Luisa ahnt natürlich nichts von meinen unglaublich schlauen Gedanken. Sie holt einfach meine Leine von der Garderobe und wedelt mir damit vor der Nase hin und her. Ich kläffe begeistert und mache Männchen. Schließlich muss Luisas tolle Idee angemessen gewürdigt werden.
»Braver Herkules! Wir könnten auch zusammen im Zirkus auftreten. Oder uns vor dem Supermarkt neben Willi stellen und mit deinen Kunststückchen ein bisschen Geld dazuverdienen. Ich stelle einen Hut hin, und du gibst eine Spezialvorführung, dann sind wir bestimmt schnell reich.« Sie kichert. Dabei ist der Plan gar nicht schlecht. Mit dem Geld könnten wir dann im Supermarkt etwas Leckeres für mich kaufen. Hedwig besorgt dort ab und zu Herz oder Pansen für mich. Und falls von unserem Geld dann noch etwas übrig bleibt, kaufen wir im Supermarkt auch gleich etwas Schönes für meinen Helden Willi! Genau – so machen wir das! Und jetzt nichts wie hin!
Vor der Haustür zerre ich sofort Richtung Supermarkt. Ich will Luisas gute Idee gleich in die Tat umsetzen. Leider scheint sie das nicht zu verstehen, sie zieht mich in die andere Richtung und möchte anscheinend zur Alster. Aber nix da, so schnell gebe ich nicht auf! Ich lege den Rückwärtsgang ein.
»Herkules, nun komm schon – ich dachte, du freust dich!«
Tu ich ja auch. Aber ich will in die andere Richtung! Ich werfe mich regelrecht in mein Halsband, die Leine strafft sich mit einem Ruck.
»Hoppla, was hast du denn? Wo willst du hin?«
Folge mir doch einfach, dann wirst du es schon sehen. Zweimal ziehe ich noch kräftig, dann gibt Luisa mit einem Seufzen auf.
»Na gut, dann machen wir es so, wie du willst.« Sie lässt die Leine länger, und ich sause los, Luisa rennt hinterher. Keine fünf Minuten später erreichen wir den Supermarkt. Ich lege eine Vollbremsung hin, Luisa bleibt keuchend stehen. »Hierhin willst du? Aber warum? Da kann ich dich doch gar nicht mit reinnehmen.«
Ich setze mich auf den Po und gucke Luisa erstaunt an. Erinnert sie sich denn gar nicht mehr an ihre eigene Idee? Braucht sie eine kleine Gedächtnisstütze? Na gut. Ich mache also noch einmal Männchen und drehe einen Halbkreis. Wie ich an Luisas ratlosem Gesichtsausdruck sehe: vergeblich! Wo ist eigentlich Willi? Der hat doch bisher immer verstanden, was ich von ihm möchte. Ich höre auf, mich zum Zirkushund zu machen, und laufe zum Eingang des Marktes. Hier hat Willi meist seinen Stand. Auch heute steht das Tischchen dort, aber von Willi fehlt gerade jede Spur. Immerhin schwebt sein Geruch noch in der Luft, weit kann er also nicht sein. Auch gut. Warten wir eben. Diese Zeit müssen wir in meine Künstlerkarriere investieren.
»Herrje, Herkules, was hast du denn heute bloß? Die letzten Tage hat sich wahrscheinlich niemand um dich gekümmert, dafür könntest du jetzt aber ein bisschen artiger sein und auf mich hören!«
»Hallo, junges Fräulein! Macht das Kerlchen schon wieder Probleme?«
Endlich! Willi, alter Kumpel! Du verstehst mich bestimmt – und kannst es dann Luisa erklären. Ich mache wieder Männchen und fiepe ein wenig.
»Hallo, Willi. Tja, ich weiß auch nicht, was Herkules hat. Er ist irgendwie komisch momentan. Eigentlich wollte ich mit ihm spazieren gehen, aber er wollte unbedingt hierher.«
Willi nickt.
»Ja, ich gebe dir Recht. Der Hund ist seltsam. Ich hatte gestern ein ganz ähnliches Erlebnis mit ihm.«
»Meinst du das mit der Feuerwehr? Daniel hat mir davon erzählt. Aber was hatte Herkules damit zu tun?«
Willi überlegt kurz, dann beugt er sich zu Luisa vor und flüstert in ihr Ohr.
»Ich glaube, Herkules hatte das ganze Schlamassel angerichtet. Weißt du, der Schlauch war abgerissen, und die Werkstatt von Frau Neumann stand schon fast unter Wasser. Ich glaube, Herkules hat da irgendwie am Schlauch genagt. Aber pssst, das ist unser Geheimnis! Nicht, dass Herkules noch Ärger kriegt oder gar im Tierheim landet!«
Luisa reißt die Augen auf. Ich ebenfalls!
»Nein, ich schweige! Großes Ehrenwort!«
Jaul! Tierheim – das ist hoffentlich das, was die Menschen einen Scherz nennen. Ein ziemlich übler noch dazu! Meine Erinnerungen ans Tierheim sind wahrlich nicht die besten. Ich war zwar nur einen Tag dort – aber dieser hatte es in sich. Ich wurde von zwei sehr ungehobelten Zeitgenossen vermöbelt, die Qualität des Futters ließ zu wünschen übrig, und der Zwinger entsprach nicht meinen Vorstellungen von einem gehobenen Ambiente. Nicht mal denen von einem durchschnittlichen, von Schloss Eschersbach wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
»Hm, aber wie kommt es denn, dass sich dein Hundchen mit einem Mal so seltsam benimmt?«, will Willi von Luisa wissen.
Die zuckt mit den Schultern. Kein Wunder, kann ja nicht wissen, wie verknallt ich in Cherie bin.
»Darüber habe ich mich neulich schon mal mit Papa unterhalten. Ich glaube ja, Herkules ist eifersüchtig auf das neue Baby. Jedenfalls verhält er sich so komisch, seitdem Caro ganz doll schwanger war, und jetzt, wo Henri da ist, ist es noch schlimmer geworden.«
Was? Stimmt doch gar nicht! Ich habe nichts gegen das Baby. Gut, ich kann nicht besonders viel mit ihm anfangen, und seit der kurzen Zeit, die es nun da ist, haben sich weder Frauchen noch Herrchen wirklich um mich gekümmert. Aber hey – das wird schon wieder! Oder? Oder etwa nicht?
Willi guckt bekümmert.
»Weißt du, Luisa, dann ist es jetzt ganz wichtig, dass wenigstens du Herkules zeigst, dass du immer für ihn da sein wirst.«
Luisa nickt.
»Klar, mache ich. Herkules ist mein bester Freund. Bei mir ändert sich jetzt auch so viel, da bin ich froh, dass ich ihn habe. Nach den Sommerferien gehe ich auf eine neue Schule, und von meinen Freundinnen ist keine auf die gleiche gekommen. Eigentlich kenne ich nur ein einziges Mädchen aus meiner Klasse, das auch auf die neue Schule gehen wird, und das ist ziemlich doof. Sie heißt Johanna und spielt Harfe. Pferde mag sie überhaupt nicht und Hunde auch nicht. Sie sagt, sie sei der Katzentyp .« Luisa seufzt.
Willi klopft ihr auf die Schulter. Katzentyp – das ist natürlich ein erschütternder Mangel an gutem Geschmack. Und das schon bei einem Kind! Ich meine, Herr Beck ist im Grunde seines Herzen nicht verkehrt, aber mit einem Hund als Freund kann er es selbstverständlich nicht aufnehmen. Und er ist schon die netteste Katze, die ich kenne. Wie mögen da erst die anderen sein? Nein, diese Johanna scheint ernsthaft keine Alternative zu Luisas alten Freundinnen zu sein.
Willi schüttelt den Kopf,
»Nun mach dir mal nicht so viele Sorgen, Lütte! Immerhin hast du jetzt ein kleines Brüderchen, und ihr seid jetzt eine richtig schöne Familie: Vater, Mutter, Tochter und Sohn.«
Nun ist es an Luisa, den Kopf zu schütteln.
»Aber Caro ist gar nicht meine Mama! Meine Mama wohnt in München. Also, Caro ist voll nett – aber meine Mama ist sie nicht!« Fast schnaubt Luisa, und Willi beeilt sich, das wieder geradezubiegen.
»Tut mir leid – so meinte ich das gar nicht. Ich meinte … äh … ach, vergiss einfach, was ich gesagt habe. Aber ein Brüderchen ist bestimmt trotzdem toll, wirst schon sehen! Bald spielt ihr zusammen.«
Bilde ich mir das ein, oder guckt Luisa zweifelnd? Nein, auch Willi scheint es zu bemerken, jedenfalls legt er jetzt einen Arm auf Luisas Schulter.
»Und, Lütte, wenn dir das mit dem Baby auch zu viel wird, dann kommste einfach zu Willi. Dann schnacken wir ein bisschen, du hilfst mir, ein paar Zeitungen zu verkaufen, und von dem Geld gehen wir Eis essen. Dann sieht die Welt schon viel freundlicher aus. Klar?«
Luisa lächelt. Etwas schief, aber immerhin.
»Ja, geht klar.«
FÜNFZEHN
Ich finde sie immer noch unglaublich attraktiv. Okay, sie ist mittlerweile in etwa so schlank um die Taille wie Herr Beck – aber bei Gott: Sie ist immer noch eine Schönheit. Seit gestern wohnt sie zusammen mit Daniel in der Praxis, und ich darf ihr Gesellschaft leisten. Jetzt schaut sie mich unter ihren langen Wimpern durchdringend an.
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