Nachdem er schließlich beschlossen hatte, dass jede Richtung gleich gut oder schlecht war, begann Ryan zu gehen. Die Bankett-Tafel folgte ihm wie ein aufgeregter kleiner Hund. Er ignorierte sie und konzentrierte seinen Blick auf das was vor ihm lag.
Als die Dämmerung zur Dunkelheit wurde, gingen die Lichter der Stadt an. Nicht die weißen, sterilen, eintönigen Lichter von Metropolen auf der Erde, sondern Trugbilder von Helligkeit und Farbe, als wäre die Stadt zu einer einzigen großen Feuerwerksshow geworden. Lichter aller Farbtöne blinkten und leuchteten in einer Mischung aus geordneten und zufälligen Mustern. Hypnotisierende Wirbel und Kombinationen strichen in unendlicher Abfolge entlang der Seite eines Gebäudes hinauf und entlang eines anderen hinunter. Es gab keine Ecken, in denen sich die Dunkelheit hätte verstecken können, und so floh sie, und überließ die Stadt einer Helligkeit wie am Tage.
Ryan ignorierte die Lichter und lief weiter.
Schließlich gab der Tisch hinter ihm auf, und verschwand. Einer der früheren Erkunder der Stadt erschien aus einem Gebäude, mit einer Flasche in der Hand. Als er Ryan sah, winkte er freundlich und lud ihn ein, sich zu ihm zu gesellen.
Ryan ging an ihm vorbei.
“Jeffrey!”
Er konnte nicht anders, als sich bei diesem Ruf umzudrehen. Da, im Eingang eines der Gebäude, stand seine Mutter, die seit vier Jahren tot war. Sie trug ihre Haare lang, wie es modern gewesen war, als Ryan drei Jahre alt war, aber ihr Gesicht war das, das sie im Alter gehabt hatte. Sie streckte eine Hand nach ihm aus. „Komm zu mir, mein Sohn“, bat sie leise.
Sie ist nicht echt. Mutter ist tot. Dies ist eine Täuschung. Gefälscht. Illusion. Betrug.
Er drehte sich langsam um, um weiter zu gehen.
„Jeffrey! Jeffrey, mein Sohn, kennst du nicht einmal mehr deine eigene Mutter?“
Ryan blieb stehen und biss sich auf die Lippe, aber er sah sie nicht mehr an. Er wagte es nicht.
„Jeffrey, sieh mich an. Bitte!“
„Nein. Du bist eine Täuschung. Eine Täuschung, wie alles andere an diesem gottverdammten Ort. Geh weg und lass mich alleine!“
Sie rannte auf ihn zu, so gut sie konnte, ihr linkes Bein stärker belastend, wie sie es immer getan hatte, wegen ihrer Arthritis. Sie warf sich ihm zu Füßen wobei sie seinen Ärmel umklammerte. „Ich bin deine Mutter, Jeffrey“, weinte sie. „Sag, dass du mich kennst. Bitte! Du kennst deine Mutter.“ Ihre feuchten Augen sahen zu seinem Gesicht auf, und er wandte schnell seinen Blick ab.
„Lass LOS !“ rief er. Er schob sie von sich weg. Sie fiel hintenüber und ihr Kopf schlug hart am Boden auf. Es gab ein knackendes Geräusch, und Blut begann aus ihrem Kopf zu fließen, wo er aufgeschlagen war. Sie war völlig still, ihre Augen sahen zu ihm auf, wie ein toter Fisch. Er würgte, aber sein Magen war leer und nichts als der bittere Geschmack von Säure kam hoch.
Als seine Magenkrämpfe aufgehört hatten, richtete er sich auf und ging weiter, trotz der Tatsache, dass er ihre toten, starren Augen in seinem Rücken spüren konnte. Wenn er sich umdrehen würde, das wusste er, würde sie ihn ansehen. Dieses Wissen machte es schwer, sich nicht umzudrehen.
Ryan lief weiter.
***
Sie warteten auf ihn, als er um die Ecke bog. Bael und sieben der anderen Kundschafter, standen aufgereiht und blockierten den Weg. „Wenn du dich nicht an die Regeln hältst, darfst du nicht weiterspielen, Jeff“, sagte Bael ruhig.
„Lasst ihr mich durch?“
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Nein, wir können dich nicht weiter gehen lassen.“
„Was soll ich dann jetzt tun?“
„Du hast die Wahl: entweder du kehrst um, oder du schließt dich uns an.“
„Und was ist mit meiner Mission hier?“
„Hör auf Zinnsoldat zu spielen, Jeff. Du kannst es besser.“
„Ich denke, ich möchte sehen, was hinter euch ist.“
„Wir sind zu acht, Jeff, du bist alleine.“
„Ja, aber ich habe eine Waffe.“
„Sie wird nicht funktionieren“, sagte Bael ruhig. „Nicht gegen uns. Die Stadt würde es nicht zulassen.“
Und Ryan wusste, dass er Recht hatte. Welche Macht auch immer die Kontrolle hatte, würde ihm nicht erlauben, etwas Wichtiges zu zerstören. Aber er musste sich irgendetwas nähern, sonst hätte man nicht so viel daran gesetzt, ihn aufzuhalten.
„Nun“, begann er langsam. Dann, mit einem kurzen Sprint, bewegte er sich auf die Männer zu. Der nächste Mann stellte sich ihm in den Weg. Ryan gab ihm einen schnellen Tritt in die Leiste und der Mann sank in die Knie, sodass Ryan Platz hatte, an ihm vorbei zu rennen. Ryan rannte und rannte weiter, die Gasse zwischen den Gebäuden entlang.
„Ihm nach!“ rief Bael – unnötiger Weise, denn die anderen hatten schon die Verfolgung aufgenommen. Erst konnten sie mithilfe ihrer Kenntnis des Grundrisses der Stadt mit ihm mithalten, aber die Verzweiflung verlieh Ryans Füßen Schnelligkeit. Er hörte für den Moment auf zu denken, und überließ es seinem Instinkt, ihn um die spitzen Ecken zu lotsen, die sein Vorstellungsvermögen überschritten. Er sah sich selbst auf eine solide Mauer zu rennen, nur damit, einen Moment bevor er hinein krachte, eine Öffnung erschien. Er raste durch Gebäude, über Treppen, überquerte schmale, gebogene Brücken hundert Meter in der Luft, und dann nach unten und hinaus. Hinein, hinaus, rund herum, vorbei; seine Schlangenlinien waren so willkürlich und so schnell wie er nur konnte. Seine Verfolger fielen weiter zurück, bis er sie schließlich nicht mehr sehen konnte. Dann waren auch ihre Schritte nicht mehr zu hören. Ryan blieb stehen.
Die Stille brach wieder herein, die Stille, die ihn anfangs in der Stadt willkommen geheißen hatte. Das einzige Geräusch war sein eigenes angestrengtes Luft Schnappen. Er sank auf die Knie, seine zitternden Beine konnten sein Gewicht nicht länger tragen. Dann lag er auf der Seite, als große Mengen Luft sich ihren Weg in seine Brust brannten.
Seine Hand glitt wieder in seine Hosentasche, und berührte den Kommunikator. Das kalte Metall-Kästchen hatte ihren beruhigenden Effekt auf seine mitgenommene Psyche. Es gab eine Erde. Es gab noch das Schiff im Orbit über der Stadt, bereit, ihm zu helfen. Er war nicht alleine gelassen in dieser Tortur, er war nur hier allein.
„Du hast noch kein Blut geleckt, Bael“, keuchte er leise.
„Ich habe es auch nicht versucht“, hörte er Baels Stimme. Ryan sah erschrocken auf. Über seinem Kopf hing, in der Luft, eine großer 3D-Bildschirm, der von Baels Gesicht ausgefüllt wurde. „Du brauchst nicht zu rennen, Jeff. Die Stadt kann mich jederzeit über deinen Aufenthaltsort informieren. Ich kann dich immer finden, wenn ich will. Aber wenn du alleine sein willst, dann ist das deine Entscheidung. Wir haben versucht, dich zu retten. Was immer jetzt passiert ist deine eigene Schuld. Tschüss.“ Der Bildschirm wurde schwarz.
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