»Na ja, so genau kann ich das gar nicht sagen. Ich war selbst nämlich noch nie dabei.«
»Hm.« Dr. Wagner blickt fragend zu Daniel.
Der schüttelt den Kopf. »Ich leider auch nicht.«
»Aber woher wissen Sie dann, dass Herkules Krampfanfälle hat?«
»Es klingt jetzt wahrscheinlich ein bisschen seltsam, aber wir sind in den vergangenen fünf Tagen nun schon zweimal von Leuten auf diese Anfälle angesprochen worden. Das erste Mal brachte jemand Herkules vom Park zu uns nach Hause und berichtete uns davon. Na, und heute war es wieder das Gleiche: Ein Herr sprach uns im Park an und sagte, Herkules habe sich gestern vor ihm in Krämpfen gewunden und gejault, außerdem habe er Schaum vor der Schnauze gehabt. Der Herr fürchtete sogar, es könne Tollwut sein, weil Herkules auf einmal so anhänglich bei ihm war.«
Dr. Wagner lacht. »Also Tollwut ist es bestimmt nicht. In dem Stadium, in dem Krämpfe auftreten, ist das Tier schon so gut wie tot. Außerdem kann ich mich an keinen einzigen Tollwutfall bei Hunden in Deutschland erinnern, seit ich Tierarzt bin. Aber ich gebe Ihnen Recht, seltsam ist das natürlich schon.« Er dreht sich wieder zu mir um und krault mich unter dem Kinn. »Hm, anhänglich und sonderbar bist du also? Hat Herkules in letzter Zeit vielleicht irgendetwas Traumatisches erlebt, das ihn stark verunsichert haben könnte? Ich bin kein Tierpsychologe, aber so etwas kann ein Tier schon einmal im Verhalten beeinträchtigen. Sie sagten ja, er käme aus dem Tierheim. Vielleicht Verlustängste? Haben Sie ihn mal aus Versehen ausgesperrt oder so was?«
Carolin schaut betreten zu Boden. »Ich war vor kurzem ein bisschen krank.« Sie flüstert mehr, als sie spricht.
»Richtig, ich erinnere mich. Frau Bogner erwähnte es, als sie mit Herkules zur Nachuntersuchung kam.«
»Oh, hat sie das?« Carolin wird rot.
»Also, Sie meinen, dass Herkules möglicherweise darauf reagiert?«, will Daniel wissen. »Das ist echt interessant. Vielleicht macht er sich ja Sorgen um dich und will einen Beschützer für dich finden - immerhin hat er die Nummer bisher nur vor Männern abgezogen.«
Ertappt! Ich ziehe schuldbewusst den Schwanz ein.
Carolin funkelt Daniel böse an. »Ich glaube kaum, dass es da einen Zusammenhang gibt.«
»Mensch, Carolin, das war doch nur ein Scherz.«
Dann bin ich beruhigt! Es wäre mir doch sehr unangenehm, hier so aufzufliegen. Carolin fände das bestimmt nicht gut.
»Nun«, mischt sich Dr. Wagner ein, »so abwegig finde ich den Gedanken nicht. Hunde entwickeln für ihr soziales Rudel schon einen ziemlichen Beschützerinstinkt. Also wenn es einen Verdacht in die Richtung gibt, würde ich ihm auf alle Fälle mal nachgehen. Was genau ist denn bei Ihnen passiert?«
»Ich glaube nicht, dass uns das irgendwie weiterbringt«, kanzelt Carolin ihn schnippisch ab. »Bei mir ist alles in Ordnung. Aber fragen Sie mal diesen Züchter, das scheint mir erfolgversprechender zu sein.«
»Also wirklich, was für eine Frechheit, mich so auszufragen! Dieser Wagner ist echt unmöglich. Möchte mal wissen, was Nina an dem so toll findet«, regt sich Carolin auf, als wir wieder auf dem Weg nach Hause sind.
Ich trabe neben ihr und Daniel her und lausche dabei gespannt. Immerhin geht es auch um mich.
»Beruhige dich, er hat es doch nicht böse gemeint. Er wollte nur eine möglichst fundierte Diagnose stellen. Er kann ja nicht wissen, dass du so empfindlich in diesem Punkt bist.«
»Ich bin nicht empfindlich!«, ruft Carolin empört.
»Na ja, ein bisschen schon«, widerspricht Daniel.
»Und wenn schon - ist das ein Wunder? Das muss man sich mal vorstellen: Mein Tierarzt vermutet, dass Herkules sich psychopathisch benimmt, weil ich so ein schwerer Fall bin.«
»He, das hat nun wirklich niemand behauptet. Und abgesehen davon, ist es auch völlig abwegig.«
»Ach ja?« Carolin dreht den Kopf zu Daniel, der grinst.
»Ich hoffe doch sehr, dass Herkules erst einmal mich als deinen Retter in Erwägung zieht, bevor er irgendwelche wildfremden Kerle anschleppt.«
Nun muss auch Carolin lachen. »Stimmt, das hoffe ich doch auch!«
Aha, so ist das also. Vielleicht ist Daniel doch nicht zu nett für Carolin. Ich muss dringend mit Beck sprechen. Unser Plan braucht vielleicht eine grundlegende Korrektur. Ach was - unser Plan ist hoffentlich bald überflüssig.
VIERZEHN
»Ich glaube, wir brauchen gar nicht mehr zu suchen: Wir haben unseren Mann!«
Mit wichtiger Miene verkünde ich Herrn Beck am nächsten Tag meine neue Erkenntnis in Sachen Partnerwahl von Carolin. Wir sitzen unter unserem Baum im Garten und genießen die warme Nachmittagssonne.
»Wie kommst du denn darauf? Erst wart ihr mit Daniel im Park, dann beim Tierarzt, heute ist Carolin den ganzen Tag ohne dich unterwegs - wie kannst du da einen Prinzen für sie gefunden haben?«
»Ganz einfach: Wir hatten den Prinzen die ganze Zeit dabei.«
»Hä? Versteh ich nicht.«
»Daniel. Ich glaube, Daniel ist der Richtige.«
»Ach komm, das habe ich dir doch schon erklärt: Daniel scheidet aus. Wegen Zu-Nettsein in besonders schwerem Fall, strafschärfend kommt noch Gutmütigkeit hinzu.«
Herr Beck, der Anwalt. Wenn er so ist, mag ich ihn eigentlich nicht besonders.
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass deine Theorie falsch sein könnte? Ich habe die beiden genau beobachtet: Erstens liegt so eine Spannung in der Luft, wenn sie zusammen sind. Ich kann es nur schwer beschreiben, aber es ist eindeutig da, auch wenn man es nicht sieht. Wie Strom auf dem Weidezaun.«
Herr Beck guckt unbeeindruckt und räkelt sich ausgiebig. »Strom auf dem Weidezaun? Du bist echt ein Landei, mein Lieber. Ich weiß überhaupt nicht, was du meinst.«
Seinen Einwand ignorierend, zähle ich meine weiteren Indizien auf: »Und zweitens hat Daniel Carolins Hand gehalten. Auf der Parkbank - sogar über meinen Rücken hinweg.«
»Na und? Die beiden kennen sich eine Ewigkeit. Was heißt das schon?«
»Und drittens hat Carolin selbst gesagt, dass sie Daniel gerne als ihren Retter hätte.«
So, Kater, und jetzt kommst du!
»Du musst noch viel lernen, mein Hundefreund. Was Menschen sagen und was sie dann tatsächlich denken und folglich auch machen, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Völlig. Manchmal denke ich sogar, dass das Sprachvermögen an den Menschen komplett verschwendet ist, denn er nutzt es so gut wie nie für sinnvolle Dinge. Ehrlich, wenn die Menschen sich nicht miteinander unterhalten könnten, würde sich im Grunde genommen nichts ändern. Sie sagen sich ja doch nie die Wahrheit.«
»Das ist Quatsch. Ich glaube, du willst einfach nur Recht behalten.«
»Ich will nicht Recht behalten - ich habe Recht.«
Meine Güte, ist der heute wieder stur. Ich seufze und sage nichts mehr. Es ist schließlich wurscht, was dieser Kater denkt. Hauptsache, bei Carolin kommt wieder alles ins Lot, und wir sind bald wieder eine glückliche Familie mit Herrchen, Frauchen und Hund. Eine Weile noch schweigen Beck und ich uns an, dann beschließe ich, wieder in die Werkstatt zu trotten. Carolin ist zwar auf irgendeinem Termin unterwegs, aber vielleicht kann ich bei Daniel ein paar Streicheleinheiten abstauben.
Ich komme gerade rechtzeitig, um einen großen Auftritt von Aurora mitzuerleben. Mit weit ausholenden Armbewegungen erzählt sie über ihr letztes Konzert. Offenbar ein grandioser Erfolg, daran lässt sie keinen Zweifel. Nach meiner Kenntnis von menschlicher Erziehung ist so viel Eigenlob unfein. Der alte von Eschersbach hätte Aurora jetzt jedenfalls sehr tadelnd angeschaut. »Man tut nicht groß. Das schickt sich nicht.«, war ein beliebter Ratschlag von ihm an alle Menschen, die im Schloss ein und aus gingen. Allerdings ist von Eschersbach natürlich deutlich älter als Aurora, es ist also möglich, dass seine Ansichten schon etwas altmodisch sind. Oder aber die Sache mit dem Eigenlob gilt bei Künstlern nicht so direkt.
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