Genug, ermahnte sich Ryld. Wir sind nicht so weit gereist, um hier geschlagen zu werden!
Er verdoppelte seine Angriffe, begab sich in Reichweite des großen Teufels und jagte Splitters Spitze in den schuppigen Hals der Kreatur. Diese schlug wild nach ihm, lag aber bereits im Sterben, und ihre Zuckungen brachen kleine Stücke Stein heraus, während die Krallen in die Luft schnappten, anstatt Ryld zu zermalmen. Der Waffenmeister machte einen Satz über den Leichnam und stellte sich den kleineren Teufeln, die bereits näherkamen.
Jezz mischte sich wieder in den Kampf ein, zog eine Schriftrolle aus seinem Gürtel und las hastig einen Bannzauber, der mehrere der kleineren Teufel in das infernalische Reich zurückschleuderte, aus dem sie gekrochen waren.
Zwei andere nahmen sofort den Platz ein, der durch ihr Verschwinden entstanden war.
»Wir müssen weg von hier!« rief Jezz. »Der Betrachter ist unser Feind. Diese Teufel sollen uns ablenken!«
Ryld verzog das Gesicht. Wenn sie flohen, dann würde man sie von hinten niederringen. Dennoch wich er zurück zu der Tür, die hinüber zum Betrachter führte. Er betete, daß sich die Kreatur nicht an einer Stelle befand, von der aus sie sie sehen konnte. Widerstrebend zog er sich Schritt für Schritt zurück, da er ungern in einen anderen Kampf eingreifen wollte, solange der eine noch tobte.
Zu seiner Überraschung verschwand plötzlich einer der Teufel auf der anderen Seite aus dem Blickfeld, ein weiterer begann zu kreischen, als eine Peitsche mit Schlangenköpfen ihre Giftzähne in dessen Nacken bohrte. Valas und Quenthel, die sich durch die Reihen der Teufel kämpften, humpelten in sein Blickfeld. Der Späher trug die schwerverletzte Priesterin, deren Flanke er mit einem Kukri vor Angriffen schützte, während sie mit ihrer todbringenden Peitsche ausholte.
Danifae und Ryld nutzten den momentanen Nachteil der Teufel, um Angriffe gegen die ihnen am nächsten stehenden Gegner zu führen. Quenthel ließ sich gegen eine Wand sinken und hielt Halisstras heilenden Stab in der Hand, während Valas Hune seine zweite Klinge zog und sich in den Kampf stürzte, indem er die Teufel von hinten mit seinen Messern angriff.
»Schnell!« keuchte Quenthel. »Ein Höllenschlundteufel und ein Dutzend weiterer Teufel sind gleich hinter uns!«
Ryld besiegte einen weiteren Teufel, während Danifae mit einem beidhändigen Schlag ihres Morgensterns das Gehirn eines weiteren Geschöpfes an der Wand verteilte. Innerhalb weniger Augenblicke entledigten sich die Drow aller Teufel in ihrem Raum. Jezz zog eine weitere Schriftrolle und las rasch den Zauber vor, mit dem er die Tür hinter Quenthel und Valas Hune mit einer knisternden Schicht aus funkelnder gelber Energie versiegelte.
»Das wird die Kreaturen nur für einen Moment aufhalten«, warnte er.
Die Baenre sah sich um. Der Sturz in den Schacht mußte sie schwer verletzt haben. Getrocknetes Blut bedeckte eine Seite ihres Gesichts, und ihre Augen schienen sich nicht fokussieren zu können. Ein Arm hing schlaff herab, aber sie blieb auf den Beinen.
»Wo ist der Betrachter?« fragte sie. »Wo sind Pharaun und Jeggred?«
Ryld sah zum Türbogen, ein weiterer Zauber dröhnte durch die Luft.
»Irgendwo da hinten«, sagte er. »Der Betrachter –«
Er verstummte, als er eine überwältigende Präsenz spürte, die sich Jezz’ Barriere näherte, etwas Unsichtbares, das mit seinen Schritten die Mauersteine des Turms zu erschüttern schien.
»Der Höllenschlundteufel kommt«, meldete Danifae, die nach Luft schnappte und die ihre Augen vor Schreck weit aufgerissen hatte.
»Geht!« sagte Quenthel und winkte sie mit ihrem unversehrten Arm weiter.
Ohne ein Wort zu erwidern, hasteten die Dunkelelfen zum anderen Ausgang, rannten in den nächsten Raum und nahmen keine Rücksicht auf die donnernden Zauber, die dort umherzuckten.
Triel Baenre stand auf einer hohen Brücke des Hauses Baenre und sah in Richtung Narbondel. Der schleichende Ring aus Strahlung, der sich langsam an der gewaltigen Steinsäule nach oben bewegte, zeigte, wie die Zeit verging. Das Leuchten war fast am oberen Ende der Säule angelangt, was hieß, daß der Tag bald vorüber sein würde. Es war nicht das erste Mal, daß ihr die Ironie bewußt wurde, die darin lag, daß ein Volk, das vor fast zehntausend Jahren aus der Welt des Lichts vertrieben worden war, ein Interesse daran hatte, den Wechsel von Tag und Nacht so wie die Bewohner der Oberfläche nachzuvollziehen. Dabei war hier im Unterreich doch immer Nacht. Dennoch hatte es sich über die Jahre als einigermaßen nützlich erwiesen, sich an das nie endende Verstreichen der Tage in der Welt dort oben zu erinnern. Es half, mit denen umzugehen, für die diese Gewohnheit üblich war, so zum Beispiel Kaufleute, die die exotischeren und begehrteren Waren von der Oberfläche in die Stadt Lolths brachten.
Nicht, daß viele von ihnen in der letzten Zeit Menzoberran-zan besucht hätten. Ein Krieg war immer ein Hemmnis für den Handel.
Die andere Frage, die Triel in den Sinn kam, als sie zu Narbondel blickte, war nicht ganz so abstrakt: Wer sollte in ein oder zwei Stunden den feurigen Ring Narbondels neu entfachen?
Das Amt des Erzmagiers gehörte noch immer ihrem Bruder Gromph, der seit mehr als einem Zehntag als verschwunden galt. Doch die Meister Sorceres würden nicht zulassen, daß eine so hohe Position allzulange unbesetzt blieb. Sie hatte erfahren, daß mehrere ehrgeizige Meister bereits um den Posten wetteiferten. Zweifellos hätte auch Pharaun zu ihnen gehört, wäre er noch in der Stadt gewesen. Doch der Auftrag, sich nach Ched Nasad zu begeben, machte es dem Helden der Stunde unmöglich, in Menzoberranzan zu sein und seinen Ruhm zum besten persönlichen Nutzen einzusetzen. Sie drehte den Kopf und sprach über die Schulter zu den treuen Baenre-Wachen, die respektvollen Abstand zu ihr wahrten.
»Schickt nach Nauzhror«, sagte sie. »Sagt ihm, ich brauche seinen Rat in einer wichtigen Angelegenheit. Er kann mich in der Kapelle aufsuchen.«
Triel machte sich auf den Weg zum großen Lolth-Tempel, der sich im Mittelpunkt des großen Hügels des Hauses Baenre befand. Ihre Aufmerksamkeit war nicht auf ihre Umgebung gerichtet, da sie über die vielen Probleme nachdenken mußte, von denen die Stadt in den letzten Monaten heimgesucht wurde. Sie war den Duergar fast dankbar, weil sie ihr Grund gaben, den Rat einzuberufen – und damit die Dutzende niederer Häuser, die die Stärke Menzoberranzans ausmachten. Ein Sieg in den Tunneln südlich der Stadt würde viel dazu beitragen, die Vorherrschaft des Hauses Baenre wieder herzustellen.
Andererseits konnte ein weiterer Rückschlag verheerende Folgen haben. Auch wenn die Baenre das wohlhabendste mächtigste Haus waren, könnte der Rat auf die Idee kommen, den Baenre den Namen erstes Haus zu entziehen. Kein einzelnes Haus konnte darauf hoffen, Haus Baenre zu schlagen, nicht einmal zwei, wenn sie sich zusammenschlossen. Aber was, wenn alle anderen Häuser des Rates der einhelligen Meinung waren, die Zeit sei gekommen, das stärkste aller Häuser abzusetzen?
»Da sei Lolth vor«, murmelte Triel und schauderte ängstlich.
Was die Truppen, die magische Macht und den bloßen Reichtum anging, waren die anderen Häuser schon immer in der Lage gewesen, Haus Baenre zu vernichten, wenn sie sich zusammenschlossen, um gemeinsam gegen das Erste Haus vorzugehen. Was sie aber nie besessen hatten, war der Segen Lolths, die einen solchen Akt des Ungehorsams nie gutgeheißen hätte. Wenn Lolth ihre Aufmerksamkeit wieder auf Menzoberranzan richtete und das zweite bis achte Haus für das anmaßende Verhalten vernichtete, weil sie das Haus Baenre ausgelöscht hatten, dann würde das den Baenre auch nicht mehr helfen. Ohne Lolths Zorn, der den Ehrgeiz der anderen großen Häuser zügeln konnte, erschien ein vereinter Angriff auf das Haus Baenre weniger wie eine Möglichkeit, sondern vielmehr wie etwas Unausweichliches.
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