Ein Teil von ihr hatte die wilde Idee, ihr Abzeichen und ihre Waffe selbst abzugeben, um gegen Crivaros Weggang zu protestieren.
Natürlich wäre das verrückt , erinnerte sie sich selbst. Sie hatte viel zu viel in ihre Karriere investiert, um das jetzt aufzugeben.
Dennoch erinnerte sie sich daran, was Crivaro ihr gesagt hatte, als sie meinte, dass sie mit Lehl über seine Entscheidung sprechen würde.
„Ich denke, das solltest du tun.“
Was hatte er damit gemeint? Hoffte Crivaro, dass Riley ihn davon abhalten würde, in Rente zu gehen?
Sie erinnerte sich an etwas anderes, das er gesagt hatte.
„Ich denke, es ist an der Zeit, dass du mich Jake nennst.“
Das hatte definitiv nicht nach einem Ende ihrer Beziehung geklungen, weder auf professioneller noch auf irgendeiner anderen Ebene. Und sie war sich sicher, dass diese Entscheidung viel bedeutete. Schließlich nannte ihn sonst kaum einer einfach nur ‚Jake‘.
Er hatte sich von seiner Ex-Frau und seinem Sohn distanziert und hatte keine engen Freunde, von denen Riley wusste.
Soweit sie wusste, war er ein einsamer Mann und der Ruhestand würde das auch nicht besser machen.
Sie stieg aus dem Aufzug und ging direkt auf Lehls Büro zu. Als sie dort ankam, sah sie, dass die Tür offen war. Dennoch zögerte sie vor der Tür.
Dann, fast unheimlich, hörte sie Lehls Stimme von innen.
„Kommen Sie rein, Agent Sweeney.“
Sie ging hinein und fand den schlaksigen Spezialagenten hinter seinem Schreibtisch. Wie üblich wirkte er fast zu überdimensioniert für sein Büro, ganz zu schweigen von seinem Schreibtisch.
Sie konnte nicht umhin, zu lächeln, als sie sich daran erinnerte, was Crivaro gesagt hatte, als sie festgestellt hatte, dass Lehl aussah, als stünde er immer auf Stelzen.
„Nein, er sieht aus, als wäre er aus Stelzen gemacht.“
„Nehmen Sie Platz, Agent Sweeney“, sagte Lehl in seinem beängstigenden Bariton.
Riley setzte sich hin und Lehl tat es ihr nach. Er nahm den Hörer ab und bat jemanden, sofort in sein Büro zu kommen. Dann drückte er seine Finger zusammen, schaute Riley an und sagte: „Vielleicht gibt es etwas, das Sie besprechen möchten“.
Riley schluckte schwer.
Jetzt oder nie.
Aber würde sie es wagen, den Abschied ihres Partners infrage zu stellen?
Schließlich war Erik Lehl vermutlich der einzige Mann auf der Welt, der Jake Crivaro tatsächlich einschüchtern konnte.
Dennoch zwang sie sich, den Mund aufzumachen.
„Sir, ich habe gerade mit Agent Crivaro gesprochen.“
Lehl nickte schweigend.
Riley schluckte erneut.
„Ich denke nicht, dass er in den Ruhestand gehen sollte, Sir“, sagte sie.
Lehl nickte erneut.
„Er meinte, dass Sie das sagen würden“, antwortete Lehl.
Riley war überrascht. Das war in etwa das letzte, womit sie gerechnet hatte. Scheinbar hatten Jake und Lehl bereits darüber gesprochen, wie sie auf die Situation reagieren würde.
„Möchten Sie mir erklären, warum Sie das denken?“, fragte Lehl.
Riley geriet in Panik und würde am liebsten den Raum verlassen.
Wie sollte sie das beantworten?
Sie sagte: „Er denkt, dass seine Fähigkeiten nachlassen, Sir.“
„Und Sie sind anderer Meinung?“, fragte Lehl.
„Das bin ich, Sir“, sagte Riley.
„Sind Sie sich sicher, dass Sie wissen, was das Beste für ihn ist?“, fragte Lehl.
Riley hatte plötzlich keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte. Schließlich war es eine gute Frage. War sie wirklich sicher, dass Jake als Agent so gut war wie eh und je? Sie erinnerte sich an seine Worte.
„Kannst du aufrichtig behaupten, dass ich in letzter Zeit in Bestform war?“
Sie hatte ihm nicht widersprochen. Wäre es die Wahrheit, zu sagen, dass sie seither ihre Meinung geändert hatte?
Lehl kniff die Augen zusammen, als er sie auf gründliche und fast schon analytische Weise betrachtete.
Er sagte: „Ich schätze, was ich frage, ist … in wessen Interesse erzählen Sie mir das? In Ihrem oder in Agent Crivaros?“
Riley sackte auf ihrem Stuhl ein wenig zusammen.
„Ich bin mir nicht sicher“, gab sie zu.
Lehl beugte sich über seinen Schreibtisch.
„Agent Sweeney, Sie und ich haben einige Differenzen gehabt, seit wir uns kennen.“
„Ich weiß“, sagte Riley.
Und das war tatsächlich milde ausgedrückt. Letzten Herbst, als sie noch die Academy besuchte, hatte Crivaro sie von ihrem Studium weggezerrt, damit sie ihm bei einem Fall helfen konnte. Ohne die Zustimmung von irgendjemandem hatte sie sich als Reporterin ausgegeben und einem US-Senator Fragen gestellt, die zur Aufdeckung seines früheren sexuellen Fehlverhaltens geführt hatten. Wie üblich war sie einer Ahnung gefolgt. Aber die Enthüllungen hatte sich erwiesen, nichts mit dem Fall zu tun zu haben, an dem sie gearbeitet hatten.
Ohne es wirklich zu wollen, hatte sie die politische Karriere des Senators beendet. Noch schlimmer – der Vorfall hatte die Verhaltensanalyseeinheit ernsthaft gefährdet. Der Senator war ein hochrangiges Mitglied renommierter Ausschüsse gewesen und hatte viel Sagen über das Taschengeld der Einheit gehabt.
Lehl war mehr als wütend gewesen. Er hatte sich persönlich darum gekümmert, dass Riley von der Academy ausgeschlossen wurde und gab erst nach, nachdem sie mit Jake brillante Arbeit geleistet hatte. Aber seit ihrem Abschluss an der Academy und ihrem offiziellen Beitritt der Einheit war er ihr gegenüber misstrauisch gewesen.
Nun fragte Lehl weiter. „Wo stehen wir nun? Sie und die Agency, meine ich?“
„Ich bin mir nicht sicher, was Sie meinen“, sagte Riley.
Aber sie fürchtete, es genau zu wissen. Sie wusste, dass ihr Status in der Verhaltensanalyseeinheit mehr oder weniger auf Probe war. Vielleicht betrachtete Lehl dies als guten Zeitpunkt, auch sie loszuwerden.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ nichts Gutes ahnen.
„Ich will ehrlich mit Ihnen sein, Agent Sweeney", sagte Lehl. "Ihre Partnerschaft mit Crivaro war immer produktiv, manchmal bemerkenswert. Nichtsdestotrotz hatte ich immer das Gefühl, dass Sie beide eine Tendenz dazu hatten … wie soll ich es ausdrücken? Sich gegenseitig schlecht zu beeinflussen. Ich habe jahrelang mit Crivaro zusammengearbeitet und trotz all seiner Genialität war er immer so etwas wie ein Außenseiter. Er hat mir und der Agentur eine Menge Ärger gemacht. Er hat Regeln zu seinen Gunsten zurechtgebogen und sie manchmal sogar ganz gebrochen. Können Sie leugnen, dass Sie die gleichen Tendenzen haben?“
Riley wagte es nicht, diesbezüglich zu lügen.
„Nein“, sagte sie.
Lehl trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. „Ich möchte, dass Sie meine nächste Frage so ehrlich beantworten, wie Sie können. Ihre rebellische Ader – haben Sie das von Crivaro aufgeschnappt? Und nun, da er weg ist, kann ich von Ihnen erwarten, dass Sie Ihr Verhalten ändern? Oder …?“
Er ließ den Gedanken unvollendet.
Aber Riley wusste nur zu gut, was er wissen wollte.
War sie von Natur aus eine rebellische Querdenkerin?
Würde sich ihr Verhalten nie ändern? Unabhängig von Crivaros ‚schlechtem Einfluss‘?
Er möchte eine ehrliche Antwort, erinnerte sich Riley.
Und sie wusste, dass eine ehrliche Antwort ihre Karriere genau in dieser Einheit hier und jetzt beenden könnte.
Sie atmete lange und langsam durch.
„Agent Lehl, ich … kann nicht ändern, wer ich bin“, sagte sie.
„Ich verstehe“, sagte Lehl und runzelte die Stirn.
„Ich kann nur versprechen, mein Bestes zu geben – falls Sie mich behalten, natürlich. Ich gebe mir keine Mühe, schwierig zu sein, sondern versuche wirklich, mich an die Regeln zu halten. Aber manchmal überkommt mich mein Instinkt.“
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