Der Geruch von Muttermilch hängt mittlerweile über dem ganzen Raum, die Welpen schmatzen sehr zufrieden, und der Erste scheint schon satt zu sein. Jedenfalls hängt er nicht mehr an einer Zitze, sondern hat sich zur Seite gerollt und macht wohl ein Nickerchen. Ich stecke meinen Kopf über den Rand der Box und will mir den Nachwuchs mal genauer ansehen. Bevor ich aber auch nur ansatzweise in die Nähe der Welpen komme, fährt Cherie blitzschnell zu mir herum und knurrt mich an.
»Schnauze weg von meinen Babys!«
»He, ich wollte doch nur mal gucken!« Die hat sie doch nicht mehr alle! Ich bin doch nicht irgendwer! Beleidigt trolle ich mich zur Tür. Das muss ich mir nicht bieten lassen. Nicht mal von Cherie. Ich habe schließlich auch meinen Stolz!
»Herkules, nun nimm das doch nicht so furchtbar persönlich! Das war reiner Mutterinstinkt. Selbst so ein alter Kater wie ich weiß das.«
Beck versucht, mich zu trösten, der alte Freund. Leider ohne Erfolg. Trübsal könnte nach wie vor mein zweiter Vorname sein. Ich habe Daniel heute in die Werkstatt begleitet. Er will nachschauen, ob so weit wieder alles in Ordnung ist, und hat sich gleichzeitig als Hundesitter für mich angeboten. Aus irgendeinem Grunde scheine ich nun nicht mehr zur Familie zu gehören, jedenfalls waren sich alle Zweibeiner einig, dass man sich »als Familie« besser aneinander gewöhnen könne, wenn ich nicht dabei sei. Stattdessen muss ich jetzt mit dem fetten, zugegebenermaßen mitfühlenden Kater im Garten hocken, während Daniel drei Meter weiter lautstark telefoniert. Ich fühle mich schlecht. Richtig schlecht. Verdrängt von jemandem, der nicht halb so groß ist wie ich und keinen einzigen Zahn im Mund hat. Und der die halbe Nacht so laut gebrüllt hat, dass selbst ich nicht schlafen konnte. Ausweichen konnte ich nicht. Denn unten in der Praxis liegt mein nächstes Problem. Oder besser: meine nächsten fünf Probleme. Hecheln, schmatzen und schlafen auf dem Bauch der Frau, die ich liebe. Nicht, dass mich hier jemand falsch versteht: Ich mag Welpen. Ich würde ihnen nie ein Haar krümmen. Aber gerade in diesem Moment könnte ich auch sehr gut ohne sie weiterleben. Ich hole tief Luft und lasse den Kopf auf die Vorderläufe sinken.
»Hallo? Hörst du überhaupt, was ich sage?«
Ich drehe den Kopf zur Seite.
»Hm?«
»Ob du hörst, was ich sage? Das mit dem Mutterinstinkt?«
Ich nicke. Und lege meinen Kopf wieder ab.
»Guck mal, zwei, drei Monate – dann sind die Welpen bestimmt weg. Diese Claudia braucht doch dringend Kohle, die will bestimmt alle Hunde schnell verkaufen. Ist doch echter Premiumnachwuchs, die sind begehrt und ratzfatz weg. Wirst sehen, die Leute schlagen sich um so edle, reinrassige … äh … ups, ich meine, um so niedliche Welpen.«
Herr Beck schaut betreten zu Boden. Ich wünschte, ich wäre weit weg. Ganz weit weg. Vielleicht in der Wildnis. Ohne Menschen. Nur auf mich gestellt. Bin ich jetzt schließlich auch. Keiner interessiert sich mehr für mich. Gut, ab und zu stellen sie mir noch einen Fressnapf hin. Aber das würde ich auch noch alleine hinkriegen. So schwer kann das mit der Kaninchenjagd nicht sein. Und dann würde ich bestimmt jemanden kennen lernen, der sich für mich als Hund interessiert und nicht auf der Suche nach einem Top-Deckrüden für seinen Nachwuchs ist. Und dieser Jemand würde schnell merken, was für ein großer Hund in mir steckt. Auch wenn ich von außen betrachtet eher kurzbeinig bin.
»Tschuldigung, Kumpel. Das war echt blöd von mir. Und überhaupt nicht so gemeint. Alles, was ich sagen wollte, war, dass du Cherie bestimmt bald wieder für dich allein hast. Nun gönn ihr doch die Zeit mit ihren Babys. Das ist doch nicht wie bei den Menschen. Ich meine, diesen Henri habt ihr jetzt noch Jahre an der Backe.«
Das ist in der Tat eine grauenhafte Vorstellung. Vor allem nach der letzten Nacht. Ich fange an zu jaulen.
»Meine Güte, ich kann aber auch sagen, was ich will. Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Keiner kümmert sich mehr um mich, seitdem das Baby da ist. Henri wohnt erst seit drei oder vier Tagen bei uns – und meinst du, Caro wäre seitdem schon mal mit mir Gassi gegangen? Sie liebt mich nicht mehr.«
Herr Beck prustet. Sehr mitfühlend!
»Hör mal, Menschenfrauen sind einfach nicht so schnell wieder fit, wenn sie ein Baby bekommen haben. Sie brauchen dann viel Ruhe, nicht lange Spaziergänge! Ich glaube nicht, dass Caro dich nicht mehr so lieb hat wie vorher. Aber sie muss sich erst einmal daran gewöhnen, Mutter zu sein. Bestimmt ist sie bald wieder die Alte. So ein Baby ist einfach anstrengend.«
»Da sagst du was. Heute Nacht hat der Balg nur geweint. Ich konnte überhaupt nicht schlafen. Und runter zu Cherie wollte ich auch nicht nach der Abfuhr. Heute Morgen waren dann alle sauschlecht gelaunt. Selbst Luisa hat mich angemotzt, als ich in ihr Bett springen wollte. Und Marc ist gleich zu den Welpen runter und hat mich bei Daniel abgestellt. Ich verstehe wirklich nicht, wieso sich alle so auf das Baby gefreut haben. Unsere Familie war vorher deutlich schöner. Und ruhiger.« Und, füge ich in Gedanken hinzu, ich war noch Teil von ihr.
»Tja, was soll ich sagen. Ich kann dir wenig Hoffnung machen, dass es in den nächsten Jahren irgendwie leiser wird. Du kannst nur hoffen, dass es bei einem Baby bleibt. Also, der nichtsnutzige Neffe meines alten Frauchens, der hatte ja gleich drei Rotzlöffel. Das war vielleicht ein Albtraum – fürchterlich!«
Ich zucke zusammen.
»Du meinst, Caro könnte noch ein Baby bekommen?«
»Klar. Warum denn nicht? Menschen kriegen doch in den wenigsten Fällen eine vernünftige Wurfstärke hin. Ich glaube, selbst zwei Babys auf einmal sind schon selten bei denen. Na, da müssen sie es eben öfter nacheinander versuchen. Bis zwei, drei oder vier Kinder da sind. Ich habe sogar schon Menschenfamilien mit fünf Kindern gesehen.«
Ungläubig schüttle ich den Kopf, aber der Kater beharrt darauf.
»Doch, doch. Glaub es mal lieber. Mit diesem Henri ist es bestimmt nicht getan.«
Was für trübe Aussichten. Ich habe mich immer über Nina und ihre Kinderphobie lustig gemacht. Das war vielleicht ein Fehler. Möglicherweise sollte ich hoffen, dass sie mich adoptiert. Dann wären wir auch eine kleine Familie. Nina, Alex, Herr Beck und ich. Wobei Nina ja gerade gar nicht da ist. Sondern immer noch in Stockhalm. Oder war das Stockholm? Egal. Schön wäre es allerdings, wenn Luisa uns möglichst oft besuchen könnte, obwohl sie ein Kind ist. Sie ist schließlich meine Freundin. Vielleicht hat die auch bald die Nase voll von ihrem kleinen Bruder. Immerhin hat sie heute Nacht ebenfalls nicht gut geschlafen. Oder Luisa zieht gleich mit ein. Das ist überhaupt die Idee. Dann hätte Nina ein großes Kind und könnte die lästige Babyphase weglassen. Und dann würden wir …
»So, Herkules, ich bin so weit fertig.« Daniel taucht neben uns beiden auf. Ich beschließe, ihn zu ignorieren. Stör mich nicht in meinem Elend! »Auf geht’s, Dicker!« Damit kann er unmöglich mich meinen. Offensichtlich will er Herrn Beck mitnehmen. Mir soll’s recht sein. Lasst mich nur allein. Daniel beugt sich zu mir herunter und zieht an meinem Halsband. Ich versuche, mich ganz schwer zu machen – aber vergeblich, Daniel zieht mich hoch. Tierquäler!
»Mensch, ich hab hier nicht ewig Zeit, den Dackelsitter zu spielen. Schließlich habe ich gleich eine Verabredung mit Claudia, und vorher will ich mich noch umziehen. Komm schon.« Ich lege den Rückwärtsgang ein und knurre. Daniel seufzt, bückt sich und nimmt mich auf den Arm. Dann trägt er mich kurzerhand zum Auto.
Ich HASSE es, ein Haustier zu sein!
SECHZEHN
Draußen regnet es in Strömen. Ich liege in meinem Körbchen, das nun wieder im Wohnungsflur steht, und lausche dem Regen, der ans Fenster schlägt. Seit Stunden geht das nun schon so. Außerdem ist es saukalt, obwohl doch Sommer ist. Keine guten Voraussetzungen also, um einen meiner Menschen zu einer ausgedehnten Runde um die Alster oder durch den Park zu bewegen. Tatsächlich erbarmt sich höchstens Luisa hin und wieder. Dann läuft sie kurz mit mir um den Block – wenigstens etwas! Caro hingegen ist völlig abgetaucht. Nein, falsch. Abgetaucht ist sie natürlich nicht, sie ist selbstverständlich noch da. Aber es scheint, als sei sie durch ein unsichtbares Band mit Henri verbunden. Ständig hat sie ihn auf dem Arm, trägt ihn herum, lässt ihn trinken, kuschelt mit ihm, wickelt ihn und, und, und … So geht das, seit sie mit Henri aus dem Krankenhaus gekommen ist. Also ganz schön lang. Zwei Wochenenden sind seitdem schon verstrichen. Wochenenden, an denen wir nichts, aber auch rein gar nichts miteinander gemacht haben. Dieser winzige Mensch hat von ihr regelrecht Besitz ergriffen, für ihren treuen Dackelfreund Herkules hat sie überhaupt keinen Blick mehr.
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