Inhaltsverzeichnis
Inschrift
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
NEUNZEHN
ZWANZIG
EINUNDZWANZIG
ZWEIUNDZWANZIG
DREIUNDZWANZIG
VIERUNDZWANZIG
FÜNFUNDZWANZIG
SECHSUNDZWANZIG
DANK AN …
Copyright
Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich.
Johannes Rau
EINS
Unfassbar! Es ist einfach unfassbar! Irgendetwas muss über Nacht mit meinem Frauchen Carolin passiert sein, und jetzt hat sie offensichtlich eine Nase, die der eines alten Königspudels gleicht. Um hier Missverständnissen vorzubeugen: Damit meine ich nicht etwa groß, feucht und eingerahmt von leicht ergrautem, lockigem Fell. Nein, sondern vielmehr mit dem Geruchssinn eines in die Jahre gekommenen Begleithundes ausgestattet. Also für einen Menschen geradezu sensationell gut.
Wie ich darauf komme? Ganz einfach: Vor etwa zehn Minuten habe ich es mir auf dem neuen Sofa im Wohnzimmer so richtig gemütlich gemacht. Die Gelegenheit war günstig, denn weit und breit war kein Mensch zu sehen, der es mir hätte verbieten können. Frauchens Freund Marc war schon morgens in seine Tierarztpraxis im Erdgeschoss verschwunden, sein Töchterchen Luisa in der Schule und Carolin selbst in ihrer Geigenbauwerkstatt auf der anderen Seite des Parks. Dachte ich jedenfalls.
Auf dem alten Sofa durfte ich immer ohne weiteres Platz nehmen, aber seitdem das neue die sonnigste Ecke des Wohnzimmers ziert, ist mein Leben deutlich unkomfortabler geworden. Am Tag seiner Lieferung stellte Marc nämlich eine neue, sehr spießige Regel auf: Hunde gehören ins Körbchen, auf den Teppich oder vor die Couch, keinesfalls aber auf Letztere. Begründet wurde das mit meinen Haaren und dem schönen, flauschigen Wollbezug der Neuerwerbung. Was natürlich totaler Blödsinn ist, denn das Sofa ist dunkelgrau und damit ziemlich genau meine Haarfarbe. Schließlich bin ich ein Rauhaardackel, jedenfalls fast. Selbst wenn ich also haaren würde – was ich selbstverständlich nicht tue –, würde es nicht weiter auffallen.
Gut, Regeln sind, was man selbst daraus macht – und so liege ich nun eben ab und zu heimlich auf dem Sofa und genieße die Sonne und das kuschelige Gefühl an meinem Bauch. Bis jetzt hat es noch niemand von meinen drei menschlichen Mitbewohnern bemerkt – so viel zum Thema störende Haare .
Auch in diesem Moment fläze ich mich auf meinem neuen Lieblingsplatz und freue mich über die Ruhe in der Wohnung. Eigentlich bin ich als Rudeltier nicht besonders gern allein, aber wenn es denn schon sein muss, dann bitte auf diesem Fleckchen. Hier fühlt sich selbst die Wintersonne, die um diese Tageszeit genau ins Fenster scheint, ganz warm und sommerlich an. Herrlich!
Ein Schlüssel wird im Haustürschloss gedreht. Mist! Ich springe schleunigst auf den Teppich, entferne mich weit genug vom Corpus Delicti und setze eine möglichst unschuldige Miene auf. Carolin streckt den Kopf durch die Tür.
»Hallo Herkules, ich bin wieder zurück. Muss mich mal ein bisschen hinlegen. Irgendwie ist mir heute flau. Vielleicht zu viele Schokoweihnachtsmänner zum Frühstück.«
Sie zögert kurz, dann geht sie in meine Richtung.
»Ach, ich komm zu dir ins Wohnzimmer. Ein wenig Gesellschaft ist vielleicht nicht schlecht.«
Sie nimmt auf dem Sofa Platz, dann legt sie sich mit dem Kopf auf eben jene Stelle, auf der auch ich gerade ein Nickerchen machen wollte. Normalerweise überhaupt kein Problem. Die Nase eines Menschen reagiert auf Duftmarken schließlich so empfindlich wie ein dickfelliger Berner Sennenhund auf die Temperaturen beim ersten Schneefall des Winters. Ich bin also ganz entspannt.
Kaum liegt Carolin jedoch, rappelt sie sich schon wieder auf.
»Sag mal, Herkules, du böser Hund – hast du etwa auf dem schönen neuen Sofa gelegen?«
Ich bin völlig verdutzt. Wie hat sie das gemerkt? Sollte ich etwa doch haaren?
»Du brauchst gar nicht so unschuldig zu gucken! Das ganze Sofa riecht nach dir. Also ehrlich – es stinkt regelrecht nach Hund! Igitt!«
Bitte? Sie hat es gerochen? Das KANN gar nicht sein. Denn ich habe maximal fünf Minuten dort gelegen, und nass war ich auch nicht. Für einen Menschen ist das genau so, als wäre ich niemals da gewesen. Ich bin – ich erwähnte es bereits – also fassungslos. Und, nebenbei bemerkt, was heißt hier eigentlich stinkt nach Hund? Ich bin mir sicher, dass ich sehr angenehm dufte. Carolin sollte sich lieber mal klarmachen, dass das Wässerchen aus dem kleinen Glasfläschchen, das sie selbst häufig benutzt, geradezu penetrant stinkt.
»Tja, mein Lieber, da staunst du, was? Ich habe dich erwischt. Du hast hier gelegen, hundert Prozent. Das rieche ich drei Meilen gegen den Wind. Und du weißt genau, dass wir dir das verboten haben. Also sei froh, dass ich dich erwischt habe und nicht Marc. Bei diesem sauteuren Designerstück kennt Herrchen keinen Spaß.«
Okay, sie hat es offenbar tatsächlich erschnuppert. Ich richte mich zu voller Größe auf und starre Carolin an. Sieht sie irgendwie anders aus? Irgendetwas, das ihren plötzlich sensationellen Geruchssinn erklären könnte? Nein, alles völlig normal und wie immer: Carolin hat ihre blonden langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, die hellen Augen strahlen, und ihre Nase ist kein Stück größer geworden. Sehr seltsam. Seeehr seltsam!
Bevor ich aber noch dazu komme, Carolin eingehender zu untersuchen, springt sie vom Sofa auf.
»Ich lege mich ins Bett. Hier wird mir ja ganz anders, ich fürchte, die Couch muss erst einmal auslüften. Schäm dich, Herkules!«
»Und du bist dir wirklich sicher, dass sie es gerochen hat?« Auch Herr Beck guckt erstaunt, als ich ihm am nächsten Tag von der Sofageschichte erzähle. Und das will etwas heißen. Denn der dicke schwarze Kater hat schon ziemlich viele Jährchen auf dem Buckel und mit Menschen wohl alles erlebt, was man als Vierbeiner so mit ihnen erleben kann. Seit ich ihn im Sommer vor zwei Jahren kennen gelernt habe, ist er deswegen nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein wichtigster Ratgeber geworden.
»Ich meine, vielleicht hat sie es auch nur erraten. Du lagst immerhin neben dem Teil, und vielleicht hast du gleich so schuldbewusst geschaut.«
Ich schüttle den Kopf.
»Nee, völlig ausgeschlossen. Zum einen hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen. Und zum anderen habe ich wirklich einen Sicherheitsabstand zwischen das Teil und mich gebracht, bevor Carolin ins Zimmer gekommen ist. Nicht nur das: Sie hat sogar behauptet, ihr würde ganz anders von dem Geruch.«
»Hm.« Beck guckt nachdenklich und rückt von dem Treppenabsatz unseres Hauseingangs näher an die Hauswand heran. Tatsächlich hat es angefangen zu schneien, und wie die meisten Katzen ist Beck wettertechnisch ein echtes Weichei. Wenn mein Opili – Gott hab ihn selig! – das sehen könnte, es würde ihn in seiner Meinung über diese Gattung vollauf bestätigen. Ich bleibe selbstverständlich wie angenagelt liegen und trotze dem Schneesturm. Na ja, drei Flocken mindestens haben schon meine Nase gestreift. Ich muss niesen. Herrn Beck scheint das an unser Ausgangsthema zu erinnern.
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