Insgeheim fragte sich Silvia, ob Jack je ein Verhältnis gehabt hatte. Es erschien ihr nicht sehr wahrscheinlich. Sie fragte sich, wie sich wohl fühlen würde, wenn es doch der Fall wäre und sie es herausfände - wäre es das Ende ihrer Ehe? Ja, dachte sie. Ich würde mir sofort einen Anwalt nehmen. Oder nicht? Man konnte es nicht voraussagen ...
»Wie kommst du mit deinem Schwiegervater aus?« wollte June wissen.
»Oh, nicht schlecht. Er und Jack und der Steiner-Junge sind heute irgendwohin geflogen, rein geschäftlich. Ich sehe eigentlich nicht viel von Leo; er ist hauptsächlich seiner Geschäfte wegen ... June, wie viele Affären hast du schon gehabt?«
»Sechs«, sagte June Henessy.
»Herrje«, sagte Silvia. »Und ich noch keine einzige.«
»Manche Frauen sind eben nicht dazu geschaffen.«
Das klang Silvia nach einer sehr persönlichen, wenn nicht gar anatomischen Beleidigung. »Wie meinst du das?«
»Psychologisch nicht geeignet«, erklärte June leichthin. »Nur ein bestimmter Frauentyp kann Tag für Tag eine komplexe Fiktion erschaffen und aufrechterhalten. Ich habe Spaß daran, mir immer etwas Neues einfallen zu lassen, was ich Mike erzählen kann. Du bist da anders. Du hast eher ein schlichtes, geradliniges Gemüt; Schwindeleien sind nicht dein Fall. Überhaupt, du hast doch einen netten Mann.« Sie unterstrich die Glaubwürdigkeit ihres Urteils, indem sie die Augenbrauen hochzog.
»Jack war früher immer die ganze Woche weg«, sagte Silvia. »Damals hätte ich mir einen nehmen sollen. Jetzt wäre es erheblich schwieriger.« Sie wünschte inbrünstig, daß sie etwas Schöpferisches, Nützliches oder Aufregendes zu tun hätte, was ihr die langen leeren Nachmittage vertrieb; es langweilte sie zu Tode, Stunde für Stunde in der Küche einer anderen Frau zu sitzen und Kaffee zu trinken. Kein Wunder, daß so viele Frauen Affären hatten. Entweder das oder verrückt werden.
»Wenn deine emotionalen Erfahrungen sich allein auf deinen Mann beschränken«, sagte June Henessy, »fehlt dir jede Basis für ein gesundes Urteil; du bist mehr oder weniger auf das angewiesen, was er zu bieten hat, aber wenn du mit anderen Männern im Bett warst, kannst du besser sagen, wo es bei deinem Mann fehlt, und es ist dir eher möglich, ihn objektiv zu sehen. Und du kannst darauf bestehen, daß er an sich ändert, was geändert werden muß. Und was dich selbst angeht, so findest du deine eigenen Schwächen heraus und lernst bei den anderen Männern, dich zu vervollkommnen, so daß du deinen Mann besser befriedigen kannst. Ich sehe nicht, daß dabei jemand zu kurz kommt.«
So gesehen klang es gewiß nach einer wirklich gesunden Angelegenheit für alle Beteiligten. Selbst der Ehemann profitierte davon.
Während Silvia an ihrem Kaffee nippte und darüber nachsann, schaute sie aus dem Fenster und sah zu ihrem Erstaunen einen Hubschrauber landen. »Wer ist denn das?« fragte sie June.
»Um Himmels willen, ich habe keine Ahnung«, sagte June und blickte hinaus.
Der Hubschrauber rollte bis dicht ans Haus heran und blieb stehen; die Tür öffnete sich, und ein dunkelhaariger, gutaussehender Mann in einem hellen Nylonhemd mit Schlips, langer Hose und modischen europäischen Halbschuhen stieg heraus. Hinterdrein kam ein Bleichmann, der zwei schwere Koffer schleppte.
Silvia Bohlen spürte, wie ihr das Herz flatterte, als sie sah, wie der Dunkelhaarige auf das Haus zuschlenderte, gefolgt vom Bleichmann mit den Koffern. So hatte sie sich immer Junes Tony vorgestellt.
»Du meine Güte«, sagte June. »Ich möchte wissen, wer das ist. Ein Vertreter?« Es klopfte ein paarmal an der Haustür, und June ging hin, um zu öffnen. Silvia setzte ihre Tasse ab und folgte ihr. An der Tür blieb June stehen. »Ich fühle mich irgendwie - nicht richtig angezogen.« Nervös griff sie an ihre Shorts. »Sprich du mit ihm, während ich kurz ins Schlafzimmer husche und mich umziehe. Ich habe nicht damit gerechnet, daß ein Fremder vorbeikommt; weißt du, wir müssen vorsichtig sein, wir sind hier weitab vom Schuß, und unsere Männer sind nicht da ...« Mit wehenden Haaren eilte sie ins Schlafzimmer davon.
Silvia öffnete die Tür.
»Guten Tag«, sagte der gutaussehende Mann mit einem Lächeln, das eine Reihe perfekt weißer südländischer Zähne enthüllte. Er hatte einen leichten Akzent. »Sind Sie die Dame des Hauses?«
»Ich denke doch«, sagte Silvia ängstlich, und ihr war mulmig zumute; sie sah an sich hinunter und fragte sich, ob sie sittsam genug angezogen war, um hier draußen mit diesem Mann zu sprechen.
»Ich möchte Ihnen gern eine Palette auserlesener Naturkostprodukte vorstellen, von denen Sie vielleicht schon gehört haben«, sagte der Mann. Er wandte den Blick nicht von ihrem Gesicht ab, und dennoch hatte Silvia das deutliche Gefühl, als gelänge es ihm, gleichzeitig jede Nuance ihres restlichen Körpers zu begutachten. Ihr Selbstbewußtsein stieg, und sie nahm es ihm nicht übel; der Mann hatte eine charmante Art, schüchtern und dabei auf merkwürdige Weise geradeheraus.
»Naturkost«, murmelte sie. »Nun ja, ich ...«
Der Mann nickte, und sein Bleichmann trat heran, legte einen Koffer auf den Boden und öffnete ihn. Körbe, Flaschen, Päckchen ... das interessierte sie alles sehr.
»Nicht homogenisierte Erdnußbutter«, erklärte der Mann. »Außerdem Diätsüßigkeiten ohne Kalorien, damit Ihnen die hinreißende Figur erhalten bleibt. Weizenkeime. Hefe. Vitamin E; das ist das Vitamin der Vitalität ... aber für eine junge Frau wie Sie natürlich nicht ganz das Richtige.« Seine Stimme säuselte weiter, während er einen Posten nach dem anderen anpries; sie stellte fest, daß sie neben ihm kniete, so dicht bei ihm, daß sich ihre Schultern berührten. Das erschreckte sie, und sie rückte schnell ab.
An der Tür tauchte einen Moment lang June auf, jetzt mit Rock und Wollpullover bekleidet; sie blieb kurz stehen, zog sich dann ins Haus zurück und schloß die Tür. Der Mann hatte sie gar nicht bemerkt.
»Außerdem«, sagte er, »haben wir noch ein breites Angebot für Feinschmecker, an dem das Fräulein vielleicht interessiert ist - hier.« Er hielt ein Glas hoch. Ihr stockte der Atem: Das war Kaviar.
»Großer Gott«, sagte sie ganz verzückt. »Woher haben Sie das?«
»Teuer, aber es lohnt sich.« Die Augen des dunklen Mannes bohrten sich in ihre. »Finden Sie nicht auch? Erinnerungen an die Zeit zu Hause, sanfter Kerzenschein und Tanzmusik von einem Orchester ... wilde Romanzen an wechselnden Orten, ein Genuß für Auge und Ohr.« Er lächelte sie lange und ungeniert an.
Schwarzmarkt, wurde ihr klar.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sagte: »Sehen Sie, das hier ist nicht mein Haus. Ich wohne ungefähr eine Meile weiter unten am Kanal.« Sie wies in die Richtung. »Ich - bin sehr interessiert.«
Das Lächeln des Mannes versengte sie.
»Sie sind zum ersten Mal in dieser Gegend, stimmt's?« sagte sie nun stotternd, regelrecht verwirrt. »Ich habe Sie noch nie hier gesehen. Wie heißen Sie? Ich meine, wie nennt sich Ihre Firma?«
»Ich heiße Otto Zitte.« Er überreichte ihr eine Karte, die sie kaum ansah; sie konnte den Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. »Meine Firma besteht schon lange, ist aber erst kürzlich - aufgrund unvorhersehbarer Umstände - völlig umorganisiert worden, so daß ich nun in der Lage bin, neue Kunden selbst zu begrüßen. Solche wie Sie.«
»Kommen sie rüber?«
»Ja, etwas später am Nachmittag ... dann können wir in aller Ruhe ein verblüffendes Angebot an Importwaren durchgehen, für die ich den Exklusivvertrieb habe.« Er erhob sich katzengleich.
June Henessy war wieder aufgetaucht. »Hallo«, sagte sie mit leisem, vorsichtigem Interesse.
»Meine Karte.« Otto Zitte hielt ihr das weiße Rechteck mit Prägeschrift hin. Nun hatten beide Damen seine Karte; jede las ihre aufmerksam.
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