Ich tat es und war im selben Moment überzeugt. Man konnte diesen Tatsachen nicht länger ausweichen: Die Zeichnungen des Amerikaners, die Aufnahmen, der Bericht des Professors und zu guter Letzt dieses echte Beweisstück - nur ein Blinder hätte weiterhin gezweifelt. Man hatte Professor Challenger unrecht getan. Er war kein Scharlatan.
»Das ist die tollste Sache der Welt!« sagte ich, wobei meine Begeisterung eher journalistischer als wissenschaftlicher Natur war. »Das ist kolossal. Sie haben eine vergessene Welt entdeckt. Wie habe ich auch nur einen Moment an Ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln können? Verzeihen Sie mir. Ihre Beweise sind schlagend und sollten jedem genügen.«
Der Professor schnurrte vor Zufriedenheit.
»Und dann, Sir?« fragte ich. »Was haben Sie dann getan?«
»Die Regenzeit hatte begonnen, Mr. Malone, und meine Vorräte gingen zur Neige. Ich erforschte einen Teil dieser gewaltigen Felswände, konnte sie jedoch nicht ersteigen. Der pyramidenförmige Felsblock, auf dem ich den Pterodactylus gesehen und geschossen hatte, erwies sich als etwas leichter zugänglich. Da ich ein relativ guter Bergsteiger bin, schaffie ich es hier bis auf halbe Höhe. Von da oben hatte ich eine gute Sicht über das Plateau über der Felswand. So weit das Auge reicht, erstreckt sich das bewachsene Land, das eigentlich eine Art Felsdach ist. Darum herum und tiefer gelegen Sumpf und Dschungel voll Schlangen, Insekten und Fieber, also eine Art natürlicher Schutzwall für dieses einzigartige Fleckchen Erde.«
»Haben Sie Spuren von irgendwelchen Lebewesen gefunden?«
»Nein. Wir hatten unser Lager am Fuße der Felswand aufgeschlagen und haben eine ganze Woche dort zugebracht. Gesehen haben wir während der Zeit nichts, aber seltsame Geräusche haben wir gehört. Sie kamen von oben, vom Plateau über den Klippen.«
»Aber wie erklären Sie sich dann die Zeichnung des Amerikaners?« fragte ich. »Ich meine die mit dem Monster.«
»Ich kann nur vermuten, daß er irgendwie hinaufgekommen ist und es dort gesehen hat. Es muß einen Weg da hinauf geben. Er muß allerdings so steil und schwierig sein, daß diese Kreaturen nicht herunterklettern können, sonst wäre die Ebene längst verwüstet.«
»Und wie sind die Kreaturen hinaufgekommen?« frage ich.
»Dafür gibt es eine ganz simple Erklärung«, antwortete der Professor. »Der südamerikanische Kontinent ist ein Kontinent aus Granit, wie Sie vielleicht wissen. Irgendwann in grauer Vorzeit hat es an der Stelle, von der ich spreche, einen plötzlichen vulkanischen Ausbruch gegeben. Die Klippen sind aus Basalt - das habe ich, glaube ich, noch nicht erwähnt - und somit plutonischen Ursprungs. Ein Gebiet von der Größe der Grafschaft Sussex wurde en bloc und mit allem, was kreucht und fleucht, in die Höhe gestoßen und von dem umliegenden Land abgeschnitten. Was war das Ergebnis? Die allgemein herrschenden Gesetze der Natur waren aufgehoben. Verhaltensweisen, die der Existenzkampf bisher gefordert hatte, wurden unwirksam und damit sinnlos. Arten, die normalerweise längst ausgestorben wären, überlebten. Der Pterodactylus und der Stegosaurus sind Tiere aus dem Jurazeitalter und somit entwicklungsgeschichtlich ungeheuer alt. Durch diese seltsamen, zufällig entstandenen Bedingungen ihres Lebensbereiches sind sie künstlich erhalten geblieben.«
»Aber Ihre Beweise sind eindeutig«, sagte ich. »Sie brauchen sie doch lediglich den zuständigen Gremien vorzulegen.«
»Das hatte ich in meiner Naivität auch gedacht«, sagte der Professor verbittert. »Alles lief ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Wo ich mich auch hinwandte, stieß ich auf Unglauben. Einen Unglauben, der eine Mischung aus Dummheit und Neid war. Wenn man an meinem Wort zweifelt, dann bin ich nicht der Mensch, der kriecht oder Beweismaterial wie saures Bier anbietet. Nach den ersten mißglückten Versuchen habe ich mich nicht mehr dazu herabgelassen, mein Beweismaterial überhaupt vorzulegen. Ich wurde mit der Zeit so allergisch gegen das ffema Südamerika-Expedition, daß ich nicht mehr darüber sprechen mochte. Und als dann obendrein noch Leute wie Sie an meiner Tür standen, Menschen, die in meinen Augen die stupide Neugier der Massen verkörpern, war ich nicht einmal mehr in der Lage, sie mit hochmütiger Zurückhaltung abzuwimmeln. Ich bin von Haus aus leicht jähzornig, das gebe ich zu, und wenn man mich provoziert, tendiere ich zur Gewalttätigkeit. Sie werden das bestätigen können, Mr. Malone.«
Ich lächelte und schwieg.
»Meine Frau hat mir deshalb oft Vorwürfe gemacht, aber ich finde, daß ein Ehrenmann nicht anders handeln kann. Trotzdem erkläre ich mich bereit, heute abend meine Gefühle zu beherrschen und über mich hinauszuwachsen. Ich lade Sie hiermit zu der Demonstration ein.« Er nahm eine Karte von seinem Schreibtisch und gab sie mir. »Wie Sie hier sehen«, fuhr er fort, »wird Mr. Percival Waldron, ein sehr bekannter und beliebter Naturwissenschaftler, um zwanzig Uhr dreißig im Zoologischen Institut eine Vorlesung halten. Er spricht über die >Zeugnisse der Zeitalter dieser Erde<. Man hat mich ausdrücklich gebeten, anwesend zu sein und nach der Vorlesung ein kurzes Dankeswort zu sprechen. Mit großem Takt und großer Raffinesse werde ich dieses Dankeswort dazu benutzen, ein paar Bemerkungen über meine Sache fallen zu lassen. Vielleicht kann ich dadurch das Interesse der Zuhörerschaft gewinnen. Es wäre doch denkbar, daß sich der eine oder andere eingehender mit meiner Sache befaßt, oder? Ich werde natürlich nicht in Einzelheiten gehen, sondern lediglich andeuten, daß es noch Gebiete gibt, in die hineinzuknien es sich lohnt. Ich werde ein Meisterstückchen an Selbstbeherrschung liefern, und dann wird sich schon zeigen, ob man damit bessere Resultate erzielt.«
»Und ich soll hinkommen, sagen Sie?«
»Natürlich kommen Sie«, sagte der Professor.
Er war in seiner Freundlichkeit genauso überwältigend wie in seiner Grobheit. Sein wohlwollendes Lächeln, bei dem die Backen wie zwei rote Apfel anschwollen, tat mir richtig gut.
»Sie müssen sogar kommen«, fuhr er fort. »Die Gewißheit, wenigstens einen Verbündeten im Saal zu haben - und wenn er noch so unmaßgeblich ist und von der Sache keine Ahnung hat, wird für mich eine enorme Stütze sein. Ich nehme an, daß der Hörsaal gesteckt voll sein wird, denn dieser Waldron, in meinen Augen ein aufgeblasener Dummkopf, erfreut sich größter Beliebtheit.
So, Mr. Malone, jetzt habe ich Ihnen mehr von meiner Zeit gewidmet als ursprünglich beabsichtigt. Ein einzelner Mensch darf nicht beanspruchen, was der ganzen Welt gehört. Ich würde mich freuen, Sie heute abend im Hörsaal zu sehen. Und in der Zwischenzeit vergessen Sie gefälligst nicht, daß nichts von dem veröffentlicht werden darf, was ich Ihnen erzählt habe.«
»Aber Mr. McArdle, mein Chef, wird wissen wollen . . .«
»Erfinden Sie etwas«, fiel mir der Professor ins Wort. »Sie können ihm ja sagen, daß ich ihn mit der Reitpeitsche vertrimme, wenn er mir noch einmal jemanden auf den Hals hetzt. Aber Sie allein mache ich dafür verantwortlich, daß nichts von diesen Dingen gedruckt wird. Also dann, um acht Uhr dreißig im Zoologischen Institut.«
Damit hatte er mich endgültig hinauskomplimentiert.
Durch meinen ersten Zusammenprall mit dem Professor physisch und durch das folgende Gespräch geistig geschockt, stand ich wieder auf der Straße und überlegte. Vom Standpunkt des Journalisten aus konnte ich meine Unterredung mit Professor Challenger nicht als Erfolgserlebnis verbuchen. Ohne seine Einwilligung zur Veröffentlichung war die Information, die ich bekommen hatte, nicht das geringste wert.
An der Ecke stand ein Taxi. Ich stieg ein und fuhr in die Redaktion. McArdle war wie immer auf dem Posten.
Читать дальше