Ellery dankte ihr fasziniert und lehnte sich wieder an den Bücherschrank. Queen blickte seinen Sohn scharf an und erhob sich.
»Das wäre dann alles, meine Damen und Herren. Ich denke, wir können den Vorfall nun als erledigt betrachten.«
Auf der Stelle brach allgemeiner Beifall aus, und alle stürmten auf Frances ein, die vor Glück strahlte. Barry, Peale und Eve Ellis führten Frances in einem Triumphmarsch hinaus, während Stanford mit einem kläglichen Lächeln seiner Mutter den vorsorglich gekrümmten Arm bot.
»So endigt nun die erste Lektion«, verkündete er ernst. »Nimm, Mutter, meinen Arm, bevor die Ohnmacht dich umfaßt!« Eine protestierende Mrs. Ives-Pope verließ, schwer auf ihren Sohn gestützt, den Raum.
Ives-Pope schüttelte Queen mit Nachdruck die Hand. »Sie glauben also, daß nun alles vorbei ist, soweit es mein kleines Mädchen betrifft?« fragte er.
»Ich gehe davon aus, Mr. Ives-Pope«, antwortete der Inspektor. »Also, Sir, vielen Dank für Ihre Gefälligkeit. Wir müssen jetzt aufbrechen – es wartet noch eine Menge Arbeit auf uns. Kommst du mit, Henry?«
Fünf Minuten später schritten Queen, Ellery und Staatsanwalt Sampson nebeneinander den Riverside Drive hinunter in Richtung 72. Straße und erörterten dabei ausführlich die Ereignisse des Morgens.
»Bin ich froh, daß dieser Teil der Untersuchung ergebnislos verlaufen ist«, sagte Sampson verträumt. »Herr im Himmel! Ich bewundere den Mut dieses Mädchens, Q.«
»Ein gutes Kind«, sagte der Inspektor. »Was meinst du, Ellery?« fragte er auf einmal und wandte sich an seinen Sohn, der gedankenverloren auf den Fluß starrte.
»Oh, sie ist entzückend«, sagte er auf der Stelle, wobei sein etwas abwesend wirkender Blick aufleuchtete.
»Ich meinte nicht das Mädchen«, sagte sein Vater gereizt. »Ich meinte die allgemeine Lage nach der Arbeit heute morgen.«
»Ach so!« Ellery lächelte ein wenig. »Stört es dich, wenn ich mit Äsop antworte?«
»Ja«, seufzte sein Vater.
»Ein Löwe«, sagte Ellery, »mag einer Maus zu Dank verpflichtet sein.«
in welchem Gespräche im Hause Queen geführt werden
Es war um halb sieben an diesem Abend, als es an der Haustüre klingelte. Djuna hatte gerade den Tisch nach dem Abendessen abgeräumt und wollte den beiden Queens den Kaffee servieren. Er richtete seine Krawatte, zog sein Jackett herunter (während der Inspektor und Ellery ihn mit einem amüsierten Zwinkern beobachteten) und marschierte feierlich in die Eingangshalle. Kurz darauf kam er wieder zurück und trug ein silbernes Tablett, auf dem zwei Visitenkarten lagen. Der Inspektor nahm sie finster blickend auf.
»So ein Umstand, Djuna!« brummte er. »Gut, gut! ›Doc‹ Prouty hat also einen Gast mitgebracht. Führ sie herein, du Knirps!«
Djuna wanderte zurück und kam wieder mit dem Polizeiarzt und einem großen, dünnen, ausgemergelten Mann, der vollkommen kahl war und einen kurzgeschnittenen Bart trug. Queen und Ellery standen auf.
»Ich habe schon auf eine Nachricht von Ihnen gewartet, Doc!« Queen lächelte, während er Prouty begrüßte. »Und wenn mich nicht alles täuscht, ist das hier Professor Jones höchstpersönlich! Willkommen in unserem Heim, Doktor.« Der dünne Mann verneigte sich.
»Das hier ist mein Sohn und zweites Ich«, stellte Queen Ellery vor. »Ellery – Dr. Thaddeus Jones.«
Dr. Jones streckte ihm eine große, kraftlose Hand entgegen. »Sie sind also der Knabe, von dem Queen und Sampson permanent reden!« sagte er mit dröhnender Stimme. »Außerordentlich erfreut, Sie kennenzulernen, Sir.«
»Ich war schon seit langem wild darauf, dem New Yorker Paracelsus und berühmten Toxikologen vorgestellt zu werden«, lächelte Ellery. »Ihnen zu Ehren rasseln alle Skelette dieser Stadt mit den Knochen.« Er schauderte und bot dann den Gästen Stühle an. Die vier Männer setzten sich.
»Trinken Sie doch mit uns Kaffee, meine Herren«, forderte Queen sie auf und rief Djuna herbei, der mit strahlenden Augen durch die Küchentüre linste. »Djuna! Du Halunke! Kaffee für vier!« Djuna grinste und verschwand, um gleich darauf wie ein Springteufel mit vier Tassen dampfenden Kaffees wieder aufzutauchen.
Prouty, der der landläufigen Vorstellung von Mephistopheles ziemlich nahe kam, zückte aus einer Tasche eine seiner schwarzen, gefährlich aussehenden Zigarren und hüllte sich in düstere Qualmwolken.
»Dieses Geplauder mag ja ganz schön sein für Leute, die nichts zu tun haben«, sagte er energisch zwischen zwei Zügen, »ich aber habe den ganzen Tag wie ein Tier gearbeitet, um den Mageninhalt einer Leiche zu analysieren, und ich würde gerne nach Hause schlafen gehen.«
»Hort, hört!« brummte Ellery. »Aus der Tatsache, daß Sie Professor Jones um Beistand gebeten haben, schließe ich, daß Sie bei der Analyse von Mr. Fields sterblichen Überresten auf einige Schwierigkeiten gestoßen sind. Schießen Sie los, Äskulap!«
»Ich schieß’ ja schon los«, gab Prouty grimmig zurück. »Sie haben recht – ich bin auf ziemliche Schwierigkeiten gestoßen. Obschon ich doch einige Erfahrungen – wenn ich mir diese Bescheidenheit erlauben darf – bei der Untersuchung der inneren Organe von Verstorbenen gesammelt habe, muß ich gestehen, daß ich sie noch nie in einem solchen Chaos vorgefunden habe wie bei diesem Knaben Field. Wenigstens das wird Jones Ihnen mit Sicherheit bestätigen. Seine Speiseröhre, zum Beispiel, sowie der ganze Luftröhrenbereich sahen so aus, als wäre jemand liebevoll mit einer Lötlampe von innen darübergegangen.«
»Was war es denn – hätte es nicht eine Quecksilberverbindung sein können, Doc?« fragte Ellery, der sich gewöhnlich mit völliger Unkenntnis der exakten Wissenschaften brüstete.
»Wohl kaum«, knurrte Prouty. »Aber lassen Sie mich berichten, was passierte. Ich testete auf jedes bekannte Gift hin; obwohl dieses hier einige mir vertraute Eigenschaften von Petroleum aufzuweisen schien, konnte ich es nicht exakt einordnen. Ja, mein Herr, ich war ganz schön aufgeschmissen. Und um Ihnen ein Geheimnis anzuvertrauen – selbst mein Chef, der mich einfach für überarbeitet hielt, unternahm eigenhändig einen Versuch mit seinen sensiblen italienischen Händen. Das Resultat war auch in diesem Fall gleich null. Und der Chef ist nicht gerade ein Neuling, was chemische Analyse betrifft. Daher übergaben wir unser Problem an den obersten Lehrmeister auf diesem Gebiet. Aber lassen wir ihn seine Geschichte selbst erzählen.«
Dr. Thaddeus Jones räusperte sich bedrohlich. »Vielen Dank, mein Freund, für diese höchst dramatische Einleitung«, sagte er mit seiner tiefen schleppenden Stimme. »Ja, Inspektor, die Leiche wurde an mich übergeben, und ich muß nachdrücklich an dieser Stelle betonen, daß meine Entdeckung für das toxikologische Institut die größte Sensation der letzten fünfzehn Jahre darstellt!«
»Das ist ein Ding!« murmelte Queen, während er eine Prise Schnupftabak nahm. »Ich bekomme langsam Hochachtung vor dem Verstand unseres Mörders. So viele außergewöhnliche Entdeckungen in letzter Zeit! Und was haben Sie gefunden?«
»Ich konnte mich darauf verlassen, daß Prouty und sein Chef alle normalen Tests sorgfältig durchgeführt hatten«, begann Dr. Jones, während er seine knochigen Beine übereinanderschlug. »Das machen sie immer. So untersuchte ich die Probe zunächst einmal auf eher unbekannte Gifte. Unbekannt heißt hier, vom Standpunkt des kriminellen Benutzers aus gesehen. Nur um Ihnen zu zeigen, wie sorgfältig ich vorging – ich dachte sogar an das bei unseren Freunden, den Kriminalautoren so beliebte Hilfsmittel: Curare, das Gift aus Südamerika, das in vier von fünf Detektivgeschichten vorkommt. Aber selbst dieses so traurig mißbrauchte Mitglied der Familie der Gifte enttäuschte mich …«
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