»Dir und dem Gentleman, der das Red Fox leitet.«
»Ich bin einfach nur beinharter Realist. Wir kämpfen um unser Leben; wir müssen die Leute dazu bringen, hierher auszuwandern, sonst sind wir verratzt, Anne. Das weißt du. Wenn es Camp B-G nicht gäbe, dann könnten wir damit werben, daß es fernab der Wasserstoffbombentests und der vergifteten Atmosphäre auf der Erde keine abnormen Geburten gibt. Ich hatte gehofft, das durchsetzen zu können, aber das B-G verhindert es.«
»Nicht das B-G. Die Geburten selbst.«
»Niemand wäre in der Lage, das nachzuprüfen und auf unsere abnormen Geburten hinzuweisen«, sagte Arnie, »wenn es B-G nicht gäbe.«
»Das würdest du sagen, obwohl du weißt, daß es nicht stimmt, wenn du nur damit durchkämst? Denen zu Hause erzählen, daß sie hier sicherer sind?«
»Klar.« Er nickte.
»Das ist - unmoralisch.«
»Nein. Hör zu. Du bist unmoralisch, du und diese anderen Damen. Daß ihr Camp B-G geöffnet haltet, führt doch nur dazu ...«
»Streiten wir nicht, wir einigen uns ja doch nie. Laß uns essen, und dann fliegst du nach Lewistown zurück. Ich ertrag's nicht mehr.«
Schweigend aßen sie.
*
Dr. Milton Glaub, Mitglied des Psychiaterpools von Camp B-G, von der Gildesiedlung der Interplanetaren Trucker freigestellt, saß nach Erledigung seines heutigen Tagespensums im B-G wieder allein in seinem Sprechzimmer. Er hielt eine Rechnung für Dachreparaturen in Händen, die er im vorigen Monat an seinem Haus hatte durchführen lassen. Er hatte die Arbeiten vor sich hergeschoben - sie erforderten einen Planierpflug, der verhinderte, daß der Sand sich auftürmte -, aber schließlich hatte ihm der Gebäudeinspektor der Siedlung einen Zwangsenteignungsbescheid zugestellt, der ihm noch dreißig Tage ließ. Also hatte er sich mit der Dachdeckergilde in Verbindung gesetzt, wohl wissend, daß er nicht bezahlen konnte; aber er hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Er war pleite. Das war für ihn bisher der schlimmste Monat gewesen.
Wenn nur seine Frau Jean weniger Geld ausgäbe. Aber auch das wäre keine Lösung gewesen; die einzige Lösung bestand darin, mehr Patienten zu bekommen. Die GIT bezahlte ihm ein monatliches Gehalt, aber für jeden Patienten erhielt er noch einen Extrabonus von fünfzig Dollar: Leistungsanreiz nannten sie das. In Wirklichkeit bedeutete es den Unterschied zwischen Verschuldung und Zahlungsfähigkeit. Niemand, der Frau und Kind hatte, konnte von dem Gehalt leben, das Psychiater bezogen, und die GIT, das wußte jeder, war besonders knauserig.
Trotzdem blieb Dr. Glaub weiterhin in der GIT-Siedlung; es handelte sich um eine geordnete Gemeinschaft, in vieler Hinsicht jener auf der Erde ähnlich. Neu-Israel hatte, wie die anderen staatlichen Siedlungen auch, eher eine geladene, explosive Atmosphäre.
Übrigens hatte Dr. Glaub schon einmal in einer staatlichen Siedlung gelebt, der Vereinigten Arabischen Republik, einer besonders feudalen Gegend, in der es gelungen war, viele von zu Hause importierte Pflanzen ansässig zu machen. Aber die ständigen Feindseligkeiten der Siedlung gegenüber den Nachbarkolonien hatten ihn zunächst irritiert und dann entsetzt. Die Männer grübelten bei ihrer täglichen Arbeit über begangenes Unrecht nach. Die liebeswürdigste Person konnte, auf bestimmte Themen angesprochen, explodieren. Und nachts nahmen die Feindseligkeiten konkrete Formen an; die staatlichen Kolonien lebten für die Nacht. Dann wurden die Forschungslabors, die tagsüber Schauplatz wissenschaftlicher Versuche und Entwicklungen waren, für die Öffentlichkeit geöffnet, und man schleppte Höllenmaschinen heraus - das alles geschah mit großer Aufregung und heller Freude, und natürlich aus Nationalstolz.
Zum Teufel mit ihnen, dachte Dr. Glaub. Sie vergeudeten ihr Leben; sie hatten einfach die alten Streitereien von der Erde mit herübergebracht - und den Zweck der Kolonisierung vergessen. Erst heute morgen hatte er zum Beispiel in der UN-Zeitung von einem Aufruhr in den Straßen der Elektriker-Siedlung gelesen; der Zeitungsbericht ließ durchblicken, daß die nahegelegene italienische Siedlung dafür verantwortlich sei, weil einige Unruhestifter diesen langen pomadisierten Schnurrbart getragen hatten, der in der italienischen Kolonie so beliebt war ...
Ein Klopfen an der Sprechzimmertür riß ihn aus seinen Gedanken. »Ja«, sagte er und schob die Rechnung über die Dachreparatur in eine Schublade.
»Bist du für Gildebruder Purdy zu sprechen?« fragte seine Frau, als sie die Tür berufsmäßig öffnete, so wie er es ihr beigebracht hatte.
»Schick Gildebruder Purdy herein«, sagte Dr. Glaub. »Wart aber ein paar Minuten damit, ich muß erst noch seine Fallgeschichte überfliegen.«
»Hast du schon zu Mittag gegessen?« fragte Jean.
»Natürlich. Jeder ißt zu Mittag.«
»Du siehst blaß aus«, sagte sie.
Das ist schlecht, dachte Dr. Glaub. Er ging vom Sprechzimmer ins Bad, wo er sorgfältig sein Gesicht mit dem karamelfarbenen Puder, der gerade in Mode war, dunkler tönte. Es verbesserte sein Aussehen, aber nicht seine geistige Verfassung. Die Theorie hinter dem Puder war die, daß die herrschenden Kreise in der GIT spanischer und puertoricanischer Herkunft waren und es sie einschüchtern könnte, wenn ein Lohnarbeiter hellere Haut hatte als sie selbst. Die Werbung drückte es natürlich anders aus; die Werbung wies die Lohnarbeiter in der Siedlung lediglich darauf hin, daß »das Marsklima dazu neigt, den natürlichen Hautton zu einem unansehnlichen Weiß auszubleichen«.
Jetzt wurde es Zeit, sich seinem Patienten zu widmen.
»Guten Tag, Gildebruder Purdy.«
»Tag, Doc.«
»Ich sehe in Ihrer Akte, daß Sie Bäcker sind.«
»Ja, stimmt.«
Pause. »Weshalb wünschen Sie meinen Rat?«
Gildebruder Purdy starrte zu Boden und nestelte an seiner Mütze herum, während er sagte: »Ich bin noch nie bei einem Psychiater gewesen.«
»Nein, ich kann hieraus entnehmen, daß das stimmt.«
»Da ist diese Party, die mein Schwager gibt ... mir liegt nichts daran, auf Parties zu gehen.«
»Müssen Sie denn hingehen?« Dr. Glaub hatte unauffällig die Uhr auf dem Schreibtisch gestellt; sie tickte die halbe Stunde herunter, die dem Gildebruder zustand.
»Die geben sie eigentlich für mich. Sie ... äh ... wollen, daß ich meinen Neffen als Lehrling nehme, damit er dann später in der Gilde ist.«
Purdy sprach leiernd weiter: »... und ich habe nachts wach gelegen und überlegt, wie ich da wieder rauskomme
- ich meine, es sind meine Verwandten, und ich kann wohl schlecht ankommen und nein sagen. Aber ich kann einfach nicht hingehen, dazu fühle ich mich nicht gut genug. Und darum bin ich jetzt hier.«
»Verstehe«, sagte Dr. Glaub. »Also, dann erzählen Sie mir mal Näheres über die Party, wann und wo sie stattfinden soll, die Namen der beteiligten Personen, damit ich alles perfekt erledigen kann, wenn ich dort bin.«
Erleichtert kramte Purdy in seiner Manteltasche und brachte ein sauber getipptes Dokument zum Vorschein. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, daß Sie an meiner Stelle gehen wollen, Doc. Ihr Psychiater nehmt einem eine ungeheure Last ab; ich scherze nicht, wenn ich sage, daß ich deswegen schon schlaflose Nächte hatte.« Er staunte den Mann vor ihm in dankbarer Ehrfurcht an, diesen Mann, der sich auf sozialen Umgang verstand, der fähig war, auf dem schmalen, gefährlichen Grat der vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen zu wandeln, auf dem im Laufe der Jahre so viele Gildemitglieder gescheitert waren.
»Zerbrechen Sie sich darüber nicht weiter den Kopf«, sagte Dr. Glaub. Schließlich, dachte er, was ist schon eine kleine Schizophrenie? Das ist es nämlich, was dir fehlt, weißt du? Ich befreie dich von deinem gesellschaftlichen Druck, und du kannst weiter in deinem chronischen Zustand unzureichender Anpassung verharren, wenigstens ein paar Monate lang. Bis die Gesellschaft wieder mit einer dramatischen Forderung an dich herantritt, die deine begrenzten Fähigkeiten übersteigt ...
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