„Sag es dem Richter“, sagte Ryan.
„Welchem Richter?“, fragte Riley.
Sie lachten beide und kuschelten sich enger aneinander.
Dann fragte Ryan mit vorsichtigerer Stimme: „Was ist mit dir, Riley? Bist du glücklich?“
Riley fühlte eine Welle der Wärme durch ihren Körper schwappen.
„Oh ja“, sagte sie.
„Nicht nur mit dem Job, meine ich“, erwiderte Ryan.
„Ich weiß“, sagte Riley. „Ich bin wirklich glücklich – mit allem.“
Und das meinte sie mit ganzem Herzen.
Sie und Ryan hatten am Anfang ihrer Beziehung ein paar schwere Zeiten durchgemacht und es hatte Momente gegeben, in denen keiner von beiden geglaubt hatte, dass ihre Beziehung das aushalten könnte. Ryans neuer Job hatte ihn unter extremen Druck gesetzt und Rileys Fälle waren zeitweise ziemlich wild gewesen. Sie hatte viel zu viel Zeit von ihm getrennt verbracht.
Aber Ryan hatte sich nun in seiner Position eingelebt – und das in einer Anwaltskanzlei, die ihm jede Menge Aufstiegsmöglichkeiten bot. Und Rileys Fallbelastung war extrem geschrumpft. Sie und Crivaro hatten schon seit über sechs Wochen keinen Fall mehr bearbeitet, nachdem sie den Serienmörder in Kentucky und Tennessee zu Fall gebracht hatten, der es auf Jungfrauen abgezielt hatte.
Seitdem hatten beide hauptsächlich Recherchearbeiten im Quantico-Büro betrieben und Informationen gesammelt, die Jake den anderen Agenten im Einsatz übermittelte. Riley hatte die Arbeit zeitweise langweilig gefunden. Aber sie musste zugeben, dass es eine Erleichterung war, nicht allzu weit von Zuhause weg zu sein und sich nicht ständig in Gefahr zu begeben.
Das war auch für Ryan eine Erleichterung gewesen. Letztendlich schien er sich an die Idee zu gewöhnen, mit einer Agentin der Verhaltensanalyseeinheit zusammen zu sein. Zumindest versuchte er nicht mehr, sie davon zu überzeugen, zu kündigen. Und sie hatten schon seit Wochen nicht mehr gestritten.
Riley hoffte, ihre Arbeit womöglich in diesem langsameren, angenehmeren und weniger lebensbedrohlichen Tempo fortführen zu können. Sie war sich sicher, dass es zwischen ihr und Ryan immer besser werden würde, je mehr sie zu Hause war.
Und in Zeiten wie diesen schätzte sie es, wie rücksichtsvoll und fürsorglich Ryan sein konnte.
Und attraktiv, dachte sie, während sie ihn ansah.
Dann fragte er: „Willst du weiterreden?“
„Mm-mm“, meinte Riley.
„Was willst du dann tun?“
Riley drehte sein Gesicht zu ihrem und küsste ihn.
„Ich will ins Bett gehen“, sagte sie.
*
Als Riley am nächsten Morgen nach Quantico fuhr, war der Tag so hell und klar wie ihre Laune. Ihre Nacht mit Ryan war leidenschaftlich und perfekt gewesen. Und nun waren sie beide auf dem Weg zu ihren Jobs, die ihnen wirklich wichtig waren.
Könnte das Leben besser sein, fragte sie sich.
Jetzt, wo sie darüber nachdachte, könnte es das vielleicht tatsächlich. Und das würde es auch. Irgendwann bald würden sie und Ryan heiraten und, wenn sie beide bereit waren, eine Familie gründen.
Was Agent Crivaro anging, war Riley sich sicher, dass er sich heute besser fühlte.
Seine Laune gestern war sicherlich nur flüchtig, dachte sie.
Als sie auf ihren Parkplatz der Verhaltensanalyseeinheit fuhr, machte ihr Herz einen Sprung, als sie Crivaro in der Nähe seines Wagens stehen sah, wo er wie so oft auf ihre Ankunft wartete.
Alles ist wieder normal!
Sie parkte ihren Wagen und sprang heraus.
Nicht umarmen, befahl sie sich selbst. Das würde er nicht wollen.
Aber ihre Laune verschlechterte sich, als sie auf ihn zuging. Seine Arme waren verschränkt und er starrte auf den Asphalt, als hätte er ihre Ankunft gar nicht bemerkt.
Definitiv nicht in der Stimmung für Umarmungen, realisierte sie.
Was auch immer er ihr gleich sagen würde – sie war sich sicher, dass es ihr nicht gefallen würde.
Als Riley auf Crivaro zuging, sah er nicht einmal auf. An seinen Wagen gelehnt und mit dem Blick nach unten sagte er: „Es tut mir leid, was gestern passiert ist. Ich war ein Arschloch.“
Riley wollte ihm versichern, dass er kein Arschloch war. Aber irgendwie brachte sie die Worte nicht über die Lippen.
Ich glaube, ich bin sauer auf ihn, realisierte sie.
Diese Möglichkeit war ihr erst jetzt in den Sinn gekommen.
Sie lehnte sich neben ihn an den Wagen.
„Warum haben Sie sich so aus dem Staub gemacht?“, fragte sie.
Crivaro zuckte müde mit den Schultern.
„Es war nicht meine Absicht, dich im Stich zu lassen“, sagte er. „Zumindest glaube ich das nichts. Es war vielmehr …“
Seine Stimme versagte für einen Moment.
Dann sprach er mit gewürgter Stimme weiter. „Ich konnte den Eltern nicht gegenüberstehen. Ich konnte es einfach nicht. Nicht, nachdem wir sie so enttäuscht hatten. Ich hatte das Gefühl, einfach weg zu müssen.“
Riley war überrascht. Sie hatte angenommen, dass sie es war, mit der er nicht hatte reden wollen. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, kam ihr diese Annahme unglaublich ich-bezogen vor.
„Hast du mit ihnen gesprochen?“, fragte er Riley.
Riley nickte.
„Wie lief es?“
Riley atmete scharf ein.
„Ungefähr so wie erwartet“, sagte sie.
„So schlimm?“
Riley nickte. „Sie waren wütend auf die Entscheidung des Richters. Und ja, sie waren auch wütend auf uns.“
„Ich kann es ihnen nicht verübeln“, sagte Crivaro. „Was hast du ihnen gesagt?“
„Dass es mir leidtut und …“
Riley zögerte kurz. Plötzlich kam es ihr schwierig vor, das zu wiederholen, was sie den Eltern gesagt hatte.
Schließlich sagte sie: „Ich habe versprochen … sicherzugehen, dass Mullins erst wieder freikommt, wenn er seine volle Zeit abgesessen hat. Ich habe versprochen, nicht zuzulassen, dass er vorzeitig oder auf Bewährung freikommt.“
Crivaro nickte.
Riley unterdrückte ein Seufzen. „Ich hoffe, ich habe kein Versprechen gemacht, das ich nicht halten kann.“
Riley hoffte, dass er etwas Ermutigendes sagen würde, aber er blieb still.
„Also, was ist los?“, fragte sie ein bisschen ungeduldig.
„Ich wollte es dir selbst sagen“, antwortete Crivaro, seine Stimme emotionsvoll. „Ich wollte nicht, dass du es von jemand anderem erfährst.“
Riley bekam ein ungutes Gefühl. Sie stand schweigend da, bis er weitersprach.
„Ich habe gekündigt“, erklärte Crivaro ihr.
„Das können Sie nicht“, platzte Riley heraus.
„Zu spät“, sagte er.
Sie suchte nach Worten. „Sie sagten, dass Sie bleiben würden, wenn ich mich der Einheit anschloss …“
„Für eine Weile, bis du angekommen bist“, beendete er ihren Satz. „Das ist fast ein Jahr her, Riley. Ich habe dir schon damals gesagt, dass ich das Alter erreicht habe, in Rente zu gehen.“
„Können Sie nicht noch warten …?“
„Nein, es ist schon endgültig. Ich komme gerade aus Erik Lehls Büro, habe meine Marke und meine Waffe abgeben und die offizielle Kündigung unterschrieben.“
„Warum?“, rief Riley mit scharfer Stimme.
Crivaro stöhnte leise.
„Du weißt genau, warum. Kannst du aufrichtig behaupten, dass ich in letzter Zeit in Bestform war? Ich werde nie wieder der Agent sein, der ich einmal war. Ich habe mein Verfallsdatum überschritten. Um überhaupt so lange im Job zu bleiben, waren besonderen Verlängerungen nötig gewesen.“
Sie schwiegen und standen beide mehrere Momente lang einfach da ohne einander anzusehen.
Schließlich sprach Crivaro weiter. „Nach der Urteilsverkündung ist mir vieles klar geworden. Es war eine Sache, Mullins nicht härter bestrafen zu können. Aber ich konnte mich nicht dazu bringen, mit den Eltern zu reden. Dieses Gefühl hatte ich zuvor noch nie, habe diesen Teil des Jobs noch nie ausgelassen. In dem Moment wusste ich, dass es vorbei war. Wie kann ich weiter böse Jungs bekämpfen, wenn ich nicht mal ihre Opfer ansehen kann? Deshalb habe ich mich aus dem Staub gemacht.“
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