Eine schmächtige Gestalt ging zur Hintertür, und Pepper erkannte, dass es Thomas Gadd war. Dieser hinkende Gang war unverwechselbar. Er fragte sich, was in dem Sack war. Er schien ziemlich voll, wahrscheinlich war es Wild. Pepper konnte auch erkennen, dass Gadd eine Flinte trug.
Der Hund stand auf. Er wedelte mit dem Schwanz und Pepper sah, wie Gadd dem Hund durchs Fell fuhr und mit ihm ins Haus ging. Der Hund war Peppers Hauptsorge gewesen. Er wusste, dass das Tier nicht mehr jung war, aber deshalb war sein Geruchssinn nicht weniger gut. Pepper und seine Männer hatten sich zwar auf der windabgewandten Seite versteckt, aber Windrichtungen waren nicht sehr zuverlässig. Sie konnten jeden Moment drehen.
»Worauf warten wir?« Seth Tyler spuckte auf den Boden und seine Hand fuhr immer wieder zur Pistole, die in seinem Gürtel steckte. »Gehen wir jetzt dort runter oder nicht?«
»Wir gehen, wenn ich es sage«, erwiderte Pepper, ohne das Fernrohr vom Auge zu nehmen.
Tyler wurde rot vor Ärger über diese Zurechtweisung, die er umso demütigender empfand, weil Pepper es nicht einmal für nötig befunden hatte, das Fernrohr abzusetzen. Aber er wusste nur zu gut, dass es keinen Zweck hatte, zu widersprechen.
Die Wunden in Tylers Gesicht schmerzten noch immer. Auf einigen der oberflächlicheren Kratzer hatte sich Schorf gebildet, die tieferen schmerzten noch immer bei jeder Berührung. Tylers Erklärung, dass er auf seinem Rückweg vom Duke’s Head in ein Dornengebüsch gefallen war, wirkte glaubhaft, denn es war bekannt, dass er gern einen über den Durst trank. Er hatte Ezekiel Morgan und Cephus Pepper dieselbe Geschichte erzählt, als er ihnen die Information wegen der beiden Männer überbrachte, die Morgan suchte.
Tyler hatte vor Wut gekocht seit dem Tag, als er von der Farm gejagt worden war und seine Schwägerin, diese Schlampe, ihm gedroht hatte, zur Flinte zu greifen, wenn er ihr Eigentum wieder betreten würde. Was dachte sie eigentlich, wer sie war? Diese eingebildete Ziege! Verführte einen mit ihren koketten Blicken, nur um dann ein großes Geschrei anzufangen, wenn man zur Sache kam. Es war doch klar, dass sie hinter ihm her war. Und sie musste sich ja auch nach Zärtlichkeit sehnen, schließlich war ihr Mann schon drei Jahre unter der Erde. Tyler fand, dass er ihr eigentlich einen Gefallen tat. Sie müsste ihm doch eigentlich dankbar sein, verdammt nochmal! Stattdessen war sie widerspenstig und warf ihn raus. Und wahrscheinlich war sie auch daran schuld, dass Annie jetzt jedes Mal ein Theater machte, wenn er etwas von ihr wollte. Er vermutete, dass Jessie versuchte, ihre Schwester gegen ihn aufzuhetzen, und das machte Tyler noch wütender. Aber sie würde für den Ärger büßen, den sie ihm bereitet hatte, dafür würde er sorgen.
Und dann kam die Nachricht, dass Ezekiel Morgan eine gute Belohnung für Informationen ausgesetzt hatte, die zum Auffinden der beiden Männer führten. Es war die Beschreibung der Männer gewesen, die Tyler aufhorchen ließ, denn sie passte zu den beiden, die ihn auf Jess Flynns Farm verprügelt hatten. Bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Asa Higgs im Blind Hog hatte es sich herausgestellt, dass es sich tatsächlich um dieselben Männer handelte, die der Totengräber vor ein paar Tagen von der Farm zum Haunt gebracht hatte. Bei dieser Nachricht hatte Tyler die Ohren gespitzt, denn wenn die beiden auf der Flucht waren, war Jess Flynn jetzt wieder allein auf der Farm.
Er war noch immer schwer von dieser Sache getroffen, und nachdem er sich mit ein paar Gläsern Grog Mut angetrunken hatte, war Tyler aufgebrochen, um der dummen Kuh eine Lektion zu erteilen. Diesmal würde ihn niemand stören. Aber als er ankam, stellte er fest, dass Jess Flynn nicht allein war. Die Männer waren zurückgekommen. Oder zumindest einer von ihnen, nämlich der, der ihn in der Küche angegriffen hatte, der mit dem fremden Akzent. Sein Kumpel, der Große, der den Besen so mörderisch geschwungen hatte, war nirgendwo zu sehen. Das musste aber nicht heißen, dass er nicht auch da war, aber er hatte sich während der ganzen Zeit, in der Tyler vom Waldrand aus die Farm beobachtet hatte, nicht gezeigt. Und dann hatte er gesehen, wie Jess Flynn und der andere Mann sich umarmten, und der Plan, der langsam in ihm heranreifte, war fertig.
Er brauchte Morgan oder Pepper gegenüber nur ein Wort zu erwähnen, und er hätte bei Morgan einen Stein im Brett, bekäme eine schöne Summe Geldes, könnte sich an zumindest einem seiner Peiniger rächen und hätte die Witwe Flynn ganz für sich allein.
Und jetzt, wo McTurk und Croker aus dem Weg waren, würde Morgan auch einen neuen Leutnant brauchen. Tyler sah ungeahnte Möglichkeiten vor sich. Er konnte gar nicht schnell genug zum Haunt kommen.
Er hörte, wie Pepper neben ihm seufzte. Tylers Herz schlug schneller, wenn er hinunter zum Haus sah. Aus der Hintertür kam ein Mann, der es eilig zu haben schien.
Pepper sah durchs Fernrohr.
»Na?«, sagte Tyler, der nur schlecht seine Ungeduld verbergen konnte. »Stimmt’s oder hatte ich Recht?« Er wusste die Antwort bereits. Es war der andere Mistkerl. Der war also auch schon die ganze Zeit auf der Farm gewesen.
Links und rechts neben sich hörte er Zaumzeug klirren und das Mahlen von Pferdegebissen auf Metall. Die anderen Reiter waren genauso ungeduldig wie ihre Pferde.
Pepper spürte eine schwache Brise, die von hinten kam. Die brauchen wir jetzt ganz und gar nicht , dachte er, denn er wusste, was es bedeutete.
Pepper beobachtete, wie der Runner stehen blieb und sich zur Anhöhe umdrehte. Er sah, wie der Hund den Kopf hob. Als er sah, dass Hawkwood ins Haus zurückrannte, stemmte Pepper das Teleskop gegen den Oberschenkel und schob es zusammen. Er steckte es in eine Innentasche, packte die Zügel und trieb sein Pferd an.
»Jetzt«, sagte er.
Das Bellen des Hundes hatte die anderen schon hellhörig gemacht, aber dennoch waren sie alle ziemlich überrascht, als Hawkwood eilig in die Küche zurück kam und den Hund beim Nackenfell mitzog. Gadd schien unentschlossen, auf wen er mit der Jagdflinte zielen sollte. »Was …?«, fing er an.
Hawkwood schlug die Tür hinter sich zu und ließ den Hund los. »Es ist Pepper«, sagte er, »sie haben uns gefunden.«
Er sah den Schock auf Lasseurs Gesicht. Der Privateer sprang auf und zog Jess Flynn an seine Seite. Sie wehrte sich nicht, und weder Hawkwood noch Gadd versuchten einzugreifen.
»Wie viele?«, fragte Lasseur.
»Acht Mann, vielleicht auch zehn«, berichtete Hawkwood.
Lasseur brauchte einen Moment, bis er die Nachricht verdaut hatte. Er sah nachdenklich aus.
»Bist du auf unserer Seite?«, fragte Hawkwood.
»Der Feind meines Feindes ist mein Freund, Matthew. Kennst du diese Redensart nicht?« Diesmal klang es nicht wie ein Scherz.
Hawkwood nickte. »Dann soll es so sein.«
»Oh verflucht!«, sagte Gadd plötzlich, der am Fenster stand. »Es ist Seth Tyler.«
Jess Flynn hob den Kopf. Sie umklammerte Lasseurs Arm.
»Ich wusste doch, dass ich ihn hätte umbringen sollen«, murmelte Lasseur. »Zehn gegen zwei? Das ist nicht gut.«
»Und noch schlimmer, wenn wir keine verdammten Waffen haben«, sagte Hawkwood. Er warf einen Blick auf die Jagdflinte. Sie würde nicht ausreichen.
»Zehn gegen drei«, sagte Gadd, der sich vom Fenster abwandte und nach der Flinte griff. »Obwohl ich schätze, wenn Seth Tyler dabei ist, muss das genauso’n Hindernis sein, als wenn man zwei gute Männer verliert.« Der Seemann grinste. Mit seiner Narbe sah er fast dämonisch aus.
»Es ist auch mein Kampf«, sagte Jess Flynn.
Hawkwood schüttelte den Kopf. »Auf Sie hat Morgan es nicht abgesehen.«
»Wenn Seth da draußen ist, dann ist es auch mein Kampf«, sagte Jess entschieden.
»HALLO IHR DA, IM HAUS!«
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