzter folgte Annies Vater, auch er vollkommen lautlos und auf Händen und Füßen kriechend
-genauer gesagt, auf einer Hand und den Knien. In der anderen hielt er nämlich noch immer die Lampe. Und sie war noch immer eingeschaltet. Mike hatte das Gefühl, von einer eisigen Hand im Nacken berührt zu werden. Der Lichtkegel der Lampe, in der Dunkelheit gleißend und grell wie einer der großen Scheinwerfer der NAUTILUS, strich über Trautman und Singh, blendete für einen Moment Mike und riß kurz Astaroths schlichtweg entsetztes Katzengesicht aus der Dunkelheit, ehe Mason endlich begriff, was er tat, und die Lampe hastig ausschaltete. Natürlich war es zu spät. Einige der Schatten, die Mike bemerkt hatte, begannen sich träge zu regen, und nur eine halbe Sekunde später hörte er nun wirklich das, worauf er mit klopfendem Herzen die ganze Zeit gewartet hatte: einen schrillen, zischelnden Schrei, dessen Bedeutung ihm trotz all seiner Fremdartigkeit sofort klar war. »Los!« brüllte Trautman. »Lauft!«
Mike sprang mit einem Ruck auf die Füße und stürmte hinter Astaroth her, der vor ihnen im Zickzack durch das Lager schoß und ihnen den Weg wies. Die anderen folgten ihm dichtauf. Mike verschwendete keine Zeit damit, zu ihnen zurückzusehen, aber er hörte sehr wohl, daß es nicht nur ihre Schritte waren, die die bisherige Stille des Lagers durchbrachen. Von der Sicherheit ihres Baumes aus beobachtet, hatte das Lager schon groß ausgesehen. Jetzt schien es kein Ende zu nehmen. Astaroth schoß nach rechts, links, sprang einmal sogar mit einem gewaltigen Satz über ein erst halb erloschenes Feuer, und die Zelte flogen nur so an ihnen vorüber, aber so schnell sie auch rannten, schienen sie trotzdem kaum von der Stelle zu kommen. Immer mehr und mehr Schatten erfüllten die Nacht, und bald hallte das Flußufer von den zischelnden Schreien der Echsenwesen wider. Der Lärm ihrer Flucht mußte das gesamte Lager geweckt haben. Der einzige Grund, aus dem sie wahrscheinlich nicht schon in den ersten Sekunden eingeholt und überwältigt wurden, war wohl, daß sie auch für komplette Verwirrung sorgten. Aber früher oder später, das wußte Mike, würde ihre Flucht zu Ende sein.
Und als wäre das alles noch nicht genug, bemerkte Mike in diesem Moment etwas, was seine Sorge noch vertiefte. Astaroth bewegte sich nicht auf den Rand des Lagers zu, sondern im Gegenteil immer weiter vom Wald weg. Wohin um alles in der Welt brachte sie der Kater? Mike war plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß Astaroth wirklich wußte, was er tat. Als er es schließlich begriff, war es zu spät. Mit einem Male waren keine Zelte mehr rings um sie herum. Das Lager der Dinosauroiden lag hinter ihnen - aber sie befanden sich nicht im Wald. Nicht einmal wirklich im Freien... Mike verspürte erneut einen eiskalten, lähmenden
Schrecken, als ihm endgültig klar wurde, welchen Weg aus dem Lager heraus Astaroth gefunden hatte. Der Kater hatte sie direkt in die Triceratops-Herde geführt!
Nicht alle Tiere schliefen. Die meisten waren wach und bewegten sich unruhig. Gewaltige, stachelgepanzerte Köpfe drehten sich in ihre Richtung, mißtrauische Blicke folgten ihnen, und Mike vernahm ein immer lauter werdendes Brummen und Rumoren, als erwache die ganze Herde gleich einem einzigen, gewaltigen Tier aus dem Schlaf. Und irgend etwas sagte ihm, daß sie nicht besonders erfreut auf die nächtliche Störung reagieren würden.
»Um Gottes willen!« keuchte Mason. Natürlich hatte auch er bemerkt, wo sie sich befanden, und Mike konnte trotz der Dunkelheit sehen, daß er leichenblaß geworden war. »Was - ?«
»Weiter!« unterbrach ihn Trautman. »Wir müssen weiter! Schnell!«
Aber Mason rührte sich nicht; ebensowenig wie seine drei Begleiter. »Das ist doch Wahnsinn!« keuchte er. »Sie werden uns tottrampeln!«
»Das werden sie nicht!« antwortete Trautman. »Aber wenn wir noch lange hier herumstehen, dann kriegen sie uns. « Er wies zurück auf das Lager, das sich mittlerweile in heller Aufregung befand. Dutzende, wenn nicht Hunderte der Echsenmänner bewegten sich in ihre Richtung, und die Nacht hallte wider von ihren zischelnden Stimmen. Aber Mike fiel auch auf, daß sich die Dinoiden längst nicht so schnell bewegten, wie sie es gekonnt hätten. Entweder, dachte er, konnten sie in der Nacht nicht besonders gut sehen... oder sie hatten Angst, ihnen in die Herde hinein zu folgen. Er verscheuchte den Gedanken. »Uns geschieht nichts«, sagte er. »Astaroth weiß, was er tut. Keine Angst. «
Читать дальше