Wenn der Geist des Anführers solchermaßen aus Valentin sprach, gehorchte man ihm wie einem Signalhorn. Dr. Simon ging in die Waffenhalle und stöberte dort Iwan auf, des öffentlichen Detektivs privater Detektiv. Galloway ging in den Salon und erzählte seine schreckliche Nachricht so taktvoll, daß, als die Gesellschaft sich dort wieder versammelte, die Damen bereits erschrocken und bereits beruhigt waren. Inzwischen standen der gute Priester und der gute Atheist zu Haupt und Füßen des toten Mannes bewegungslos im Mondenlicht, wie symbolische Darstellungen ihrer beiden Philosophien vom Tode.
Iwan, der Vertrauensmann mit Narbe und Schnurrbart, kam wie eine Kanonenkugel aus dem Haus geschossen und über den Rasen zu Valentin gerannt wie ein Hund zu seinem Herrn. Sein fahles Gesicht leuchtete geradezu mit der Glut dieser häuslichen Detektivgeschichte, und mit fast widerwärtigem Eifer erbat er sich seines Herrn Erlaubnis, die Überreste zu untersuchen.
»Ja; sieh es dir an, wenn du willst, Iwan«, sagte Valentin, »aber mach nicht lang. Wir müssen hineingehen und die Sache drinnen gründlich durchsprechen.«
Iwan hob den Kopf hoch und ließ ihn dann fast fallen.
»Nein«, keuchte er, »das ist – nein, das ist nicht; das kann nicht sein. Kennen Sie diesen Mann, Sir?«
»Nein«, sagte Valentin gleichgültig; »wir gehen jetzt besser hinein.«
Gemeinsam trugen sie den Leichnam auf ein Sofa im Arbeitszimmer und begaben sich dann alle in den Salon.
Der Detektiv setzte sich ruhig und sogar zögernd an einen Schreibtisch; doch sein Blick war der stählerne Blick eines Richters im Schwurgericht. Er warf ein paar schnelle Notizen auf ein Blatt Papier vor ihm und fragte dann kurz: »Sind alle hier?«
»Mr. Brayne nicht«, sagte die Herzogin von Mont St. Michel und blickte sich um.
»Nein«, sagte Lord Galloway mit rauher harscher Stimme. »Und soviel ich sehen kann, auch nicht Mr. Neil O’Brien. Ich habe diesen Herrn gesehen, wie er durch den Garten wanderte, als der Leichnam noch warm war.«
»Iwan«, sagte der Detektiv, »geh und hole Major O’Brien und Mr. Brayne. Mr. Brayne raucht, wie ich weiß, eine Zigarre im Speisesaal; Major O’Brien geht vermutlich im Wintergarten auf und ab. Da bin ich aber nicht sicher.«
Der getreue Diener schoß aus dem Raum, und ehe noch jemand sich rühren oder etwas sagen konnte, fuhr Valentin in der gleichen soldatischen Raschheit mit seiner Erklärung fort.
»Jeder hier weiß, daß man im Garten einen toten Mann gefunden hat, den Kopf glatt vom Körper getrennt. Dr. Simon, Sie haben ihn untersucht. Glauben Sie, daß es großer Kraft bedarf, um einem Mann die Gurgel auf solche Weise durchzuschneiden? Oder vielleicht auch nur eines sehr scharfen Messers?«
»Ich würde sagen, daß man das mit keinem Messer tun könnte«, sagte der bleiche Doktor.
»Haben Sie irgendeine Vorstellung«, fuhr Valentin fort, »mit was für einem Werkzeug das möglich wäre?«
»Im Rahmen moderner Möglichkeiten habe ich wirklich keine«, sagte der Doktor und zog seine zerquälten Brauen hoch. »Es ist nicht einfach, einen Hals auch nur ungeschickt durchzuhacken, und dieser war sauber durchgeschnitten. Es könnte mit einer Streitaxt oder einem alten Henkersbeil oder einem alten Bidhänder getan werden.«
»Aber beim Himmel«, rief die Herzogin fast hysterisch; »es gibt hier doch gar keine Bidhänder und Streitäxte.«
Valentin beschäftigte sich immer noch mit dem Papier vor ihm. »Sagen Sie mir«, sagte er und schrieb rasch weiter, »könnte es mit einem langen französischen Kavalleriesäbel getan worden sein?«
Ein leises Klopfen kam von der Tür, das aus irgendeinem unvernünftigen Grund jedermanns Blut erstarren ließ wie das Klopfen in Macbeth. In dieses erfrorene Schweigen hinein brachte Dr. Simon es fertig zu sagen: »Ein Säbel – ja, ich vermute, das würde gehen.«
»Danke« sagte Valentin. »Komm rein, Iwan.«
Der vertrauenswürdige Iwan öffnete die Tür und brachte Major Neil O’Brien herein, den er schließlich gefunden hatte, wie er wieder im Garten auf und nieder schritt.
Der irische Offizier stand verwirrt und trotzig auf der Türschwelle. »Was wollen Sie von mir?« rief er.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Valentin in freundlichem, ruhigem Ton. »Sie sind ja ohne Ihren Säbel? Wo ist er denn?«
»Ich habe ihn auf dem Tisch in der Bibliothek liegenlassen«, sagte O’Brien, dessen irischer Akzent in seiner verwirrten Stimmung deutlicher wurde. »Er war mir lästig, er fing an…«
»Iwan«, sagte Valentin, »bitte geh in die Bibliothek und hole den Säbel des Majors her.« Dann, nachdem der Diener verschwunden war: »Lord Galloway sagte, er habe gesehen, wie Sie den Garten verließen, unmittelbar bevor der Leichnam gefunden wurde. Was haben Sie im Garten getan?«
Der Major warf sich unbekümmert auf einen Stuhl. »Oh«, rief er in reinem Irisch, »den Mond bewundern. Mit der Natur reden, mein Junge.«
Ein schweres Schweigen sank hernieder und hielt an, und an seinem Ende kam wieder jenes banale und schreckliche Klopfen. Iwan erschien aufs neue und trug eine leere Stahlscheide. »Das ist alles, was ich finden kann«, sagte er.
»Leg es auf den Tisch«, sagte Valentin ohne aufzublicken.
Ein unmenschliches Schweigen war im Raum, wie jener Ozean unmenschlichen Schweigens um die Bank des verurteilten Mörders. Die schwachen Ausrufe der Herzogin waren seit langem erstorben. Lord Galloways aufgeblähter Haß war befriedigt und sogar ernüchtert. Die Stimme, die erklang, erklang völlig unerwartet.
»Ich glaube, ich kann es Ihnen sagen«, rief Lady Margaret mit jener klaren zitternden Stimme, mit der eine tapfere Frau in der Öffentlichkeit redet. »Ich kann Ihnen sagen, was Mr. O’Brien im Garten tat, denn er ist verpflichtet zu schweigen. Er bat mich, ihn zu heiraten. Ich wies das zurück; ich sagte ihm, daß ich ihm angesichts der Umstände meiner Familie lediglich meine Hochachtung gewähren könne. Er war darüber etwas ärgerlich; er schien nicht viel von meiner Hochachtung zu halten. Ich frage mich«, fügte sie mit eher mattem Lächeln hinzu, »ob sie ihm jetzt überhaupt noch etwas bedeutet. Denn ich biete sie ihm erneut an. Ich werde überall beschwören, daß er so etwas niemals getan hat.«
Lord Galloway hatte sich an seine Tochter herangedrängt und versuchte sie einzuschüchtern mit einer Stimme, die er für leise hielt. »Halt den Mund, Maggie«, sagte er in donnerndem Flüstern. »Warum willst du diesen Kerl denn in Schutz nehmen? Wo ist sein Säbel? Wo ist sein verdammter Kavallerie…«
Er hielt angesichts des sonderbaren Blickes inne, mit dem ihn seine Tochter ansah, ein Blick, der wie ein düsterer Magnet auf die ganze Gruppe wirkte.
»Du alter Narr!« sagte sie mit leiser Stimme, ohne irgendwelchen Respekt vorzutäuschen; »was glaubst du, versuchst du zu beweisen? Ich sage dir, daß dieser Mann unschuldig war, während er mit mir zusammen war. Und wenn er nicht unschuldig war, dann war er immer noch mit mir zusammen. Wenn er wirklich einen Mann im Garten ermordet hat, wer muß das dann gesehen –, wer muß wenigstens davon gewußt haben? Haßt du Neil so sehr, daß du deine eigene Tochter…«
Lady Galloway schrie auf. Alle anderen saßen da, von einem Schaudern überrieselt ob der Berührung mit einer jener satanischen Tragödien, wie es sie seit jeher zwischen Liebenden gibt. Sie sahen das stolze weiße Gesicht der schottischen Aristokratin und ihren Liebhaber, den irischen Abenteurer, wie alte Portraits in einem dunklen Haus. Das lange Schweigen war voller ungeformter historischer Erinnerungen an ermordete Gatten und giftmischerische Geliebte.
Aus der Mitte dieses morbiden Schweigens heraus fragte eine unschuldige Stimme: »War es eine sehr lange Zigarre ?«
Der Gedankensprung war so ungeheuer, daß alle sich umsehen mußten, wer da gesprochen habe.
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