»Macht nur er dir Sorgen?« erkundigte Felix sich.
»Nein.«
»Was sonst?«
Diese Frage war schwer zu beantworten. »Man könnte es böse Vorahnungen nennen.« Jaime bemühte sich, das leichthin zu sagen, als mache er sich über sich selbst lus tig.
Felix nahm seine Bedenken ernst. »Willst du den Überfall abblasen?«
»Bloß weil ich heute nervös wie ein altes Waschweib bin? Nein, Amigo. Du wirst sehen, wie alles reibungslos klappt.«
Anfangs hatte alles geklappt.
In der Schalterhalle befanden sich ein halbes Dutzend Kunden, die Felix mit einer Maschinenpistole in Schach hielt, während Jaime sich eine Plastiktüte mit Scheinen füllen ließ. Alles klappte reibungslos.
Als die beiden Männer die Bank verließen, um zu ihrem Wagen zu laufen, rief Jaime noch: »Denkt daran, Amigos - das Geld dient einem guten Zweck!«
Erst draußen ging dann alles schief. Auf der Straße wimmelte es von Polizeibeamten. Der Fahrer ihres Fluchtfahrzeugs kniete mit einer Dienstpistole an der Schläfe auf dem Gehsteig.
»Waffen weg!« rief ein Kriminalbeamter, als Jaime und Felix in Sicht kamen.
Jaime zögerte Bruchteile einer Sekunde lang. Dann riss er seine Pistole hoch.
Die umgebaute Boeing 727 befand sich 35000 Fuß über dem Grand Canyon. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Und er ist noch nicht zu Ende, dachte Megan.
Sie war nach Kalifornien unterwegs, um einen Vertrag zu unterzeichnen, der ihrer Firma Scott Industries 250000 Hektar Nutzwald nördlich von San Francisco sicherte. Um den Kaufpreis zu drücken, hatte sie ihre Geschäftspartner erbarmungslos ausgespielt.
Das haben sie sich selbst zuzuschreiben, dachte Megan. Sie hätten nicht versuchen sollen, mich reinzulegen. Ich möchte wetten, dass sie ’s zum ersten Mal in ihrem Leben mit einer Buchhalterin aus einem Zisterzienserinnenkloster zu tun gehabt haben. Sie musste laut lachen.
Der Steward trat an ihren Sessel. »Möchten Sie irgend etwas, Miss Scott?«
»Nein, danke.«
Ihr Blick fiel auf den Ständer mit Zeitungen und Magazinen. Die Vertragsverhandlungen hatten sie so in Anspruch genommen, dass sie nicht mehr dazu gekommen war, eine Zeitung zu lesen. »Geben Sie mir bitte die New York Times.«
Die Meldung stand mit Jaime Miros Foto auf der Titelseite und sprang sie förmlich an: »Jaime Miro, der Führer der ETA, der radikalen baskischen Separatistenbewegung in Spanien, ist gestern Nachmittag bei einem Banküberfall in Sevilla von der Polizei angeschossen und festgenommen worden. Tödlich verletzt bei dieser Schießerei wurde Felix Carpio, ein weiterer mutmaßlicher Terrorist. Mit der Festnahme Miros ist den Sicherheitsbehörden nach jahrelanger Fahndung ein entscheidender Schlag gegen.«
Nachdem Megan den Rest des Berichts gelesen hatte, blieb sie lange wie erstarrt sitzen und dachte an ihre Zeit mit Jaime. Sie erschien ihr wie ein weit zurückliegender Traum - wie eine graue, verschwommene, fast irreale Fotografie.
Dieser Kampf ist bald zu Ende. Wir werden bekommen, was wir fordern, weil das Volk hinter uns steht ... ich möchte, dass du auf mich wartest.
Irgendwann hatte sie von einer Kultur gelesen, zu deren Grundsätzen es gehörte, dass ein Lebensretter sich für den Geretteten verantwortlich zu fühlen habe. Megan hatte Jaime zweimal das Leben gerettet - einmal in der Burg und dann wieder in der Anlage in Leon. Der Teufel soll mich holen, wenn ich jetzt zulasse, dass sie ihn umbringen.
Sie nahm den Hörer des Telefons neben ihrem Sessel ab und wies den Piloten an: »Kehren Sie sofort um. Wir fliegen nach New York zurück.«
Auf dem Flughafen La Guardia stand ihre Limousine mit Chauffeur bereit, und als Megan kurz nach zwei Uhr in ihr Büro kam, wartete dort Lawrence Gray jr. auf sie. Sein Vater war viele Jahre Ellen Scotts Anwalt gewesen und war nach ihrem Tod in den Ruhestand getreten. Sein Sohn war clever und ehrgeizig.
»Jaime Miro«, sagte Megan ohne Vorrede. »Was wissen Sie über ihn?«
Gray's Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Er ist ein baskischer Terrorist, der Führer der ETA. Presseberichten nach soll er vor ein, zwei Tagen verhaftet worden sein.«
»Richtig. Er muss in Spanien vor Gericht gestellt werden. Ich möchte einen Prozessbeobachter entsenden. Wer ist der beste Strafverteidiger Amerikas?«
»Curtis Hayman, finde ich.«
»Nein, er ist zu vornehm. Wir brauchen einen Killer.« Sie überlegte kurz. »Wir nehmen Mike Rosen.«
»Der ist für die nächsten hundert Jahre ausgebucht, Megan«, protestierte Gray.
»Sorgen Sie dafür, dass er seine anderen Verpflichtungen absagt. Ich will, dass er in Madrid ist, wenn der Prozess beginnt.«
Ihr Anwalt runzelte die Stirn. »Wir dürfen uns nicht in einen spanischen Strafprozess einmischen.«
»Klar dürfen wir das! Amicus curiae. Wir sind Freunde des Angeklagten.«
Gray musterte sie einen Augenblick lang. »Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
»Nein. Machen Sie sich lieber an die Arbeit.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Larry.«
»Ja.«
»Und noch einiges darüber hinaus!« Ihre Stimme klang stahlhart.
Zwanzig Minuten später kam Lawrence Gray in Me-gans Arbeitszimmer. »Mike Rosen ist am Telefon. Ich habe ihn geweckt. Er will Sie sprechen.«
Megan nahm den Hörer ab. »Mister Rosen? Ich freue mich, dass Sie einen Augenblick für mich Zeit haben. Wir kennen uns noch nicht persönlich, aber ich habe das Gefühl, dass wir gute Freunde werden könnten. Alle möglichen Spinner verklagen Scott Industries anscheinend bloß, um in Übung zu bleiben, und ich bin seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Anwalt, der alle diese Fälle übernimmt. Sie sind mir von verschiedenen Seiten wärmstens empfohlen worden. Ich bin natürlich bereit, Ihnen ein großzügiges Pauschalhonorar.«
»Miss Scott?«
»Ja.«
»Ich habe nichts dagegen, ein bisschen Honig um den Bart geschmiert zu bekommen, aber müssen’s gleich Tonnen sein?«
»Das verstehe ich nicht.«
»Dann will ich’s Ihnen in den juristischen Sprachgebrauch übersetzen: Lassen Sie den Scheiß! Es ist halb drei Uhr morgens. Um diese Zeit nimmt man sich keinen Anwalt.«
»Mister Rosen.«
»Mike. Wir wollen gute Freunde werden, stimmt’s? Aber Freunde müssen einander vertrauen. Larry hat mir erzählt, dass Sie mich nach Spanien schicken wollen, damit ich versuche, irgendeinen baskischen Terroristen zu retten, den die dortige Polizei geschnappt hat.«
»Er ist kein Terrorist!« wollte Megan protestieren. Aber sie beherrschte sich noch rechtzeitig. »Richtig.«
»Und woraus besteht Ihr Problem? Verklagt er Scott Industries, weil seine Waffe Ladehemmung gehabt hat?«
»Er.«
»Tut mir leid, Freundin. Ich kann Ihnen nicht helfen. Mein Terminkalender ist so voll, dass ich vor einem halben Jahr aufgehört habe, aufs Klo zu gehen. Ich kann Ihnen ein paar Anwälte empfehlen, die.«
Nein, dachte Megan, Jaime Miro braucht dich. Und sie wurde plötzlich von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit erfasst. Spanien war eine andere Welt in einer anderen Zeit. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme resigniert. »Schon gut«, sagte sie, »Das ist eine persönliche Angelegenheit. Tut mir leid, dass ich so energisch gewesen bin.«
»He, so sollen Führungskräfte doch sein! Persönlich ist was anderes, Megan. Um ganz ehrlich zu sein: Ich bin verdammt neugierig, welches Interesse die Chefin von Scott Industries daran hat, einen baskischen Terroristen zu retten. Wollen wir uns morgen zum Mittagessen treffen?«
Megan war entschlossen, nichts unversucht zu lassen. »Ja, gern.«
»Um dreizehn Uhr im Le Cirque?«
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