Dann wendete er sich wieder tapfer dem Telephon zu und brachte seine Werbesprüche an, wenn der Gründer neuen Atem schöpfte.
»Start perfekt, Wiedereintritt perfekt, alles so, wie ich mir das bisher nur erträumen konnte. Bis morgen abend, wenn Sie das Krankenhaus verlassen können, bin ich so weit, daß ich … Tatsächlich bereite ich für heute nachmittag bereits ein Experiment mit größeren Organmassen vor. Ich habe mich bereits erkundigt, wo ich ein Schaf herbekommen kann. Leider sind die Bauernhöfe in der Nachbarschaft wegen Seuchengefahr nicht in der Lage, uns das Gewünschte gegen Barzahlung zu … Wie bitte, Gründer?«
Selbst Liza hatte die beiden Worte gehört, denn der Gründer hatte sehr deutlich gesprochen.
»Es stehlen? Nun, sicher, natürlich – wenn Sie das sagen. Ja, ich weiß, sie weiden entlang unserer Nordgrenze …« Der Professor zappelte mit der Hand, die nicht den Hörer hielt. »Ich würde – ich würde vorschlagen, Sie geben Sergeant Cole die nötige Vollmacht. Oder vielleicht könnte der Projektleiter …«
Wieder bellte der Gründer ein paar deutliche Worte.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Gründer. Ich werde …« Es klickte in der Leitung. Der Professor legte den Hörer auf. »Emmanuel hat so einen klaren, praktischen Verstand«, sagte der Professor in die Stille hinein. »Ich wäre auf so etwas nie gekommen. Nicht in hundert Jahren.«
Ein paar Minuten später sah Liza eine Gruppe von Sicherheitsbeamten am Laborfenster vorbeimarschieren. Sie lachten, während einer von ihnen ein Seil wie ein Lasso schwenkte und ein anderer einen großen Kescher über die Schulter warf, wie man ihn früher zum Einholen eines besonders großen Hechtes verwendete. Das sorglose Getue mit dem Gerät stand im Widerspruch zu dem Gelächter. Es hatte einen nervösen Unterton.
Im Dorf verlief der Werktag wie immer. Die Kinder kamen um elf Uhr zur großen Pause aus der Schule auf die Dorfwiese und tollten übermütig herum. Joseph Engels, der wegen der Quarantänebestimmungen auf seine tägliche Zeitung verzichten mußte, nahm seinen Photoapparat aus dem Schrank und knipste die Szenen vom Katastrophenalarm und Volkstumulten auf dem Schirm seines Fernsehgerätes. Paul Kronheimer verzählte sich bei neuntausenddreihundertundvierzig Pfund (neue Währung) und mußte wieder von vorn anfangen. Die Chrononauten saßen bedrückt vor den leeren Fernsehschirmen, weil die Universität wegen des nationalen Notstandes ihre Fernkurs-Sendungen unterbrochen hatte. David Silberstein wechselte in seinem Büro ständig den Sender, weil auf allen Kanälen Mrs. Lampton ihre Volksreden hielt.
Der Anmarsch der Flotte von St. Kinnow war natürlich längst elektronisch erfaßt worden, seit sie in das Wasser von Penheniot Pill eingedrungen war. Doch ein Junge aus der zweiten Klasse, der sich auf dem Dorfrasen tummelte, war der erste, der sie wirklich zu Gesicht bekam. Er deutete aufgeregt, und seine Kameraden blickten alle in die Richtung, wohin er deutete. Ausflugsboote, Fährboote, Motorboote und selbst Scooter hielten auf den Dorfkai zu, alle voll bis zum Kragen mit Leuten und Plakaten. Besonders mit Plakaten, die natürlich ausnahmslos Sprüche gegen Penheniot enthielten.
Und dann deutete wieder einer auf das Bootshaus am Strand, wo sich ebenfalls etwas Aufregendes tat. Die Vorderseite des Hauses öffnete sich, und das Rettungsboot wurde klargemacht. Ein paar Laserkanonen tauchten urplötzlich aus ihrer Betonversenkung auf, und darunter war auch etwas, das einem Flammenwerfer sehr ähnlich sah. Ein Kontingent von fünfzig Sicherheitsleuten, alle bis zu den Zähnen bewaffnet, kam in Reihen aus einem Haus herausmarschiert und stellte sich in einer langen Kette auf dem Kai und am Strand auf. Wenn es eine Zugbrücke gegeben hätte, hätte man jetzt das Rasseln der Ketten hören können.
Die Armada hielt plötzlich an. Nicht die Angst vor den aufgestellten Sicherheitsleuten, sondern irgendein verabredetes Signal schien sie zu diesem Schritt zu bewegen. Ein etwas größeres Schiff, das die Flagge des Hafenmeisters von St. Kinnow gesetzt hatte, kreuzte vor den übrigen Booten. Auf der Brücke stand ein Herr mit stahlgefaßter Brille und grauem Anzug und sprach laut und deutlich über ein weittragendes Lautsprechersystem (Brillen waren schon vor acht Jahren durch eine Erfindung der Chirurgie überflüssig geworden):
»Guten Morgen«, sagte er, »guten Morgen, Penheniot. Hier spricht Narsius Harlien.« Er räusperte sich. Das Mikrophon war ihm zu Kopf gestiegen. Jetzt machte er eine ernsthafte Anstrengung, nicht mehr im Tonfall eines amerikanischen Präsidenten zu sprechen. Doch leider war das Drehbuch stärker als er. »Ich vertrete hier den Minister für moralische Verantwortlichkeit. Als persönlicher Referent des Ministers unternehme ich eine Besichtigungstour, um alle wissenschaftlichen Einrichtungen im Erholungsgebiet zu überprüfen …«
Sergeant Cole hob den Telephonhörer ab und rief David Silberstein an. Doch das war gar nicht nötig. Narsius Harliens verstärkte Stimme war auch im Büro von David Silberstein ausgezeichnet zu verstehen. Der Minister für moralische Verantwortlichkeit – das war ein neuer Stuhl im Kabinett. Was den Minister betraf, brauchte David nicht lange zu raten, wer diesen Sessel bekommen hatte. Er hätte sich eben doch die Volksreden von Mrs. Lampton auf den drei Kanälen anhören sollen. Mrs. Lamptons Ernennung zum Minister war die typische Geste einer Regierung, die sich das Heft aus der Hand nehmen ließ. Sie versuchte, versöhnlich zu sein, wo versöhnliche Gesten schon längst überholt waren. David Silberstein erhob sich seufzend vom Schreibtisch und ging die Fore Street hinunter. Narsius Harliens Stimme war überall, wie die Stimme Gottes …
»… und unter besonderer Vollmacht der Notstandsverfassung bin ich beauftragt, die Einrichtungen von Penheniot sofort zu inspizieren. Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Fall Roses Varco. Im Namen der Öffentlichkeit und der demokratischen Grundrechte verlange ich eine Untersuchung …« Laute Zurufe und Applaus hinter ihm von der Armada, die der Bevollmächtigte mit gnädiger Hand beruhigte. »Ich möchte betonen, daß die guten Leute, die mich begleitet haben, aus freien Stücken gekommen sind. Ich bin nicht gekommen, um jemand einzuschüchtern, sondern erfülle nur meinen Auftrag als Mitglied der Regierung Seiner Majestät.«
»Privater Anlegeplatz, mein Junge«, unterbrach jetzt Sergeant Coles Stellvertreter den Referenten der Ministerin. Der Mann war für seinen Posten ausgesucht worden, weil er eine so joviale fette Stimme hatte. »Wollen Sie nicht mit Ihrem Kahn ein Stück weiter flußaufwärts fahren?«
»Eben nicht, guter Mann. Ich bin nicht gekommen, um jemand einzuschüchtern. Ich habe aber auch nicht die Absicht, mich einschüchtern zu lassen. Als Stellvertreter des Ministers für …«
»Sie verstopfen nämlich das Hafenbecken, verstehen Sie?« Operation 3a aus dem Handbuch der Sicherheitsvorschriften ging weiter. »Wir haben eine Menge Verkehr am Kai. Es wird viel verladen und entladen im Forschungszentrum. Deswegen haben wir auch überall Warnschilder angebracht.«
»Guter Mann. Ich habe keine Autorität über die Leute, die mich begleiten. Als eine Demonstration der öffentlichen Überzeugung finde ich diese Aktion sehr beeindruckend. Auch eine Genugtuung. Hingegen kann ich nicht …«
»Ich will ja nicht grob werden, mein Junge. Aber Sie verstoßen gegen öffentliche Vorschriften. Und in diesem Fall haben wir das Recht, jeden Verstoß gegen die öffentlichen Vorschriften zu ahnden.«
»Quatsch. Und zielen Sie nicht immer mit Ihrer Waffe in meine Richtung. Kraft meiner Vollmacht nach Paragraph vier, Absatz 7k, des Notstandsgesetzes …«
David war inzwischen auf dem Kai eingetroffen und nahm dem Hafenmeister das Mikrophon aus der Hand. Es gab Fälle, in denen die Operation 3a nicht mehr ausreichte.
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