Er setzte sich auf die Bettkante, und Min legte das Buch weg, ein Band mit dem Titel Eine ausführliche Diskussion von Relikten aus der Zeit vor der Zerstörung der Welt. Sie setzte sich auf und rieb mit einer Hand seinen Nacken. Schüsseln klirrten, als die Dienerin sie zusammenstellte, und sie verneigte sich entschuldigend und lud sie nur noch schneller in ihren Tragekorb.
»Du treibst dich wieder zu hart an, Schafhirte«, sagte Min.
»Das muss ich.«
Sie kniff ihn hart in den Nacken, und er zuckte grunzend zusammen. »Nein, das musst du nicht«, sagte sie ihm leise ins Ohr. »Hast du mir nicht zugehört? Wozu wirst du noch zu gebrauchen sein, wenn du dich vor der Letzten Schlacht erschöpfst? Beim Licht, Rand, ich habe dich seit Monaten nicht mehr lachen gehört.«
»Ist das wirklich eine Zeit zum Lachen?«, wollte er wissen. »Willst du wirklich, dass ich glücklich bin, während Kinder verhungern und Männer einander umbringen? Soll ich lachen, wenn ich höre, dass Trollocs noch immer durch die kurzen Wege kommen? Soll ich darüber glücklich sein, dass der größte Teil der Verlorenen noch immer irgendwo dort draußen lauert und darüber nachdenkt, wie sie mich am besten töten können?«
»Nun, nein«, sagte Min. »Natürlich nicht. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Probleme der Welt uns vernichten. Cadsuane sagt ...«
»Warte«, fauchte er und drehte den Oberkörper, damit er sie ansehen konnte. Sie kniete auf dem Bett, das kurz geschnittene dunkle Haar kräuselte sich unter ihrem Kinn. Sein Tonfall schien sie zu entsetzen.
»Was hat Cadsuane damit zu tun?«, fragte er.
Min runzelte die Stirn. »Nichts.«
»Sie hat dir gesagt, was du sagen sollst. Sie benutzt dich, um an mich heranzukommen!«
»Sei kein Narr.«
»Was hat sie über mich gesagt?«
Min zuckte mit den Schultern. »Sie sorgt sich darüber, wie abweisend du geworden bist. Rand, worum geht es hier?«
»Sie will mich manipulieren. Sie benutzt dich. Was hast du ihr erzählt?«
Min kniff ihn erneut fest. »Mir gefällt dein Ton nicht, Dummkopf. Ich dachte, Cadsuane wäre deine Beraterin. Warum sollte ich in ihrer Gegenwart aufpassen, was ich sage?«
Die Dienerin klirrte noch immer mit dem Geschirr. Warum konnte sie nicht einfach verschwinden! Diese Art Diskussion wollte er nun wirklich nicht vor Fremden führen.
Min konnte nicht mit Cadsuane zusammenarbeiten, oder doch? Er vertraute Cadsuane keinen Fingerbreit. Wenn sie zu Min durchgedrungen war ...
Etwas verkrampfte sich in seinem Herzen. Misstraute er jetzt tatsächlich schon Min, war das möglich? Sie war immer diejenige gewesen, die ihm ehrlich gegenübergetreten war, die mit ihm keine Spielchen getrieben hatte. Was würde er machen, wenn er sie verlor? Soll man mich doch zu Asche verbrennen!, dachte er. Sie hat recht. Ich bin zu abweisend geworden. Was wird aus mir, wenn ich jetzt anfange, denen zu misstrauen, von denen ich weiß, dass sie mich lieben? Dann bin ich nicht besser als der verrückte Lews Therin.
»Min«, sagte er und mäßigte seinen Tonfall. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht bin ich zu weit gegangen.«
Sie schaute ihn an, entspannte sich. Dann versteifte sie sich, riss entsetzt die Augen auf.
Etwas Kaltes schloss sich klickend um Rands Hals.
Er griff danach, fuhr herum. Die Dienerin stand vor ihm, aber ihre Gestalt verschwamm. Sie verschwand und wurde von einer Frau mit schwarzer Haut und schwarzen Augen ersetzt, deren scharf geschnittenes Gesicht triumphierte. Semirhage.
Rand berührte Metall. Zu kaltes Metall, das sich wie Eis anfühlte und gegen seine Haut drückte. Außer sich vor Zorn versuchte er, das Schwert aus seiner schwarzen, mit dem Drachen bemalten Scheide zu ziehen, musste aber entdecken, dass er das nicht konnte. Seine Beine spannten sich an, als müssten sie gegen ein unvorstellbares Gewicht ankämpfen. Er riss an dem Kragen herum - die Finger konnte er noch bewegen -, aber das Metall schien aus einem einzigen, glatten, fugenlosen Reif zu bestehen.
In diesem Augenblick verspürte er Entsetzen. Trotzdem erwiderte er Semirhages Blick, und sie lächelte genüsslich. »Schon eine lange Zeit habe ich darauf gewartet, dir einen Dominanzkragen anlegen zu können, Lews Therin. Seltsam, wie sich die Umstände ergeben, nicht ...«
Etwas blitzte durch die Luft, und Semirhage blieb kaum genug Zeit für einen Aufschrei, bevor etwas nur um Haaresbreite die Klinge abwehrte - ein Gewebe aus Luft, wie Rand nur vermuten konnte, denn er konnte die aus Saidar gemachten Gewebe nicht sehen. Immerhin hatte Mins Messer einen Schnitt auf Semirhages Wange hinterlassen, bevor es weitergeflogen war und sich in die Tür gebohrt hatte.
»Wachen!«, schrie Min. »Töchter, zu den Waffen! Der Car'a'carn ist in Gefahr!«
Semirhage fluchte, schwenkte die Hand, und Min verstummte. Rand bäumte sich auf, versuchte Saidin zu ergreifen und scheiterte. Etwas blockierte ihn. Ströme aus Luft stießen Min vom Bett, verschlossen ihren Mund. Rand wollte zu ihr laufen und musste erneut feststellen, dass er das nicht konnte. Seine Beine gehorchten einfach nicht.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Eine andere Frau schob sich eilig hinein. Sie schaute nach hinten, als hielte sie nach etwas Ausschau, dann schloss sie sie. Elza. Rand verspürte eine Woge der Hoffnung, aber dann gesellte sich die kleine Frau zu Semirhage und nahm das andere Armband, das das A'dam um seinen Hals kontrollierte. Sie schaute zu ihm hoch. Ihre Augen waren gerötet und wirkten benommen - als hätte sie einen ordentlichen Schlag auf den Kopf davongetragen. Aber als sie ihn dort sitzen sah, lächelte sie. »Und so erfüllst du endlich dein Schicksal, Rand al'Thor. Du wirst dem Großen Herrn gegenübertreten. Und du wirst verlieren.«
Elza. Elza war eine Schwarze Schwester, sollte sie zu Asche verbrennen! Rands Haut kribbelte, als er fühlte, wie sie neben ihrer Herrin stehend Saidar umarmte. Beide traten ihm entgegen, jede von ihnen trug einen Armreif, und Semirhage sah überragend souverän aus.
Rand knurrte, wandte den Kopf Semirhage zu. Er würde sich nicht auf diese Weise unterjochen lassen!
Die Verlorene berührte den blutenden Schnitt auf ihrer Wange, dann schnalzte sie ärgerlich mit der Zunge. Sie trug ein einfaches braunes Kleid. Wie war sie ihrer Gefangenschaft entkommen? Und wo hatte sie diesen verfluchten Kragen her? Rand hatte ihn Cadsuane zur Aufbewahrung gegeben. Sie hatte geschworen, er würde sicher sein!
»Es werden keine Wächter kommen, Lews Therin«, sagte Semirhage gedankenverloren und hielt die Hand mit dem Armreif hoch; der Armreif passte zu dem Kragen um Rands Hals. »Diesen Raum habe ich gegen Lauscher abgeschirmt. Du wirst bemerken, dass du dich nicht bewegen kannst, ohne dass ich es erlaube. Du hast es bereits versucht, und du musst erkennen, wie sinnlos das ist.«
Verzweifelt griff Rand erneut nach Saidin, fand aber nichts. In seinem Kopf fing Lews Therin an zu knurren und zu schluchzen, und um ein Haar hätte sich Rand dem Mann angeschlossen. Min! Er musste sie erreichen. Er musste stark genug sein!
Er zwang sich Semirhage und Elza entgegen, aber es war, als würde er versuchen, die Beine eines anderen zu bewegen. Er war in seinem eigenen Kopf gefangen, wie Lews Therin. Er öffnete den Mund, um einen Fluch auszustoßen, aber es kam nur ein Krächzen heraus.
»Ja«, sagte Semirhage, »du kannst auch nicht ohne Erlaubnis sprechen. Und ich würde dir vorschlagen, nicht noch einmal nach Saidin zu greifen. Du wirst die Erfahrung unerfreulich finden. Bei früheren Tests mit dem Dominanzkragen habe ich herausgefunden, dass er ein viel eleganteres Werkzeug als diese seanchanischen A'dam ist. Ihr A'dam, erlaubt einen gewissen Spielraum an Freiheit, verlässt sich auf Übelkeit, um für Gefügigkeit zu sorgen. Der Dominanzkragen verlangt viel mehr Gehorsam. Du wirst genau das tun, was ich will. Zum Beispiel ...«
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