»Der Mohr ist grausam«, nickte Belbo.
»Wie die kleinen Kinder«, wiederholte Diotallevi.
»Wow!«, rief die Dolores hingerissen. »Das müssen ja irre Typen gewesen sein, deine Templer!«
»Mich erinnern sie an Tom und Jerry«, sagte Belbo.
Ich bereute. Schließlich lebte ich seit zwei Jahren mit den Templern und mochte sie. Erpresst vom Snobismus meiner Zuhörer, hatte ich sie als Comicfiguren dargestellt. Schuld war vielleicht Guillaume von Tyrus, der ungetreue Chronist. Sie waren nicht so, die Ritter vom Tempel, sie waren ganz anders. Bärtig und flammend, das prächtige rote Kreuz auf dem weißen Mantel, sprengten sie hoch zu Roß dahin im Schatten ihres schwarz-weißen Banners, des Beauceant, nichts anderes im Sinne, als edel und todesmutig ihren Dienst zu erfüllen, und der Schweiß, von dem Bernhard sprach, war vielleicht ein bronzener Schimmer, der ihrem furchtbaren Lächeln einen sarkastischen Adel verlieh, wenn sie sich anschickten, ihren Abschied vom Leben so grausam zu feiern... Löwen im Krieg, wie Jacques de Vitry sagte, Lämmer voll Sanftmut im Frieden, roh in der Schlacht und fromm im Gebet, wild mit den Feinden und mild zu den Brüdern, gezeichnet vom Weiß und Schwarz ihres Banners, da strahlend rein für die Freunde Christi und finsterschrecklich für seine Feinde.
Pathetische Glaubenskämpfer, letzte Beispiele einer untergehenden Kavallerie — warum behandelte ich sie wie ein beliebiger Ariost, während ich doch ihr Joinville hätte sein können? Mir kamen die Seiten in den Sinn, die ihnen der Verfasser der Histoire de Saint Louis gewidmet hatte, der mit Ludwig dem Heiligen ins Heilige Land gekommen war, als sein Schreiber und Mitstreiter zugleich. Die Templer gab es bereits seit einhundertfünfzig Jahren, Kreuzzüge waren genug geführt worden, um jedes Ideal zuschanden zu machen. Verblasst wie Phantome sind die Heldenfiguren der Königin Melisenda und König Balduins des Leprösen, erschöpft die internen Kämpfe des seit damals blutüberströmten Libanon, Jerusalem ist bereits einmal gefallen, Barbarossa ist in Kilikien ertrunken, Richard Löwenherz kehrt geschlagen und gedemütigt heim im Gewande eben des Templers, die Christenheit hat ihre Schlacht verloren, die Mauren haben einen ganz anderen Sinn für den Zusammenschluss autonomer Potentaten zur gemeinsamen Verteidigung einer Kultur — sie haben Avicenna gelesen, sie sind nicht ignorant wie die Europäer, wie kann man zweihundert Jahre lang einer toleranten, mystischen und zugleich sinnenfreudigen Kultur ausgesetzt sein, ohne ihren Verlockungen nachzugeben, zumal wenn man sie mit der abendländischen Kultur vergleicht, mit dem rohen, rüpelhaften, barbarischen und germanischen Westen? Als es im Jahre 1244 zum letzten und definitiven Fall Jerusalems kommt, ist der Krieg, der hundertfünfzig Jahre zuvor begonnen hatte, verloren, die Christen müssen aufhören, Waffen in ein Land zu tragen, dessen Bestimmung der Frieden ist und der Duft der Zedern des Libanon. Arme Templer, wozu hat euer ganzes Heldenepos gedient?
Weichheit, Melancholie, morbide Blässe einer alternden Pracht — warum dann nicht den Geheimlehren der islamischen Mystiker lauschen, sich der hieratischen Akkumulation verborgener Schätze widmen? Vielleicht ist dies der Ursprung jener Legende von den Tempelrittern, die noch heute in den Köpfen der Enttäuschten und Suchenden umgeht — die Geschichte einer Macht ohne Grenzen, die nicht mehr weiß, was sie mit sich anfangen soll ...
Und doch, als der Mythos bereits verdämmert, kommt Ludwig der Heilige auf den Thron, der König, der als Tischgenossen den Aquinaten hatte; er glaubt noch an den Kreuzzug, trotz zweier Jahrhunderte voller Träume und gescheiterter Ansätze wegen der Dummheit der Sieger. Lohnt es sich, noch einen Versuch zu wagen? Jawohl, es lohnt sich, sagt Ludwig der Heilige, die Templer stimmen ihm zu und folgen ihm ins Verderben, denn das ist ihr Beruf, wie wäre der Tempelorden zu rechtfertigen ohne Kreuzzug?
Ludwigs Flotte nähert sich der ägyptischen Küste, um Damiette anzugreifen, das feindliche Ufer ist ein einziges Schimmern von Piken und Hellebarden, Standarten und Bannern, Schilden und Krummsäbeln, eine große, prächtig anzusehende Kriegerschar, sagt Joinville, ritterlich, mit Waffen, die gülden in der Sonne erglänzen. Ludwig könnte abwarten, doch er beschließt, um jeden Preis zu landen. »Meine Getreuen, wir werden unbesiegbar sein, wenn wir unzertrennlich in unserer Brüderlichkeit sind. Verlieren wir, so werden wir Märtyrer sein. Siegen wir, so wird Gottes Ruhm dadurch noch größer.« Die Templer glauben es nicht, aber sie haben gelernt, für das Ideal zu kämpfen, dies ist das Bild, das sie von sich abgeben müssen. Sie werden dem König in seinen mystischen Wahnsinn folgen.
Die Landung gelingt unglaublicherweise, die Sarazenen räumen unglaublicherweise Damiette, es ist so unglaublich, dass der König zögert, die Stadt zu betreten, da er dem Frieden nicht traut. Aber es ist wahr, die Stadt ist sein, sein mitsamt ihren Schätzen und ihren hundert Moscheen, die er sogleich in Kirchen des Herrn verwandelt. Dann muss er eine Entscheidung treffen: Soll er auf Alexandria oder auf Kairo marschieren? Die kluge Entscheidung wäre Alexandria gewesen, um Ägypten einen lebenswichtigen Hafen zu nehmen. Aber da tritt der böse Geist der Expedition auf den Plan, der Bruder des Königs, Robert von Artois, ein ehrgeiziger Megalomane, begierig auf schnellen Ruhm wie alle Zweitgeborenen. Er rät, auf Kairo zu zielen, ins Herz Ägyptens. Die Templer, bisher zurückhaltend, ballen die Faust in der Tasche. Der König hat isolierte Gefechte verboten, aber nun ist es der Marschall des Ordens, der das Verbot übertritt. Er erblickt ein Banner der Mamelucken des Sultans und brüllt: »Auf sie, im Namen Gottes, denn unerträglich ist mir eine solche Schmach!«
Bei Mansurah verschanzen sich die Sarazenen am anderen Ufer eines Nilarms, die Franzosen versuchen einen Damm zu bauen, um eine Furt zu schaffen, und schützen ihn mit ihren mobilen Türmen, aber die Sarazenen haben von den Byzantinern die Kunst des griechischen Feuers gelernt. Das griechische Feuer war an der Spitze dick wie ein Fass, und sein Schwanz war gleich einer großen Lanze, es kam daher wie ein Blitz und erschien wie ein fliegender Drache. Und es warf ein so helles Licht, dass man sich im Lager sehen konnte wie am helllichten Tag.
Während das Lager der Christen lichterloh brennt, zeigt ein verräterischer Beduine dem König eine Furt, für dreihundert byzantinische Goldfranken. Der König beschließt anzugreifen, der Übergang ist nicht leicht, viele Christen ertrinken und treiben in den Wellen davon, am anderen Ufer warten dreihundert sarazenische Reiter. Doch schließlich gelangt das Gros nach drüben, die Templer reiten wie immer voran, gefolgt vom Grafen von Artois. Die muslimischen Reiter fliehen, und die Templer warten auf den Rest des christlichen Heeres. Aber Graf Artois prescht mit seinen Mannen los, um den Feinden nachzusetzen.
Daraufhin stürmen nun auch die Templer los, um ihre Ehre zu wahren, aber sie können den Artois nicht mehr erreichen, er ist schon ins feindliche Lager eingedrungen und hat ein Gemetzel angerichtet Die Muslime fliehen nach Mansurah. Darauf hat der Artois nur gewartet, die Templer versuchen ihn zurückzuhalten, Bruder Gilles, der Großkommandant des Ordens, umschmeichelt ihn, indem er sagt er habe doch nun schon ein so großartiges Unternehmen vollbracht, eines der größten, die je in überseeischen Landen gewagt worden seien. Umsonst, der geckenhafte, ruhmsüchtige Graf bezichtigt die Templer des Verrats und behauptet sogar, wenn sie und die Johanniter es nur gewollt hätten, wären jene Gebiete schon längst erobert worden, er jedoch habe nun bewiesen, wozu man imstande sei, wenn man Blut in den Adern habe. Das ist zu viel für die Ehre des Ordens, die Templer stehen niemandem nach, sie stürmen die Stadt und erobern sie, verfolgen die Feinde bis an die Mauern am anderen Ende — und merken auf einmal, dass sie dabei sind, den Fehler von Askalon zu wiederholen. Die Christen — samt Templern — haben sich damit aufgehalten, den Palast des Sultans zu plündern, die Ungläubigen konnten sich wieder sammeln und fallen über die versprengten Häuflein der Plünderer her. Haben die Templer sich erneut von ihrer Gier verblenden lassen? Andere jedoch berichten, Bruder Gilles habe zu Artois, bevor sie ihm in die Stadt gefolgt seien, mit stoischer Luzidität gesagt: »Herr, meine Brüder und ich haben keine Furcht und werden Euch folgen. Aber wisset, dass wir Zweifel haben, und zwar starke, ob Ihr und ich heil zurückkehren werden.« Wie auch immer, Graf Robert von Artois, Gott sei ihm gnädig, wird erschlagen, zusammen mit vielen anderen tapferen Rittern, darunter zweihundertachtzig Templer.
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