»Bravo!« murmelte Ellery und lächelte liebevoll. »Ein perfekter Vortrag. Meine Glückwünsche.«
»Ach, scher dich zum Teufel«, schimpfte sein Vater. »An dieser Stelle möchte ich noch einmal das wiederholen, was du am Montag abend in Panzers Büro bereits bemerkt hast – nämlich die Tatsache, daß der Mörder, obwohl er den Ort des Verbrechens bereits zwischen 9.30 und 9.55 Uhr verließ, den ganzen Rest des Abends im Theater anwesend war, bis wir alle nach Hause entließen. Unsere Befragung der Wachen und Madge O’Connells, die Zeugenaussagen der Portiers, Jess Lynchs Anwesenheit im Seitengang, durch die Schließerin bestätigt – das alles spricht genau dafür … Er war da, die ganze Zeit.
Trotzdem sind wir im Augenblick in einer Sackgasse. Wir können nichts weiter tun, als uns einige Personen, auf die wir im Laufe unserer Ermittlungen gestoßen sind, noch einmal vorzunehmen«, fuhr der Inspektor mit einem Seufzer fort. »Erstens – hat Madge O’Connell die Wahrheit gesagt, als sie uns erzählte, daß sie niemanden während des zweiten Aktes den Mittelgang hat herauf- oder heruntergehen sehen? Und daß sie überhaupt zu keinem Zeitpunkt im Laufe des Abends die Person gesehen hat, von der wir wissen, daß sie von halb zehn bis zehn oder fünfzehn Minuten vor der Entdeckung der Leiche auf LL30 gesessen hat?«
»Das ist eine kniffelige Frage, Vater«, bemerkte Ellery ernsthaft. »Denn wenn sie in diesen Dingen gelogen hat, verlieren wir eine wichtige Informationsquelle. Wenn sie wirklich gelogen hat – gütiger Gott! –, dann könnte sie zu diesem Zeitpunkt in der Lage sein, den Mörder zu beschreiben, zu identifizieren oder sogar zu benennen! Aber ihre Nervosität und ihr merkwürdiges Verhalten könnten ebensogut ihrem Wissen darum zugeschrieben werden, daß Pfarrer Johnny im Theater war, zusammen mit einer Meute von Polizisten, die ihn liebend gerne zwischen die Finger bekommen hätte.«
»Klingt einleuchtend«, knurrte Queen. »Nun, was ist mit Pfarrer Johnny? Wie paßt er da hinein – oder paßt er überhaupt hinein? Wir dürfen nicht vergessen, daß Cazzanelli – laut Morgans Aussage – tatkräftig mit Field verbunden war. Field ist sein Anwalt gewesen und hat sich vielleicht sogar für die zwielichtigen Geschäfte, denen Cronin auf der Spur ist, seine Dienste erkauft. Wenn der Pfarrer nicht zufällig dort war, war er dann wegen Field dort oder wegen Madge O’Connell, wie beide behaupten? Ich glaube, mein Sohn«, fügte er hinzu und zog dabei heftig an seinem Schnurrbart, »daß ich Pfarrer Johnny einmal die Peitsche spüren lassen werde – es wird seinem dicken Fell schon nicht schaden! Und diese schnippische kleine O’Connell – es wird ihr ganz guttun, wenn ihr das Vorlaute ein wenig ausgetrieben wird …«
Er nahm eine große Prise Schnupftabak und nieste zu der Melodie von Ellerys zustimmendem Gelächter.
»Und der gute alte Benjamin Morgan«, fuhr der Inspektor fort. »Hat er die Wahrheit erzählt über den anonymen Brief, der ihm bequem eine geheimnisvolle Bezugsquelle für seine Eintrittskarte verschaffte?
Und diese überaus interessante Dame, Mrs. Angela Russo. … Ach, die Frauen, zum Teufel mit ihnen! Sie bringen die Männer ständig um den Verstand. Was hat sie gesagt – sie sei um 9.30 Uhr in Fields Wohnung angekommen? Ist ihr Alibi wirklich dicht? Natürlich, der Portier in Fields Haus hat ihre Aussage bestätigt. Aber es ist einfach, einen Portier zu ›beeinflussen‹ … Weiß sie vielleicht mehr über Fields Geschäfte – vor allem über seine Privatgeschäfte? Hat sie gelogen, als sie behauptete, Field hätte ihr erzählt, er sei um zehn Uhr zurück? Denn wir wissen ja, daß Field um halb zehn eine Verabredung im Römischen Theater hatte; ging er davon aus, daß er sie hätte einhalten und trotzdem um zehn Uhr in seiner Wohnung zurücksein können? Mit einem Taxi wäre es bei dem Verkehr eine Fahrt von fünfzehn bis zwanzig Minuten, womit nur zehn Minuten für die Transaktion übrig geblieben wären – ist natürlich möglich. Mit der Untergrundbahn wäre man auch nicht schneller gewesen. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß diese Frau sich zu keinem Zeitpunkt an diesem Abend im Theater aufgehalten hat.«
»Du wirst noch alle Hände voll zu tun haben mit dieser lieblichen Tochter Evas«, bemerkte Ellery. »Es ist so wunderschön offensichtlich, daß die mit irgend etwas hinter dem Berg hält. Hast du ihren unverschämten Trotz bemerkt? Das war nicht allein herausforderndes Benehmen. Sie weiß etwas, Vater. Ich würde sie auf jeden Fall im Auge behalten – früher oder später wird sie sich verraten.«
»Hagstrom wird sich um sie kümmern«, sagte Queen abwesend. »Nun, was ist mit Michaels? Er hat kein überzeugendes Alibi für Montag abend. Aber vielleicht würde das auch keinen Unterschied machen. Er war nicht im Theater … An diesem Knaben ist irgend etwas faul. Wollte er wirklich etwas holen, als er Dienstag morgen zu Fields Wohnung kam? Wir haben alle Räumlichkeiten gründlich durchsucht – ist es möglich, daß wir etwas übersehen haben? Es ist klar, daß er gelogen hat, als er die Geschichte mit dem Scheck von sich gab und angeblich nichts von Fields Tod wußte. Und überlege eines
– ihm muß klar gewesen sein, daß er sich in Gefahr begab, als er zu Fields Wohnung kam. Er hatte von dem Mord gelesen und konnte nicht darauf hoffen, daß die Polizei einen Besuch der Wohnung herausschieben würde. Er machte also einen verzweifelten Versuch – aus welchem Grunde? Kannst du mir das sagen?«
»Vielleicht hatte es etwas mit seinem Gefängnisaufenthalt zu tun – er sah ganz schön überrascht aus, als ich ihm das unter die Nase rieb, nicht wahr?« kicherte Ellery.
»Kann sein«, antwortete der Inspektor. »Da fällt mir ein, Velie hat mir von Michaels’ Zeit in Elmira erzählt. Thomas berichtet, daß in diesem Fall einiges vertuscht wurde – es war sehr viel schwerwiegender, als es seine milde Bestrafung damals erscheinen läßt. Michaels war der Urkundenfälschung verdächtig, und es sah ganz schön schwarz für ihn aus. Aufgrund eines von Rechtsanwalt Field ins Spiel gebrachten völlig anderen Anklagepunktes – irgend etwas mit einem kleinen Diebstahl – ist Mr. Michaels noch einmal billig davongekommen, und man hat niemals mehr etwas von dieser Fälschungssache gehört. Dieser Michaels sieht sehr vielversprechend aus – ich muß ihm ein wenig auf die Füße treten.«
»Ich habe da so eine eigene Idee, was Michaels angeht«, sagte Ellery nachdenklich. »Aber lassen wir das im Augenblick.«
Queen schien nicht zuzuhören. Er stierte in das knisternde Kaminfeuer. »Da ist auch noch Lewin«, sagte er. »Es ist kaum zu glauben, daß ein Mensch von seiner Art in einer solchen Vertrauensstellung bei seinem Arbeitgeber stand, ohne einiges mehr zu wissen, als er heute zugibt. Hält er Informationen zurück? Wenn er das tut, gnade ihm Gott – weil Cronin ihn dann fertig machen wird!«
»Eigentlich mag ich diesen Cronin«, seufzte Ellery, »Wie um alles in der Welt kann ein Mensch so von einer Idee besessen sein? … Hast du darüber schon einmal nachgedacht? Ich frage mich, ob Morgan Angela Russo kennt? Obwohl ja beide abstreiten, sich gegenseitig zu kennen. Wäre verdammt interessant, wenn sie es täten, nicht wahr?«
»Mein Sohn«, seufzte Queen, »mach nicht alles noch verwirrender. Es ist eh schon kompliziert genug; du mußt es nicht noch schlimmer machen …«
Behagliches Schweigen breitete sich aus, während sich der Inspektor im Schein der lodernden Flammen ausstreckte. Ellery ließ sich zufrieden einen Keks schmecken. Djunas strahlende Augen blinkten in der äußersten Ecke des Raumes auf, wo er sich lautlos hingeschlichen und auf dem Boden niedergehockt hatte, um der Unterhaltung zuzuhören.
In einer plötzlichen Gedankenübertragung trafen sich die Blicke des alten Mannes und Ellerys.
Читать дальше