„Mir ist, als hätte mir ein Pferd gegen die Brust getreten“, sagte ich. „Aber der Arzt sagte, es hätte schlimmer kommen können.“
„Ja, er sagte du seist ein Glückspilz. Er hat sich übrigens geradezu verliebt in dein Herz. Wenn es meines wäre, dann würde ich mich ein wenig unkomfortabel fühlen – so ganz hilflos, während er eine detaillierte Beschreibung deiner Abnormität …“
„Danke. Es freut mich wirklich sehr, daß du vorbeigekommen bist, um mich aufzumuntern. Möchtest du mir nun erzählen, was geschehen ist, oder muß ich mir eine Zeitung kaufen?“
„Ich wußte nicht, daß du es so eilig hast“, sagte er. „Also werde ich mich eben kurz fassen. Wir wurden alle angeschossen.“
„Ich verstehe. Und nun weniger kurz.“
„Also gut. Du hast den Mann mit der Waffe angesprungen …“
„Jamie. Ja. Weiter.“
„Er hat auf dich geschossen. Du fielst. Du kannst einen Haken hinter deinen Namen machen. Danach schoß er auf Paul.“
„Abgehakt.“
„Aber während Jamie mit dir beschäftigt war, hatte Paul sich teilweise von dem Plunder befreit, der auf ihn gefallen war. Er feuerte fast gleichzeitig auf Jamie. Er traf ihn.“
„Sie haben sich also gegenseitig angeschossen. Abgehakt.“
„Ich rannte auf den anderen Kerl zu, kurz nachdem du gesprungen warst.“
„Zeemeister. Ja.“
„Er hatte seine Waffe bereits in der Hand und feuerte. Der erste Schuß verfehlte mich, danach rangen wir eine Weile. Er ist verdammt stark.“
„Ich weiß. Wer war der nächste?“
„Ich bin nicht sicher. Mary zischte ein Querschläger um die Ohren, der sie am Kopf streifte. Mit seinem zweiten oder dritten Schuß – ich weiß es wirklich nicht mehr – erwischte er mich am Arm.“
„Zwei weitere Haken. Wer schoß auf Zeemeister?“
„Ein Polizist. Sie kamen zu diesem Zeitpunkt hereingestürzt.“
„Wie kamen die denn dorthin? Woher wußten sie, was los war?“
„Ich habe hinterher ihr Gespräch belauscht. Sie waren Paul gefolgt …“
„… der uns gefolgt war, ja?“
„Scheint so.“
„Ich hielt ihn für tot. Das stand in den Zeitungen.“
„Ich auch. Ich kenne die Geschichte immer noch nicht. Sein Zimmer wird bewacht, keiner sagt ein Wort.“
„Also ist er noch immer am Leben?“
„Nach allem, was ich gehört habe. Aber mehr konnte ich nicht herausfinden. Wir scheinen es alle geschafft zu haben.“
Ich dachte nach.
„Zu dumm – in doppelter Hinsicht. Halt. Moment. Doktor Drade sagte etwas von sieben Verletzten.“
„Ja. Eine ziemlich peinliche Angelegenheit. Einer der Polizisten schoß sich selbst in den Fuß.“
„Oh. Gut, damit haben wir alle Haken. Was noch?“
„Wie … was noch?“
„Konntest du noch etwas herausfinden? Zum Beispiel über den Stein?“
„Nee. Nichts. Du weißt genauso viel wie ich.“
„Zu dumm.“
Ich gähnte unbeherrscht. Nun schaute auch die Schwester herein.
„Ich muß Sie bitten zu gehen“, sagte sie. „Wir dürfen ihn nicht überfordern.“
„Ja, schon gut“, beruhigte er sie. „Ich gehe jetzt, Fred. Aber sobald sie mich lassen, komme ich dich wieder besuchen. Soll ich dir etwas mitbringen?“
„Ist irgendwelcher Sauerstoffkram hier im Zimmer?“
„Nein, das ist alles draußen.“
„Dann Zigaretten. Und sag ihnen, sie sollen das verdammte Schild abmachen. Ach, vergiß es. Ich werde es selbst tun. Entschuldige bitte. Kann einfach nicht aufhören. Sag Mary Grüße von mir. Ich hoffe, sie hat keine Kopfschmerzen mehr. Habe ich dir eigentlich schon von den Blumen erzählt, die sich als Wespen ausgeben?“
„Nein.“
„Es tut mir leid, Sie müssen jetzt gehen“, sagte die Krankenschwester.
„Schon gut.“
„Sag dieser Lady, daß sie keine Orchidee ist“, murmelte ich. „Auch wenn ich mir in ihrer Gegenwart wie eine Wespe vorkomme.“ Mit diesen Worten glitt ich wieder tiefer hinab in das sanfte, dunkle Schlafzentrum, wo alles viel einfacher ist. Das Bett wurde wieder heruntergeklappt.
Schlummer. Schlummer. Schlummer.
Helligkeit?
Helligkeit. Zudem Glitzern und Leuchten.
Ich hörte Geräusche in meinem Zimmer und öffnete die Augen gerade so weit, um erkennen zu können, daß es noch immer Tag war.
Noch immer?
Ich befragte mein Zeitgefühl. Ein Tag, eine Nacht und ein Teil des neuen Tages waren verstrichen. Ich hatte mehrere Mahlzeiten zu mir genommen, hatte mit Dr. Drake gesprochen und mich von den Internisten untersuchen lassen. Hal war auch wieder hiergewesen und hatte mir die gewünschten Zigaretten gebracht. Drade sagte mir, ich dürfe rauchen, aber gegen seinen Willen, also tat ich es. Danach hatte ich wieder geschlafen. Oh, ja, da hatten wir es …
Zwei Gestalten traten langsam in mein Gesichtsfeld. Das Räuspern, das ich hörte, gehörte Drade.
Dann, nach längerer Zeit: „Mister Cassidy, sind Sie wach?“ Er schien laut zu denken.
Ich gähnte und streckte mich, um den Eindruck zu erwecken, als sei ich eben erst wach geworden, während ich die Situation einschätzte. Neben Drade stand ein großes, ordentlich aussehendes Individuum. Der dunkle Anzug und die getönte Brille trugen nicht unerheblich zu diesem Eindruck bei. Ich unterdrückte einen Scherz über Totengräber, als ich den finster aussehenden Hund sah, den er an einer Leine mit sich führte. In der rechten Hand trug er einen schwer aussehenden Koffer.
„Ja“, antwortete ich, während ich nach den Kontrollen griff, die mich in eine sitzende Position brachten. „Was liegt an?“
„Wie fühlen Sie sich?“
„Ganz gut. Ja. Ausgeruht.“
„Gut. Die Polizei hat diesen Gentleman hergeschickt, der sich mit Ihnen über alles, was ihn interessiert, unterhalten wird. Er bat um eine ungestörte Unterredung, daher werden wir ein Schild an der Tür anbringen. Sein Name ist Nadler. Theodore Nadler. Ich werde Sie jetzt allein lassen.“
Er führte Nadler zu einem Besucherstuhl, sah zu, wie er sich setzte, verschwand dann und schloß die Tür hinter sich.
Ich trank einen Schluck Wasser, dann sah ich Nadler an.
„Was wollen Sie?“ fragte ich.
„Sie wissen sehr gut, was wir wollen.“
„Geben Sie doch eine Suchanzeige auf“, riet ich.
Er nahm seine Brille ab und grinste mich an.
„Lesen Sie doch welche. Etwa solche: ,Hilfe benötigt’.“
„Man sollte Sie ins diplomatische Korps versetzen“, sagte ich mit zuckersüßem Lächeln. Sein Grinsen gefror, während sein Gesicht rot anlief.
Als er seufzte, grinste ich.
„Wir wissen, daß Sie ihn nicht haben, Cassidy“, sagte er. „Ich will Sie auch nicht danach fragen.“
„Warum stoßen Sie mich dann so herum? Einfach so, aus Lust und Laune? Indem Sie mir den Doktortitel aufgezwungen haben, haben Sie mich wirklich fertiggemacht. Wenn ich irgend etwas hätte, was für Sie von Nutzen sein könnte, dann hätte es nun einen sehr hohen Preis.“
„Wie hoch?“ fragte er eine Spur zu rasch.
„Wofür?“
„Für Dienstleistungen.“
„Welcher Art?“
„Wir spielen mit dem Gedanken, Ihnen einen Job anzubieten, der Sie vielleicht interessiert. Wie würde es Ihnen denn gefallen, ein Spezialist für außerirdische Kulturen bei den Vereinten Nationen zu werden? Die Einstellungsbedingungen sehen einen Doktortitel in Anthropologie vor.“
„Wann wurden denn die Einstellungsbedingungen erstellt?“
Wieder lächelte er.
„Erst vor kurzem.“
„Ich verstehe. Und was für Aufgaben hätte ich?“
„Sie müßten sich mit einem speziellen Problem befassen und diesbezüglich Nachforschungen anstellen. Sie könnten sehr selbständig arbeiten.“
„Was für Nachforschungen?“
„Über das Verschwinden des Sternsteins.“
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