Colin Cotterill - Totentanz für Dr. Siri

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Totentanz für Dr. Siri: краткое содержание, описание и аннотация

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Der Fund einer Mumie sorgt für Unruhe in der laotischen Provinz.
Dr. Siri, der dickköpfige, brillante und einzige Leichenbeschauer von ganz Laos, muss in die Provinz. Dort sorgt ein bizarrer Fund für Unruhe in Houaphan, einer abgelegenen Bergregion: Nach einem Erdrutsch ragt ein mumifizierter Arm aus einem frisch verlegten Betonpfad. Siri soll herausfinden, was es mit der Sache auf sich hat. Allerdings ist es nicht dieser rätselhafte Mordfall, der ihn vor Ort um den Schlaf bringt. Es ist die Discomusik, die jede Nacht an sein Ohr dringt. Woher kommt sie? Und warum scheint sie außer ihm niemand zu hören?
Über den Autor Colin Cotterill wurde 1952 in London geboren. Nach einer Ausbildung zum Englischlehrer begab er sich auf eine Weltreise, die viele Jahre andauerte. Er lebte lange in Australien, Japan, Thailand und Laos, wo er Englischkurse an verschiedenen Universitäten gab und sich als Sozialarbeiter engagierte. Seine in Laos angesiedelte Krimiserie um Dr. Siri Paiboun, den querköpfigen Leichenbeschauer und Ermittler wider Willen, wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Colin Cotterill ist heute hauptberuflich Schriftsteller und lebt in Chumphon, Thailand.
Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Disco for the Departed« bei Soho Press, New York

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Für Siri und Soun,

die trotz aller Schicksalsschläge überlebten,

erwachsen wurden und heute zwei

wunderschöne Töchter haben.

Und für Poki und Panoy, von Loong C.

1

GÄSTEHAUS NR. 1

Dr. Siri lag unter dem speckigen Moskitonetz und beobachtete die Eidechse bei ihrem dritten Versuch. Zwei Mal schon war das kleine graue Tier die Wand hinaufgeflitzt und hatte sich bis an die Decke vorgewagt. Beide Male war das Undenkbare geschehen. Das Reptil hatte den Halt verloren und war auf den nackten Betonfußboden des Gästehauses geklatscht. Was fast ebenso widernatürlich schien, als wenn ein Mensch der Erdenhaftung verlustig gehen und mit Schmackes an die Zimmerdecke krachen würde. Siri sah den verdatterten Ausdruck in dem runzligen kleinen Gesicht. Die Echse blickte einen Moment lang verwirrt um sich und steuerte dann von Neuem auf die Wand zu.

Seit gut vier Wochen fragte sich der staatliche Leichenbeschauer Dr. Siri Paiboun, ob sein neues Ich die Tiere womöglich in ihrem natürlichen Verhalten störte. Zwar mochte es schon vorher zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein, doch erst seit die Promenadenmischung aus der Eisfabrik damit begonnen hatte, in seinem Vorgarten ein Nest zu bauen, nahm er davon bewusst Notiz. Irgendwie war es der Hündin gelungen, sich aus alten Autositzen und Zementsäcken, die sie durch das Gartentor geschleift hatte, ein recht unbehaglich anmutendes Heim zu schaffen. Und da saß sie nun tagaus, tagein und wartete geduldig auf ein Ei, das niemals kommen würde. Eine Woche später dann hatten sich die Mäuse aus den Reisfeldern hinter der Siedlung plötzlich zu einer regelrechten Bande zusammengerottet und angefangen, die Katze seines Nachbarn zu terrorisieren. Und als Siri heute Morgen zu seiner Reise ins Landesinnere aufgebrochen war, hatte er auf dem Dachfirst seines Hauses in Vientiane allen Ernstes eine Henne sitzen sehen. Da es weit und breit keine Leiter gab, ließ das nur einen Schluss zu: Das Federvieh musste aufs Dach geflogen sein. Und nun auch noch die Eidechse. Selbst wenn all das bloßer Zufall war, kam es ihm doch reichlich seltsam vor. Seit Siri um seine schamanische Herkunft wusste, widerfuhren ihm die merkwürdigsten Dinge.

Wieder einmal schob er sich den kleinen Finger in den Mund und zählte seine Zähne. Eine Gewohnheit, von der er nur schwer lassen konnte, nachdem er vor einigen Monaten erfahren hatte, dass er etwas Besonderes war. Sie waren vollzählig vorhanden – alle dreiunddreißig. Damit hatte er genauso viele Zähne wie der Magier Prinz Phetsarat; genauso viele wie einige der angesehensten Schamanen; genauso viele wie der leibhaftige Buddha. Siri befand sich also in erlauchter Gesellschaft. Doch obwohl er über die erforderliche Anzahl von Zähnen verfügte, hatte er seine Fähigkeiten noch immer nicht so recht im Griff.

Vor Kurzem erst war Siri dahintergekommen, dass der Geist eines alten Hmong-Schamanen namens Yeh Ming in seinem Körper wohnte. Bis dahin hatte er die Begegnung mit den Seelen der Verstorbenen, die ihn bisweilen im Traum heimsuchten, für eine Art Geisteskrankheit gehalten. Er hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, ihre Botschaften zu deuten. Und folglich auch nicht bemerkt, dass die Geister ihm im Traum Hinweise auf die Ursache ihres Todes gaben. All das hatte sich im letzten Jahr grundlegend geändert. Yeh Ming war aktiver geworden – oder, anders ausgedrückt: erwacht – und hatte den Unmut der bösen Waldgeister auf sich gezogen. Fragliche Geister, die sogenannten Phibob , hatten es auf Siris Urahn abgesehen, und da dieser in Siris Körper wohnte, war Siri unversehens in die Schusslinie geraten. Das Feuer des Übernatürlichen hatte ihn erfasst.

Da den alten Chirurgen so leicht nichts mehr schrecken konnte, fand er die mysteriösen Vorfälle über die Maßen amüsant. Sein Leben schien von Tag zu Tag aufregender zu werden. Während andere Leute seines Alters sich in ihr Los ergeben hatten und wie ein abgelaufenes Uhrwerk dem letzten Pendelschlag entgegenkrauchten, war Siri wiedergeboren worden, hinein in eine Welt zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Jeder neue Tag hatte es in sich. Er fühlte sich lebendiger denn je. Wenn es sich denn tatsächlich um eine Form der Altersdemenz handelte, so genoss er sie insgeheim in vollen Zügen und hatte es nicht besonders eilig, sich davon zu erholen.

Obwohl Siri im Mai seinen dreiundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hatte, war er robust und kräftig wie ein Dschungelwildschwein. Zwar ließ seine Lunge ihn von Zeit zu Zeit im Stich, doch seine Muskeln und sein Verstand funktionierten noch genau so tadellos wie vor vierzig Jahren. Ein üppiger weißer Haarschopf schmückte sein Haupt, und sein sympathisches Gesicht mit den stechend grünen Augen entlockte selbst Frauen, die halb so alt waren wie er, nicht selten ein kokettes Lächeln. Seine Freunde waren sich einig, dass Dr. Siri Paiboun noch lange nicht die Puste ausgehen würde.

Die Pritsche mit dem Moskitonetz, unter dem Siri lag und die Eidechse beobachtete, stand im Parteigästehaus Nr. 1 der Demokratischen Volksrepublik Laos; man schrieb das Jahr 1977. »Gästehaus« war nicht unbedingt die treffendste Bezeichnung für das zweistöckige Gebäude, das vietnamesische Schuhkartonfetischisten vor ein paar Jahren errichtet hatten. Es hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Haus, und wer hier einsaß, war alles andere als ein Gast. Die meisten Bewohner hatten sich ideologisch gegen das Parteidiktat versündigt. Hier wiegte man die Dorfvorsteher, Staatsbeamten und Armeeoffiziere des alten royalistischen Regimes in dem Glauben, man habe sie zu einem Ferienaufenthalt in den Bergen der Provinz Houaphan geladen, zu einem Bildungsurlaub im revolutionären Hauptquartier.

Am frühen Abend hatten Siri und Schwester Dtui mit ein paar Männern aus dem Süden – ehemals hochrangigen Polizisten des royalistischen Regimes – Kaffee getrunken. Die Gendarmen waren nach wie vor davon überzeugt, dass sie hier ein politisches Seminar besuchten und nach einem Grundkurs in Marxismus-Leninismus in Kürze nach Vientiane zurückkehren würden. In ausgelassener Stimmung hatten sie auf der Veranda im Parterre auf unbequemen roten Plastikstühlen beisammengesessen. Da die Männer ihren ersten Nachmittag mit »Kennenlern«-Aktivitäten verbracht hatten, trugen sie immer noch papierne Namensschildchen, die mit Heftklammern an ihren Brusttaschen befestigt waren. Hinter dem Namen jedes Mannes stand das Wörtchen »Offizier«, gefolgt von einer Zahl. Um nicht gegen die Rangordnung zu verstoßen, saßen sie in numerischer Reihenfolge.

Sie hatten getönt, wie glücklich sie sich schätzten, einen Teil des Landes kennenlernen zu dürfen, der diesen Stadtmenschen so fremd war wie ein ferner Kontinent. Sie sprachen über die Einheimischen wie ein Tourist von Afrikanern oder wunderlichen Europäern. Noch ahnten sie nicht, dass ihr Abstecher in die Provinz vermutlich Monate, wenn nicht gar Jahre dauern würde. Sie ahnten nicht, dass man sie aus dem vergleichsweise komfortablen Gästehaus in ein gut achtzig Kilometer entfernt gelegenes Lager bei Sop Hao an der vietnamesischen Grenze verschleppen würde. Dort würden sie Bautrupps zugeteilt, die Straßen ausbessern, zerbombte Brücken wiederaufbauen und den einheimischen Bauern dabei helfen mussten, das verminte Land von Blindgängern zu räumen. Abends würden sie im gelblichen Schein von Bienenwachslampen in Arbeitskreisen rings um eine große Schiefertafel sitzen. Sie würden die Daten der bedeutendsten Schlachten, die Anzahl der Gefallenen und die Namen der großen Revolutionsführer auswendig lernen. So, wenn nicht schlimmer, sah laotische Umerziehung aus.

Zu guter Letzt würden sie, entweder aus persönlicher Überzeugung oder aber schierer Verzweiflung, feierlich ewige Hingabe an die Sache schwören. Wenn sie dabei halbwegs überzeugend wirkten, durften sie eines Tages eventuell zu ihren Familien zurückkehren. Wenn nicht, würde man ihren Familien einen Ortswechsel ans Herz legen. Nur Frauen, die ihre Männer wirklich liebten und bereit waren, auf den Luxus des Stadtlebens zu verzichten, nahmen solch ein Angebot an. Die meisten flohen über den Mekong, um in Thailand ihr Glück zu suchen.

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