Agatha Christie - Der Tod wartet

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Sie ist eine äußerst unangenehme Person. Sie ist von monströser Gestalt. Sie war einst Gefangniswärterin. Sie tyrannisiert ihre Familie und die gesamte Reisegruppe. Ihr plötzlicher Tod ist eine Erleichterung für alle. Und doch besteht Hercule Poirot darauf, den Mord aufzudecken.
Appointment with Death Agatha Christie und ihr Mann, Max Mallowan, hatten Petra früher schon besichtigt und die Autorin war von Anfang an fasziniert - ein in einer Schlucht liegender, einsamer Ort - ideal für einen Kriminalfall. Dass daraus dann allerdings ein Roman wurde, der eher auf der psychologischen Ebene spielt, mag überraschen. Auch Petra insgesamt kommt nur am Rande vor. Die Autorin konzentriert sich einmal mehr auf ihre Figuren und den Fortgang der Handlung. Wo andere Autoren Seiten mit historischen Fakten und ausführlichen Beschreibungen der Örtlichkeiten füllen, begnügt sich Agatha Christie mit einer knappen, präzisen Skizze.
Die Autorin hat den Roman später selbst für die Bühne bearbeitet; die Premiere fand 1945 am Piccadilly Theatre in London statt. Michael Winner verfilmte den Stoff 1988 mit Peter Ustinov als Hercule Poirot, John Gielgud und Lauren Bacall in weiteren Rollen.

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Für Richard und Myra Mallock zur Erinnerung an ihre Reise nach Petra

Teil I

Erstes Kapitel

»Du siehst doch ein, dass sie sterben muss?«

Die Worte wehten hinaus in die stille Nacht, schienen einen Moment in der Luft zu verharren und dann in der Dunkelheit hinunter zum Toten Meer weiterzuziehen.

Hercule Poirot, die Hand schon am Fenstergriff, hielt stirnrunzelnd inne. Dann machte er energisch das Fenster zu, um die schädliche Nachtluft auszusperren. Hercule Poirot war in dem Glauben erzogen worden, dass man die Luft von draußen am besten draußen ließ und dass insbesondere Nachtluft der Gesundheit höchst abträglich war.

Er lächelte nachsichtig, während er penibel die Vorhänge zuzog und sich zu Bett begab.

»Du siehst doch ein, dass sie sterben muss?«

Merkwürdige Worte, die Hercule Poirot, seines Zeichens Privatdetektiv, da zufällig an seinem ersten Abend in Jerusalem belauschte.

»Dass ich aber auch immer und überall an Verbrechen erinnert werden muss!«, murmelte er bei sich.

Er schmunzelte, da ihm eine Anekdote einfiel, die er einmal über den Romancier Anthony Trollope gehört hatte. Auf einer Atlantiküberquerung hatte Trollope zwei Mitreisende belauscht, die sich gerade über die jüngste Folge eines Romans von ihm unterhielten, der damals in Fortsetzungen erschien.

»Nicht übel«, hatte der eine Mann erklärt. »Aber er sollte endlich dieses grässliche alte Weib um die Ecke bringen.«

Woraufhin sich der Romancier mit einem breiten Lächeln zu ihnen umgedreht und gesagt hatte: »Meine Herren, ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich werde der Dame unverzüglich den Garaus machen!«

Hercule Poirot fragte sich, was wohl der Anlass für die Worte gewesen war, die er soeben mit angehört hatte. Vielleicht die Zusammenarbeit an einem Theaterstück oder Buch.

Noch immer lächelnd dachte er: »Man könnte sich eines Tages an diese Worte erinnern und ihnen eine finsterere Bedeutung beimessen.«

Er entsann sich, dass eine seltsame Nervosität in der Stimme mitgeschwungen hatte — eine Art Zittern, das von starker emotionaler Anspannung zeugte. Die Stimme eines Mannes, eines ziemlich jungen...

Als Hercule Poirot die Nachttischlampe ausknipste, dachte er bei sich: Ich würde diese Stimme jederzeit wieder erkennen...

Die Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt und die Köpfe dicht beieinander, starrten Raymond und Carol Boynton in das nächtliche blaue Dunkel hinaus. Raymond wiederholte nervös seine Frage: »Du siehst doch ein, dass sie sterben muss?«

Carol Boynton machte eine kleine Bewegung. Sie sagte, und ihre Stimme klang tief und rau: »Es ist schrecklich.«

»Nicht schrecklicher, als es jetzt ist!«

»Wahrscheinlich nicht.«

»So kann es nicht weitergehen«, sagte Raymond heftig. »Es kann so nicht weitergehen. Wir müssen etwas unternehmen. Uns bleibt nichts anderes übrig.«

»Und wenn wir einfach weggehen würden?«, fragte Carol. Sie merkte selbst, wie wenig überzeugend ihre Stimme klang.

»Das können wir nicht.« Raymonds Stimme war hohl und mutlos. »Du weißt genau, dass das unmöglich ist, Carol.«

Die junge Frau erschauerte. »Ich weiß, Ray. Ich weiß.«

Er lachte plötzlich kurz und bitter auf.

»Die Leute würden sagen, dass wir verrückt sind — nicht einfach auf und davon zu gehen.«

Carol sagte langsam: »Vielleicht sind wir

- tatsächlich verrückt!«

»Allerdings! Ja, ich glaube, das sind wir wirklich. Oder werden es jedenfalls bald sein. Manche Leute würden sogar sagen, dass wir es bereits sind - stehen da und planen kaltblütig und in aller Ruhe, unsere eigene Mutter umzubringen!«

Carol sagte scharf: »Sie ist nicht unsere leibliche Mutter!«

»Nein, das ist wahr.«

Beide schwiegen. Schließlich sagte Raymond, nun in ruhigem und sachlichem Ton: »Dann stimmst du mir zu, Carol?«

Carol erwiderte mit fester Stimme: »Ich glaube, sie muss sterben - ja.«

Dann brach es plötzlich aus ihr heraus: »Sie ist wahnsinnig. Ich bin ganz sicher, dass sie wahnsinnig ist. Wenn sie normal wäre, könnte sie uns doch nie und nimmer derart quälen. Seit Jahren sagen wir uns: So kann es nicht weitergehen! — Aber es ist so weitergegangen! Immer wieder sagen wir uns: Irgendwann muss sie ja sterben.

- Aber sie ist nicht gestorben! Ich glaube, sie stirbt nie, wenn wir.«

»Wenn wir sie nicht umbringen«, ergänzte Raymond ruhig.

»Ja.«

Carols Hände auf dem Fensterbrett ballten sich zu Fäusten.

Ihr Bruder sprach mit beherrschter, sachlicher Stimme weiter, in der nur ein leichtes Zittern die heftige innere Erregung verriet: »Du siehst also ein, warum es einer von uns beiden sein muss? Lennox scheidet aus, weil er auf Nadine Rücksicht nehmen muss. Und Jinny können wir nicht hineinziehen.«

Carol erschauerte.

»Arme Jinny. Ich habe solche Angst, dass sie.«

»Ich weiß. Es wird immer schlimmer, stimmt’s? Und darum muss schleunigst etwas geschehen - bevor sie völlig durchdreht.«

Carol richtete sich plötzlich auf und strich sich das kastanienbraune Haar aus der Stirn.

»Ray«, sagte sie, »du bist dir doch ganz sicher, dass es nicht wirklich unrecht ist?«

Wiederum mit gewollt leidenschaftsloser Stimme erwiderte er: »Ja. Für mich ist das so, wie wenn man einen tollwütigen Hund tötet - etwas, das nur Schaden anrichtet und dem Einhalt geboten werden muss. Es ist die einzige Möglichkeit, der Sache ein Ende zu machen.«

Carol sagte leise: »Aber wir - wir würden trotzdem dafür auf den elektrischen Stuhl kommen. Ich meine, wie sollen wir irgendjemandem klarmachen, was sie für ein Mensch ist? Es würde einfach zu abwegig klingen. Irgendwie ist das alles doch nur Einbildung!«

Raymond sagte: »Niemand wird uns verdächtigen. Ich habe einen Plan. Ich habe alles genau durchdacht. Keiner wird uns etwas anhaben können.«

Carol drehte sich abrupt zu ihm um.

»Ray, du - du hast dich irgendwie verändert. Irgendetwas ist mit dir passiert. Wer oder was hat dir das alles in den Kopf gesetzt?«

»Wie kommst du darauf, dass ich mich verändert habe?«

Er wandte den Kopf ab und starrte hinaus in die Nacht.

»Weil es so ist. War es die junge Frau im Zug, Ray?«

»Nein, natürlich nicht - wieso auch? Red nicht solchen Unsinn, Carol. Sprechen wir lieber wieder über - über - «

»Über deinen Plan? Bist du sicher, dass der Plan - gut ist?«

»Ja. Ich glaube schon. Natürlich müssen wir die passende Gelegenheit abwarten. Und dann, wenn alles gut geht, werden wir frei sein - wir alle.«

»Frei?« Carol seufzte leise. Sie sah hinauf zu den Sternen. Dann wurde sie plötzlich von einem Weinkrampf geschüttelt.

»Carol, was hast du?«

Schluchzend stieß sie hervor: »Alles ist so wunderschön - die Nacht und der Himmel und die Sterne. Wenn wir doch nur ein Teil davon sein könnten! Wenn wir doch nur wie andere Menschen sein könnten und nicht so, wie wir sind - so sonderbar und verdreht und irgendwie nicht normal.«

»Alles wird gut werden - wenn sie erst tot ist!«

»Bist du ganz sicher? Ist es dafür nicht schon zu spät? Werden wir nicht immer sonderbar und anders sein?«

»Nein, ganz bestimmt nicht!«

»Wer weiß.«

»Carol, wenn du lieber - «

Sie stieß seinen tröstenden Arm weg.

»Nein, ich bin dabei - ich stehe auf deiner Seite! Schon allein wegen der anderen - vor allem wegen Jinny. Wir müssen Jinny retten!«

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