…bis Pallis sah, daß ein Speer parabelförmig über eine Platte flog und traf. Er bohrte sich durch die Schulter eines Bergmanns. Der Mann starrte auf die blutige Spitze, die aus einem Muskel herausragte, packte sie mit einer Hand und begann zu schreien.
Das führerlose Flugobjekt schmierte ab.
Die restliche Besatzung des Fahrzeugs stieß laute Rufe aus und versuchte, an die Steuerung zu gelangen; doch innerhalb weniger Sekunden hatte sich die taumelnde Platte dem Deck schon auf knapp einen Meter genähert. Wutschnaubend kämpften sich Besatzungsmitglieder des Floßes zu dem Fahrzeug durch. Hundert Hände ergriffen seinen Rand, und die Dampfdüsen wurden spotzend abgewürgt. Mit Geschrei wurden die Mineure von der Platte gerissen und unter den wirbelnden Armen der Floßbesatzung begraben.
Dann stand die Baumflotte vielleicht ein Dutzend Meter über dem Rand des Floßes und wurde zum erstenmal von den Kombattanten bemerkt. Jubel brandete durch die chaotischen Stellungen der Verteidiger. Die Mineure drehten die Köpfe und erstarrten. Pallis empfand einen atavistischen Stolz bei der Vorstellung, wie dieses Gebirge aus Holz und Blättern auf die einfachen Bewohner des Gürtels wirken mußte.
Pallis wandte sich Nead zu. »Es ist gleich soweit«, murmelte er. »Bist du bereit?«
Nead stand bei dem Baumstumpf und hielt einen Molotowcocktail in der Hand. Er zündete mit einem improvisierten Zündholz den Docht an und hielt die brennende Lunte vors Gesicht. Der Haß verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen. »O ja, ich bin bereit«, meldete er.
Scham überkam Pallis.
Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Schlachtfeld zu. »Gut, Kumpel«, sagte er knapp. »Auf mein Kommando. Denk dran: wenn du keinen Bergmann erwischen kannst, drücke die Lunte aus. Wir wollen schließlich nicht unsere eigenen Leute bombardieren.« Als der Baum wie ein Schatten über das Schlachtfeld glitt, sah er Gesichter wie angesengte Sonnenblumen nach oben blicken. Das nächste Plattenfahrzeug war nur ein paar Meter entfernt. »Drei… Zwei…«
Pallis!
Pallis ruckte herum. Einer der anderen Piloten stand balancierend auf seinem Baumstamm und formte mit den Händen ein Megaphon. Er drehte sich um und zeigte in den Himmel. Mindestens zwei weitere Minenfahrzeuge flogen über ihm, und ihre zerklüfteten Kanten hoben sich gegen den Himmel ab. Blinzelnd konnte Pallis Mineure erkennen, die ihn, glitzerndes Glas in den Händen, von oben angrinsten. Sie versuchten eindeutig, über die Bäume zu gelangen.
»Verdammt.«
»Was sollen wir tun, Pallis?«
»Wir haben sie unterschätzt. Sie haben uns drangekriegt, einen Hinterhalt gelegt. Verdammt. Komm, Kumpel, steh hier nicht rum. Wir müssen Höhe gewinnen, bevor sie über uns sind. Du befeuerst die Kessel am Rand, und ich kümmere mich um die am Stamm.«
Nead starrte die näherkommenden Mineure an, als ob er diese Ablenkung von den einfachen Wahrheiten des Kampfes auf der Plattform nicht akzeptieren könnte.
»Beweg dich!« schrie Pallis und schubste ihn an der Schulter.
Nead setzte sich in Bewegung.
Ein Rauchvorhang breitete sich unter den Bäumen aus und bedeckte das Schlachtfeld. Schließlich hoben die großen Räder vom Deck ab… aber die Minenfahrzeuge waren kleiner, schneller und viel wendiger. Mit Leichtigkeit bezogen sie über der Baumflotte Position.
Pallis ließ die Schultern hängen. Im Geiste sah er, wie ein Molotowcocktail die trockenen Äste seines Baumes traf. Das Laub würde wie Zunder brennen, die Struktur würde sich auflösen und das Deck mit einem Regen brennender Partikel überschütten…
Aber noch war er nicht tot. »Auseinander!« schrie er seinen Piloten zu. »Sie können uns nicht alle erwischen.«
Die Formation löste sich in bedächtig wirkender Langsamkeit auf. Die beiden Minenfahrzeuge trennten sich und nahmen einzeln die Jagd auf die Bäume auf. Einer davon war der von Pallis.
Als die Platte in den Sinkflug überging, konnte der Baumpilot dem Bergmann über ihm in die Augen sehen. Nead trat dicht an Pallis heran. Pallis streckte eine Hand aus, fand Neads Schulter und drückte sie fest…
Dann wurde der Baum von einer kalten Windbö durchgeschüttelt, und ein Schatten schwebte über sein Gesicht, schockierend und unerwartet. Eine große Gestalt flog an dem Stern über dem Floß vorbei.
»Ein Wal…« Pallis’ Kiefer klappte nach unten. Das Her befand sich nicht mehr als hundert Meter über dem Deck des Flosses; von einer so dichten Annäherung eines Wals hatte er noch nie zuvor gehört.
Als die Bergleute, die Pallis gerade angriffen, die große und durchscheinende Fläche nur ein paar Meter über sich sahen, schrien sie in Panik auf und rissen an ihren Steuerungen. Die Platte wackelte, drehte sich um 360 Grad und schoß davon.
Verwirrt wandte sich Pallis wieder dem Kampf auf der Plattform zu. Der wolkige Schatten des Wals legte sich über winzige, herumwuselnde Menschen, die ihre Waffen wegwarfen und flohen. Das übriggebliebene Fahrzeug der Mineure schraubte sich in die Luft und flog über den Rand des Floßes davon.
Außer den Toten und Verwundeten war die Plattform bald verlassen. Feuer flackerten unstet in einem Dutzend Trümmerhaufen.
»Ist es endlich vorbei?« schluchzte Nead.
»Die Invasion? Ja, Kumpel, die ist vorbei. Zumindest für dieses Mal… Dank dieses Wunders.« Er schaute zu dem Wal hoch und stellte sich die Konfusion vor, die entstanden sein mußte, als die Leute in den Straßen und Fabriken des Floßes dieses Monster am Himmel gesehen hatten. »Die Bergleute werden wiederkommen. Oder aber«, ergänzte er düster, »wir werden mal bei ihnen vorbeischauen müssen…«
Es verschlug ihm die Stimme.
Da hing, an den Bauch des Wals geklammert, ein Mensch und winkte schwach.
Als der Angriff der Mineure begann, hatte sich Gover der Menge angeschlossen, die über die von der Plattform hinunterführende Treppe flüchtete, und seine Fäuste und Ellbogen eingesetzt, um den Glassplittern, den Schreien und dem Feuer zu entkommen. So plötzlich, wie er begonnen hatte, war der Kampf auch vorbei. Gover kam aus seinem Bunker unter der Plattform hervorgekrochen und kletterte vorsichtig wieder die Treppe hinauf.
Ängstlich überflog er die brennenden Unterstände und die angekohlten Leichen… und dann sah er Decker. Der große Mann inspizierte die Verwüstung, leistete Erste Hilfe und trat gegen die versengten Überreste eines Bucheinbands. Seine Bewegungen waren die eines in Frustration und Zorn gefangenen Mannes.
Jedoch war er offensichtlich viel zu beschäftigt gewesen, um mitzubekommen, daß sich Gover während des Kampfes etwas rar gemacht hatte. Voller Erleichterung eilte Gover auf Decker zu, wollte, daß von ihm Notiz genommen wurde. Unter seinen Füßen knirschten Glasscherben.
Ein Schatten schwebte über dem verwüsteten Deck. Gover hielt inne, verrenkte den Hals und schaute nach oben.
Ein Wal! Und er trieb nicht mehr als hundert Meter über dem Floß, wie ein großer, transparenter Ballon. Was, zum Teufel, ging da vor? In seinem agilen Verstand überschlugen sich die Spekulationen. Er hatte Geschichten gehört, daß man den Walen Fallen stellen und sie jagen konnte. Vielleicht konnte er Decker dazu bewegen, ein paar von diesen saublöden Baum-Piloten hinaufzuschicken; dabei sah er sich im Geiste schon auf der Kante eines Baumes stehen und seine Brandbomben in das große, glotzende Auge werfen…
Jemand packte ihn am Arm. »Mach Platz, verdammt!«
Zwei Männer wollten an ihm vorbei. Sie schleppten eine Frau mit verbranntem Gesicht mit sich, die schrie und weinte. Gover fühlte sich belästigt und wollte die beiden Männer anschnauzen sie gehörten nicht einmal zum Komitee… doch irgendwie veranlaßte ihn die erschöpfte Anspannung in ihren Gesichtern, zur Seite zu treten.
Er schaute wieder nach oben und registrierte ohne Interesse, daß sich ein Baum auf den Wal zubewegte — und da bemerkte er einen dunklen Punkt auf der Haut des Wals. Er blinzelte, um gegen das fast direkt einfallende Sternenlicht etwas erkennen zu können.
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